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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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sie die liberalsten Städte sind und bei ihnen ohnedies Alles vortreff¬
lich und tadellos ist. So sind aus Hamburger Pressen die freisin¬
nigsten Schriften über Preußen, Oesterreich ze. hervorgegangen; aber
in Hamburger Zeitungen wird man vergebens ein freies Wort über
Hamburg suchen. Und als in Leipzig eine Schrift: "An die von
Hamburg und vom Gebiet" erschien, reclamirte die Republik so gut,
wie es etwa Hannover thäte, und der Verfasser sitzt noch heute in
Untersuchung und dürfte noch lange sitzen. -- Gutzkow, den ich lei¬
der nicht persönlich kennen lernte, scheint seit der "Schule! der Rei¬
chen", von der noch immer gesprochen wird, sehr bitter gegen Hamburg
gestimmt. Er stand hier allein der literarischen Mittelmäßigkeit und
Schlechtigkeit aristokratisch gegenüber. Diese suchte ihn dafür zu ver¬
dächtigen und herabzuwürdigen, wo und wie sie nur konnte, und al¬
len seinen Bestrebungen etwas Böses nachzusagen. Der geniale
Hebbel ist mit einem dänischen Stipendium auf Reisen gegangen,
nach Frankreich und England. Der edle Wien barg lebt in Al-
tona ein sehr einsiedlerisches Leben; selbst seine Feder zeigt sich selten
in den von ihm redigirten "Literarischen Blättern der Börsenhalle".
Gabriel Richter besorgt hier in Hamburg Notariatsgeschäfte und
ist immer noch der feurigste Verfechter der Judenemancipation. Sein
uneigennütziges Streben wird immer die größte Anerkennung verdienen.

Es hat hier ein junger Mann, dessen literarische Stellung man
nicht hoch anschlagen kann, obgleich ihm keineswegs poetisches Talent
abzusprechen ist, eine wunderbare, volksthümliche Bedeutung gewon¬
nen: Wilhelm Hocker. Sein Name ist schon mehrere Male in
den Zeitungen genannt worden, seinem Geschäfte nach ist er ein
Weinküper. Ich glaube, das Hamburger Volk, die Klasse der Holz¬
säger u. f. w. würde für ihn das Aeußerste wagen. Das macht
ihn in den Augen der Behörden so gefährlich; man hat ihn schon
mehrere Male eingesteckt, aber immer wieder gleich loslassen müssen,
weil das Volk murrte und drohende Mienen machte. Die derbe Art
und Weise, worin er Ungerechtigkeiten hochstehender Männer rügt,
und die Art von Volksjustiz, welche er in seinen Gedichten ausübt,
indem er jene Sünden und schlechten Streiche schonungslos entschlei¬
ert, welche man gern verdecken möchte, sagt dem Hamburgifthcn
Volkscharakter ganz unendlich zu, er fühlt sich durch Wilhelm Hocker
besser, als durch seine Vierundsechzigcr und Oberalten vertreten. Er


sie die liberalsten Städte sind und bei ihnen ohnedies Alles vortreff¬
lich und tadellos ist. So sind aus Hamburger Pressen die freisin¬
nigsten Schriften über Preußen, Oesterreich ze. hervorgegangen; aber
in Hamburger Zeitungen wird man vergebens ein freies Wort über
Hamburg suchen. Und als in Leipzig eine Schrift: „An die von
Hamburg und vom Gebiet" erschien, reclamirte die Republik so gut,
wie es etwa Hannover thäte, und der Verfasser sitzt noch heute in
Untersuchung und dürfte noch lange sitzen. — Gutzkow, den ich lei¬
der nicht persönlich kennen lernte, scheint seit der „Schule! der Rei¬
chen", von der noch immer gesprochen wird, sehr bitter gegen Hamburg
gestimmt. Er stand hier allein der literarischen Mittelmäßigkeit und
Schlechtigkeit aristokratisch gegenüber. Diese suchte ihn dafür zu ver¬
dächtigen und herabzuwürdigen, wo und wie sie nur konnte, und al¬
len seinen Bestrebungen etwas Böses nachzusagen. Der geniale
Hebbel ist mit einem dänischen Stipendium auf Reisen gegangen,
nach Frankreich und England. Der edle Wien barg lebt in Al-
tona ein sehr einsiedlerisches Leben; selbst seine Feder zeigt sich selten
in den von ihm redigirten „Literarischen Blättern der Börsenhalle".
Gabriel Richter besorgt hier in Hamburg Notariatsgeschäfte und
ist immer noch der feurigste Verfechter der Judenemancipation. Sein
uneigennütziges Streben wird immer die größte Anerkennung verdienen.

Es hat hier ein junger Mann, dessen literarische Stellung man
nicht hoch anschlagen kann, obgleich ihm keineswegs poetisches Talent
abzusprechen ist, eine wunderbare, volksthümliche Bedeutung gewon¬
nen: Wilhelm Hocker. Sein Name ist schon mehrere Male in
den Zeitungen genannt worden, seinem Geschäfte nach ist er ein
Weinküper. Ich glaube, das Hamburger Volk, die Klasse der Holz¬
säger u. f. w. würde für ihn das Aeußerste wagen. Das macht
ihn in den Augen der Behörden so gefährlich; man hat ihn schon
mehrere Male eingesteckt, aber immer wieder gleich loslassen müssen,
weil das Volk murrte und drohende Mienen machte. Die derbe Art
und Weise, worin er Ungerechtigkeiten hochstehender Männer rügt,
und die Art von Volksjustiz, welche er in seinen Gedichten ausübt,
indem er jene Sünden und schlechten Streiche schonungslos entschlei¬
ert, welche man gern verdecken möchte, sagt dem Hamburgifthcn
Volkscharakter ganz unendlich zu, er fühlt sich durch Wilhelm Hocker
besser, als durch seine Vierundsechzigcr und Oberalten vertreten. Er


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[0600] sie die liberalsten Städte sind und bei ihnen ohnedies Alles vortreff¬ lich und tadellos ist. So sind aus Hamburger Pressen die freisin¬ nigsten Schriften über Preußen, Oesterreich ze. hervorgegangen; aber in Hamburger Zeitungen wird man vergebens ein freies Wort über Hamburg suchen. Und als in Leipzig eine Schrift: „An die von Hamburg und vom Gebiet" erschien, reclamirte die Republik so gut, wie es etwa Hannover thäte, und der Verfasser sitzt noch heute in Untersuchung und dürfte noch lange sitzen. — Gutzkow, den ich lei¬ der nicht persönlich kennen lernte, scheint seit der „Schule! der Rei¬ chen", von der noch immer gesprochen wird, sehr bitter gegen Hamburg gestimmt. Er stand hier allein der literarischen Mittelmäßigkeit und Schlechtigkeit aristokratisch gegenüber. Diese suchte ihn dafür zu ver¬ dächtigen und herabzuwürdigen, wo und wie sie nur konnte, und al¬ len seinen Bestrebungen etwas Böses nachzusagen. Der geniale Hebbel ist mit einem dänischen Stipendium auf Reisen gegangen, nach Frankreich und England. Der edle Wien barg lebt in Al- tona ein sehr einsiedlerisches Leben; selbst seine Feder zeigt sich selten in den von ihm redigirten „Literarischen Blättern der Börsenhalle". Gabriel Richter besorgt hier in Hamburg Notariatsgeschäfte und ist immer noch der feurigste Verfechter der Judenemancipation. Sein uneigennütziges Streben wird immer die größte Anerkennung verdienen. Es hat hier ein junger Mann, dessen literarische Stellung man nicht hoch anschlagen kann, obgleich ihm keineswegs poetisches Talent abzusprechen ist, eine wunderbare, volksthümliche Bedeutung gewon¬ nen: Wilhelm Hocker. Sein Name ist schon mehrere Male in den Zeitungen genannt worden, seinem Geschäfte nach ist er ein Weinküper. Ich glaube, das Hamburger Volk, die Klasse der Holz¬ säger u. f. w. würde für ihn das Aeußerste wagen. Das macht ihn in den Augen der Behörden so gefährlich; man hat ihn schon mehrere Male eingesteckt, aber immer wieder gleich loslassen müssen, weil das Volk murrte und drohende Mienen machte. Die derbe Art und Weise, worin er Ungerechtigkeiten hochstehender Männer rügt, und die Art von Volksjustiz, welche er in seinen Gedichten ausübt, indem er jene Sünden und schlechten Streiche schonungslos entschlei¬ ert, welche man gern verdecken möchte, sagt dem Hamburgifthcn Volkscharakter ganz unendlich zu, er fühlt sich durch Wilhelm Hocker besser, als durch seine Vierundsechzigcr und Oberalten vertreten. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/600>, abgerufen am 23.12.2024.