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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und in einem traurig zerrupften Federkleide vor der Thüre und blies
das Publicum auf einer alten schnarrenden Trompete zusammen. Ich
ging aus Neugierde hinein. Es dauerte lange, ehe es anfing, denn
man wartete, bis er eine hinlängliche Menge Volks zusammcngeblasen.
Einige Oellampen erhellten stinkend und qualmend den dunklen Raum,
und fast das ganze Publicum, bis auf die Weiber, rauchte. Endlich
wurde zum Anfang geklingelt. Eine schrecklich zerrissene Harfen ud
eine Flöte waren unser Orchester, sie sollten die lieben Harmonien
eines Mozart aufführen.. Kann man sich etwas Tolleres denken?
Der Vorhang flog auf und es zeigte sich ein Bühnenraum, kaum
großer als ein Vogelbauer. Die Darstellung war, wie man sich
denken kann, schlecht, aber sie war gleichmäßig schlecht, was man zu¬
weilen in den großen Theatern wünschen möchte, und ich konnte
wenigstens lachen. Die Stimmen klangen wie knarrende Thüren; die
Oper war in zwei Acte zusammengezogen, der Gesang des Papa-
geno, sein Hin- und Herhüpfen mit dem Vogelbauer, so wie das
Schloß vor seinem Munde stimmten das Publicum zur größten Freude,
es war mit dem dargebotenen Genusse vollkommen zufrieden. In dem
Zwischenacte verkauften die Schauspielerinnen im Costüni, die Köni¬
gin der Nacht mit langem Flitterschleier nicht ausgenommen, Grog
und Punsch und ließen sich von den Matrosen, die vielleicht nie eine
Schauspielerin in der Nähe gesehen hatten, jubelnd umarmen; Pa-
pageno bettelte die Reihen durch, und als das Stück vollendet war,
stand er wieder am Ausgange und blies das Publicum zu einer
neuen Vorstellung zusammen!

Ehe ich Hamburg verließ, fuhr ich nach Wandsbcck, um in dem
schönen, herbstlich schattirter Holze eines reizenden Durchblicks nach
Hamburg zu genießen und auch die Orte nicht zu vergessen, wo der
alte Claudius seinen Boten schrieb und Voß den Homer übersetzte.
Man achtet hier wenig auf solche Erinnerungen und das schlichte
Denkmal des deutschen Messiadensängers vor der kleinen Kirche zu
Ottensen ist einem gänzlichen Verfalle nahe.




Durch den großen Hamburger Hafen fliegt 'unser Dampfboot,
der Kronprinz von Hannover; ringsumher liegen die größten Colosse,
um deren Kiel die Fluchen der fernsten Meere gerauscht haben, rings
umher wehen die Flaggen aller seefahrenden Völker. Nur noch we<


und in einem traurig zerrupften Federkleide vor der Thüre und blies
das Publicum auf einer alten schnarrenden Trompete zusammen. Ich
ging aus Neugierde hinein. Es dauerte lange, ehe es anfing, denn
man wartete, bis er eine hinlängliche Menge Volks zusammcngeblasen.
Einige Oellampen erhellten stinkend und qualmend den dunklen Raum,
und fast das ganze Publicum, bis auf die Weiber, rauchte. Endlich
wurde zum Anfang geklingelt. Eine schrecklich zerrissene Harfen ud
eine Flöte waren unser Orchester, sie sollten die lieben Harmonien
eines Mozart aufführen.. Kann man sich etwas Tolleres denken?
Der Vorhang flog auf und es zeigte sich ein Bühnenraum, kaum
großer als ein Vogelbauer. Die Darstellung war, wie man sich
denken kann, schlecht, aber sie war gleichmäßig schlecht, was man zu¬
weilen in den großen Theatern wünschen möchte, und ich konnte
wenigstens lachen. Die Stimmen klangen wie knarrende Thüren; die
Oper war in zwei Acte zusammengezogen, der Gesang des Papa-
geno, sein Hin- und Herhüpfen mit dem Vogelbauer, so wie das
Schloß vor seinem Munde stimmten das Publicum zur größten Freude,
es war mit dem dargebotenen Genusse vollkommen zufrieden. In dem
Zwischenacte verkauften die Schauspielerinnen im Costüni, die Köni¬
gin der Nacht mit langem Flitterschleier nicht ausgenommen, Grog
und Punsch und ließen sich von den Matrosen, die vielleicht nie eine
Schauspielerin in der Nähe gesehen hatten, jubelnd umarmen; Pa-
pageno bettelte die Reihen durch, und als das Stück vollendet war,
stand er wieder am Ausgange und blies das Publicum zu einer
neuen Vorstellung zusammen!

Ehe ich Hamburg verließ, fuhr ich nach Wandsbcck, um in dem
schönen, herbstlich schattirter Holze eines reizenden Durchblicks nach
Hamburg zu genießen und auch die Orte nicht zu vergessen, wo der
alte Claudius seinen Boten schrieb und Voß den Homer übersetzte.
Man achtet hier wenig auf solche Erinnerungen und das schlichte
Denkmal des deutschen Messiadensängers vor der kleinen Kirche zu
Ottensen ist einem gänzlichen Verfalle nahe.




Durch den großen Hamburger Hafen fliegt 'unser Dampfboot,
der Kronprinz von Hannover; ringsumher liegen die größten Colosse,
um deren Kiel die Fluchen der fernsten Meere gerauscht haben, rings
umher wehen die Flaggen aller seefahrenden Völker. Nur noch we<


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/602>, abgerufen am 29.06.2024.