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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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nige Stunden, und dieses große, wunderbare Bild der Hamburgischen
Hafenpracht ist hinter den hannöverschen Haidehügeln verschwunden,
--- nur noch wenige Tage endlich, und ich sitze wieder in dem ehr¬
samen Bürgerklub zu wo man sich von einem Schiffe die
wunderbarsten Vorstellungen macht und mich als ein Wunderthier
anstaunt. Es war eben die Zeit, wo sich das zehnte Corps der
deutschen Bundesarmce bei Lüneburg versammelt hatte. Dennoch,
obwohl ich, um Braunschweig zu erreichen, keinen Umweg über Lüne¬
burg gemacht hätte, machte ich einen anderen Weg und bekam also
nicht einmal den Schatten eines Schnurrbatts von all den kampflu¬
stigen Lieutenants zu sehen. Wir fuhren erst bei dem letzten Tages-
dämmern aus Haarburg; der Regen klatschte melancholisch an die
Fensterscheiben und der Sturm pfiff durch die Ritzen und der Postil¬
lon blies so traurig! Es war ein Hannoveraner! Nach einer Stunde
begann schon das Haideland. Da muß man wohl traurig werden,
sintemal man sich in dem Königreich Hannover befindet und Einem
allerlei wundersame Gedanken kommen. Es sind aber eben nur Haive-
gedanken! Ich dachte an Revolutionen von unten und an Revolutio¬
nen von oben. Als einmal der schwedische König zu Stockholm seine
Kanonen gegen das Ständehaus richten ließ, Kanoniere mit bren¬
nender Lunte daneben stellte und nun seine getreuen Stände ersuchte,
nach ihrem freien Gewissen zu beschließen, was sie denn auch pflicht¬
schuldig thaten, nachdem sie die Kanonen und die brennenden Lunten
gesehen hatten, -- da war es eine Revolution von oben; als das
französische Volk die Bastille stürmte, da war es eine Revolution von
unten; als -- doch stille, stille, der hannöversche Postillon bläst so
traurig und das böse Haideweib streift über die Moore und durch
die Brüche. Unsere Reisegesellschaft war bunt: ein Landpastor, ein
königlicher Beamter aus der Residenzstadt Hannover, ein Schauspie¬
ler aus Dermold und, außer meiner Wenigfeit, ein berühmter Pro¬
fessor aus Göttingen. Die kleine Schauspielerin war ein lockeres
Ding, sie schien dem guten Landpastor manches Aergerniß zu geben,
der berühmte Professor verhielt sich ganz passiv, der königliche Diener
aber schien an ihren Neckereien und Capricen Gefallen zu finden.
Die Nacht sank immer tiefer herab/--man sah zuweilen einige Irr¬
wische flackern, die Schauspielerin war eingeschlafen und an die Brust
des Pastors gefallen. Ein starres Entsetzen malte sich in den Zügen


nige Stunden, und dieses große, wunderbare Bild der Hamburgischen
Hafenpracht ist hinter den hannöverschen Haidehügeln verschwunden,
—- nur noch wenige Tage endlich, und ich sitze wieder in dem ehr¬
samen Bürgerklub zu wo man sich von einem Schiffe die
wunderbarsten Vorstellungen macht und mich als ein Wunderthier
anstaunt. Es war eben die Zeit, wo sich das zehnte Corps der
deutschen Bundesarmce bei Lüneburg versammelt hatte. Dennoch,
obwohl ich, um Braunschweig zu erreichen, keinen Umweg über Lüne¬
burg gemacht hätte, machte ich einen anderen Weg und bekam also
nicht einmal den Schatten eines Schnurrbatts von all den kampflu¬
stigen Lieutenants zu sehen. Wir fuhren erst bei dem letzten Tages-
dämmern aus Haarburg; der Regen klatschte melancholisch an die
Fensterscheiben und der Sturm pfiff durch die Ritzen und der Postil¬
lon blies so traurig! Es war ein Hannoveraner! Nach einer Stunde
begann schon das Haideland. Da muß man wohl traurig werden,
sintemal man sich in dem Königreich Hannover befindet und Einem
allerlei wundersame Gedanken kommen. Es sind aber eben nur Haive-
gedanken! Ich dachte an Revolutionen von unten und an Revolutio¬
nen von oben. Als einmal der schwedische König zu Stockholm seine
Kanonen gegen das Ständehaus richten ließ, Kanoniere mit bren¬
nender Lunte daneben stellte und nun seine getreuen Stände ersuchte,
nach ihrem freien Gewissen zu beschließen, was sie denn auch pflicht¬
schuldig thaten, nachdem sie die Kanonen und die brennenden Lunten
gesehen hatten, — da war es eine Revolution von oben; als das
französische Volk die Bastille stürmte, da war es eine Revolution von
unten; als — doch stille, stille, der hannöversche Postillon bläst so
traurig und das böse Haideweib streift über die Moore und durch
die Brüche. Unsere Reisegesellschaft war bunt: ein Landpastor, ein
königlicher Beamter aus der Residenzstadt Hannover, ein Schauspie¬
ler aus Dermold und, außer meiner Wenigfeit, ein berühmter Pro¬
fessor aus Göttingen. Die kleine Schauspielerin war ein lockeres
Ding, sie schien dem guten Landpastor manches Aergerniß zu geben,
der berühmte Professor verhielt sich ganz passiv, der königliche Diener
aber schien an ihren Neckereien und Capricen Gefallen zu finden.
Die Nacht sank immer tiefer herab/—man sah zuweilen einige Irr¬
wische flackern, die Schauspielerin war eingeschlafen und an die Brust
des Pastors gefallen. Ein starres Entsetzen malte sich in den Zügen


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[0603] nige Stunden, und dieses große, wunderbare Bild der Hamburgischen Hafenpracht ist hinter den hannöverschen Haidehügeln verschwunden, —- nur noch wenige Tage endlich, und ich sitze wieder in dem ehr¬ samen Bürgerklub zu wo man sich von einem Schiffe die wunderbarsten Vorstellungen macht und mich als ein Wunderthier anstaunt. Es war eben die Zeit, wo sich das zehnte Corps der deutschen Bundesarmce bei Lüneburg versammelt hatte. Dennoch, obwohl ich, um Braunschweig zu erreichen, keinen Umweg über Lüne¬ burg gemacht hätte, machte ich einen anderen Weg und bekam also nicht einmal den Schatten eines Schnurrbatts von all den kampflu¬ stigen Lieutenants zu sehen. Wir fuhren erst bei dem letzten Tages- dämmern aus Haarburg; der Regen klatschte melancholisch an die Fensterscheiben und der Sturm pfiff durch die Ritzen und der Postil¬ lon blies so traurig! Es war ein Hannoveraner! Nach einer Stunde begann schon das Haideland. Da muß man wohl traurig werden, sintemal man sich in dem Königreich Hannover befindet und Einem allerlei wundersame Gedanken kommen. Es sind aber eben nur Haive- gedanken! Ich dachte an Revolutionen von unten und an Revolutio¬ nen von oben. Als einmal der schwedische König zu Stockholm seine Kanonen gegen das Ständehaus richten ließ, Kanoniere mit bren¬ nender Lunte daneben stellte und nun seine getreuen Stände ersuchte, nach ihrem freien Gewissen zu beschließen, was sie denn auch pflicht¬ schuldig thaten, nachdem sie die Kanonen und die brennenden Lunten gesehen hatten, — da war es eine Revolution von oben; als das französische Volk die Bastille stürmte, da war es eine Revolution von unten; als — doch stille, stille, der hannöversche Postillon bläst so traurig und das böse Haideweib streift über die Moore und durch die Brüche. Unsere Reisegesellschaft war bunt: ein Landpastor, ein königlicher Beamter aus der Residenzstadt Hannover, ein Schauspie¬ ler aus Dermold und, außer meiner Wenigfeit, ein berühmter Pro¬ fessor aus Göttingen. Die kleine Schauspielerin war ein lockeres Ding, sie schien dem guten Landpastor manches Aergerniß zu geben, der berühmte Professor verhielt sich ganz passiv, der königliche Diener aber schien an ihren Neckereien und Capricen Gefallen zu finden. Die Nacht sank immer tiefer herab/—man sah zuweilen einige Irr¬ wische flackern, die Schauspielerin war eingeschlafen und an die Brust des Pastors gefallen. Ein starres Entsetzen malte sich in den Zügen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/603>, abgerufen am 28.09.2024.