wird in seinen Ausdrücken zuweilen so derb, daß seine Gedichte auf ein Haar breit dein Pasquille gleichen, aber diese unerschrockene Rücksichtslosigkeit, zweifelhaften Masken gegenüber, kann im Grunde nicht schaden.
Seine Gedichte haben nun weder Reiz durch die Poesie, noch durch die Harmonie und Klarheit ihrer Gedanken, sondern eben nur durch die schreckliche Macht ihrer Wahrheit. Pasquille sind sie nicht; Hocker mißbraucht die Waffe nie, welche in seinen Händen liegt, er wettert nur da, wo sich sein Rechtsgefühl empört und wo "das Ge¬ setz nicht trifft." Da schlägt/r unbarmherzig los mit seinem Knüttel. Wie ein Lauffeuer fliegen dann Hocker'S Verse durch Ham¬ burg und das Volk hat seine Justiz gehalten.
Ich habe das Wiener Lerchenfeld und den Wurstlprater gesehen, aber das ist Nichts gegen dieses Getreibe, Hier wogt das Weltleben auf und ab. Matrosen aller Nationen, prächtige Kerle, derb, stark und von den Meereöstürmen durchwettert, jubeln hier umher, verges¬ sen hier die Strapatzen halbjähriger Seereisen, verschwenden in we¬ nigen Tagen in unnützen Einkäufen und am Arm der liederlichsten Dirnen die Erwerbnisse eines halben Jahres, und gehen dann, wenn Nichts mehr übrig ist, nicht traurig, sondern pfeifend und wohlge¬ mut!) an Bord, um auf lange Zeit wieder Sklaven zu sein. Eil, kecker, brauner Matroje im Staate, in feiner blauer Tuchjacke und gleichen Hosen, die starke, hohe Brust mit dem gestreiften Hemde kaum bedeckend, daS Tuch locker um den Hals geschlungen, den gel¬ ben Strohhut keck auf das krause Haar gedrückt, macht den schönste" Eindruck. Boutiken, Menagerien, Schaustellungen, CaroussellS, Pup¬ pentheater, WachsfigurencabinetS reihen sich hier dicht an einander, um das Volk zu belustigen, und ich habe hier ein Theater entdeckt, welches gewiß in ganz Deutschland nicht Seinesgleichen findet. Der Eintritt kostet weniger als zwei Groschen, dafür kann man den Tell, den Faust, die Jungfrau von Orleans, die Hugenotten, das Donau¬ weibchen, kurz die bedeutendste!? Theaterstücke sehen, und zwar nicht von hölzernen Puppen, sondern von lebenden Personen dargestellt. Dieses Theater kündigt sich als "Nationaltheater" an. Es ist der Sammelplatz der müßigen Matrosen, der Freudenmädchen, der Lehrjungen, der Straßenbuben u. s. w. Heikle wurde die Zau- berflöte gegeben. Papageno stand, im Gesichte ziegelroth geschminkt,
wird in seinen Ausdrücken zuweilen so derb, daß seine Gedichte auf ein Haar breit dein Pasquille gleichen, aber diese unerschrockene Rücksichtslosigkeit, zweifelhaften Masken gegenüber, kann im Grunde nicht schaden.
Seine Gedichte haben nun weder Reiz durch die Poesie, noch durch die Harmonie und Klarheit ihrer Gedanken, sondern eben nur durch die schreckliche Macht ihrer Wahrheit. Pasquille sind sie nicht; Hocker mißbraucht die Waffe nie, welche in seinen Händen liegt, er wettert nur da, wo sich sein Rechtsgefühl empört und wo „das Ge¬ setz nicht trifft." Da schlägt/r unbarmherzig los mit seinem Knüttel. Wie ein Lauffeuer fliegen dann Hocker'S Verse durch Ham¬ burg und das Volk hat seine Justiz gehalten.
Ich habe das Wiener Lerchenfeld und den Wurstlprater gesehen, aber das ist Nichts gegen dieses Getreibe, Hier wogt das Weltleben auf und ab. Matrosen aller Nationen, prächtige Kerle, derb, stark und von den Meereöstürmen durchwettert, jubeln hier umher, verges¬ sen hier die Strapatzen halbjähriger Seereisen, verschwenden in we¬ nigen Tagen in unnützen Einkäufen und am Arm der liederlichsten Dirnen die Erwerbnisse eines halben Jahres, und gehen dann, wenn Nichts mehr übrig ist, nicht traurig, sondern pfeifend und wohlge¬ mut!) an Bord, um auf lange Zeit wieder Sklaven zu sein. Eil, kecker, brauner Matroje im Staate, in feiner blauer Tuchjacke und gleichen Hosen, die starke, hohe Brust mit dem gestreiften Hemde kaum bedeckend, daS Tuch locker um den Hals geschlungen, den gel¬ ben Strohhut keck auf das krause Haar gedrückt, macht den schönste» Eindruck. Boutiken, Menagerien, Schaustellungen, CaroussellS, Pup¬ pentheater, WachsfigurencabinetS reihen sich hier dicht an einander, um das Volk zu belustigen, und ich habe hier ein Theater entdeckt, welches gewiß in ganz Deutschland nicht Seinesgleichen findet. Der Eintritt kostet weniger als zwei Groschen, dafür kann man den Tell, den Faust, die Jungfrau von Orleans, die Hugenotten, das Donau¬ weibchen, kurz die bedeutendste!? Theaterstücke sehen, und zwar nicht von hölzernen Puppen, sondern von lebenden Personen dargestellt. Dieses Theater kündigt sich als „Nationaltheater" an. Es ist der Sammelplatz der müßigen Matrosen, der Freudenmädchen, der Lehrjungen, der Straßenbuben u. s. w. Heikle wurde die Zau- berflöte gegeben. Papageno stand, im Gesichte ziegelroth geschminkt,
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wird in seinen Ausdrücken zuweilen so derb, daß seine Gedichte auf
ein Haar breit dein Pasquille gleichen, aber diese unerschrockene
Rücksichtslosigkeit, zweifelhaften Masken gegenüber, kann im Grunde
nicht schaden.
Seine Gedichte haben nun weder Reiz durch die Poesie, noch
durch die Harmonie und Klarheit ihrer Gedanken, sondern eben nur
durch die schreckliche Macht ihrer Wahrheit. Pasquille sind sie nicht;
Hocker mißbraucht die Waffe nie, welche in seinen Händen liegt, er
wettert nur da, wo sich sein Rechtsgefühl empört und wo „das Ge¬
setz nicht trifft." Da schlägt/r unbarmherzig los mit seinem
Knüttel. Wie ein Lauffeuer fliegen dann Hocker'S Verse durch Ham¬
burg und das Volk hat seine Justiz gehalten.
Ich habe das Wiener Lerchenfeld und den Wurstlprater gesehen,
aber das ist Nichts gegen dieses Getreibe, Hier wogt das Weltleben
auf und ab. Matrosen aller Nationen, prächtige Kerle, derb, stark
und von den Meereöstürmen durchwettert, jubeln hier umher, verges¬
sen hier die Strapatzen halbjähriger Seereisen, verschwenden in we¬
nigen Tagen in unnützen Einkäufen und am Arm der liederlichsten
Dirnen die Erwerbnisse eines halben Jahres, und gehen dann, wenn
Nichts mehr übrig ist, nicht traurig, sondern pfeifend und wohlge¬
mut!) an Bord, um auf lange Zeit wieder Sklaven zu sein. Eil,
kecker, brauner Matroje im Staate, in feiner blauer Tuchjacke und
gleichen Hosen, die starke, hohe Brust mit dem gestreiften Hemde
kaum bedeckend, daS Tuch locker um den Hals geschlungen, den gel¬
ben Strohhut keck auf das krause Haar gedrückt, macht den schönste»
Eindruck. Boutiken, Menagerien, Schaustellungen, CaroussellS, Pup¬
pentheater, WachsfigurencabinetS reihen sich hier dicht an einander,
um das Volk zu belustigen, und ich habe hier ein Theater entdeckt,
welches gewiß in ganz Deutschland nicht Seinesgleichen findet. Der
Eintritt kostet weniger als zwei Groschen, dafür kann man den Tell,
den Faust, die Jungfrau von Orleans, die Hugenotten, das Donau¬
weibchen, kurz die bedeutendste!? Theaterstücke sehen, und zwar nicht
von hölzernen Puppen, sondern von lebenden Personen dargestellt.
Dieses Theater kündigt sich als „Nationaltheater" an. Es ist der
Sammelplatz der müßigen Matrosen, der Freudenmädchen, der
Lehrjungen, der Straßenbuben u. s. w. Heikle wurde die Zau-
berflöte gegeben. Papageno stand, im Gesichte ziegelroth geschminkt,
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/601>, abgerufen am 23.12.2024.
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