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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ausgegeben: Die Börseiihalle, der Korrespondent und die Neue Zei¬
tung. Die Börsenhalle berücksichtigt mehr als alle übrigen die In¬
teressen des Kaufmanns und sucht auch ihre politischen Nachrichten
nach diesem Maßstabe zu begrenzen. In Deutschland hat sie keine
Originalcorrespondenzen, wohl aber in London. Der Hamburger
Correspondent gehört zu der "guten Presse", er war mein guter Be¬
kannter von Petersburg her, ich hatte ihn dort zu viel lesen müssen,
als daß ich ihn hier, bei größerer Auswahl, wieder angesehen hätte.
Herr Nunkel ist ein großer Anhänger des russischen Cabinets und
soll daher auch russischen Caviar, Austern und Gänseleberpasteten zu
seinen intimsten und getreuesten Freunden zählen. Der Hamburger
Korrespondent steht aber dasür mit der öffentlichen Meinung auf kei¬
nem guten Fuß und soll von seinen 6000 Abonnenten schon 3000
verloren haben und wenn er so fortfährt, wird er immer tiefer
sinken oder es wird dem Herrn Runkel wie seinem liebens¬
würdigen Bruder bei der Elberfelder Zeitung ergehen. Vielleicht
schickt das russische Cabinet aber dann eine ernährende Note an den
Besitzer des Correspondenten und läßt die Wiedereinsetzung des Herrn
Runkel verlangen. Die Neue Zeitung will die liberale Partei ver¬
treten, ihre Korrespondenzen aus Berlin zeigen auch wirklich von
Geist, Scharfsinn und oppositioneller Ueberzeugung, aber sie sind auch
das Beste an ihr und nur durch diese guten Korrespondenzen hat sich
diese Zeitung in Preußen jo großen Rufes zu erfreuen. Unter der
Redaction von Fran^vis Wille, sagt man, ist sie besser gewesen.

Allein auch damals zeigte sie schon jenen charakterlosen Klatsch¬
liberalismus, der fast in allen kleineren deutschen Staaten und Städ¬
ten herrscht; der ungemein muthig gegen alle ausländischen Fürsten
spricht, aber nicht ein Wort wagt gegen den heimischen Bürgermei¬
ster. Oder ist überall die Censur Schuld an diesem Systeme gegen¬
seitiger Verleumdung und allgemeinen Selbstlobs? Der Leipziger
darf über Berlin, der Berliner über Dresden, der Dresdner über Kuh-
schnappel und der Kuhschnappler über Ritzebüttel ze. das schärfste Ur¬
theil fällen. Leipzig, Berlin, Dresden, Kuhschnappel, Ritzebüttel bil¬
den sich dann nicht wenig auf ihren Freimuth oder ihre gelinde
Censur ein. Wehe aber Dem, der in Kuhschnappel selbst über Kuhsch¬
nappel und in Ritzebüttel selbst über Ritzebüttel reden will. Denn
dieses können Kuhschnappel und Ritzebüttel nicht vertragen, sintemal


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ausgegeben: Die Börseiihalle, der Korrespondent und die Neue Zei¬
tung. Die Börsenhalle berücksichtigt mehr als alle übrigen die In¬
teressen des Kaufmanns und sucht auch ihre politischen Nachrichten
nach diesem Maßstabe zu begrenzen. In Deutschland hat sie keine
Originalcorrespondenzen, wohl aber in London. Der Hamburger
Correspondent gehört zu der „guten Presse", er war mein guter Be¬
kannter von Petersburg her, ich hatte ihn dort zu viel lesen müssen,
als daß ich ihn hier, bei größerer Auswahl, wieder angesehen hätte.
Herr Nunkel ist ein großer Anhänger des russischen Cabinets und
soll daher auch russischen Caviar, Austern und Gänseleberpasteten zu
seinen intimsten und getreuesten Freunden zählen. Der Hamburger
Korrespondent steht aber dasür mit der öffentlichen Meinung auf kei¬
nem guten Fuß und soll von seinen 6000 Abonnenten schon 3000
verloren haben und wenn er so fortfährt, wird er immer tiefer
sinken oder es wird dem Herrn Runkel wie seinem liebens¬
würdigen Bruder bei der Elberfelder Zeitung ergehen. Vielleicht
schickt das russische Cabinet aber dann eine ernährende Note an den
Besitzer des Correspondenten und läßt die Wiedereinsetzung des Herrn
Runkel verlangen. Die Neue Zeitung will die liberale Partei ver¬
treten, ihre Korrespondenzen aus Berlin zeigen auch wirklich von
Geist, Scharfsinn und oppositioneller Ueberzeugung, aber sie sind auch
das Beste an ihr und nur durch diese guten Korrespondenzen hat sich
diese Zeitung in Preußen jo großen Rufes zu erfreuen. Unter der
Redaction von Fran^vis Wille, sagt man, ist sie besser gewesen.

Allein auch damals zeigte sie schon jenen charakterlosen Klatsch¬
liberalismus, der fast in allen kleineren deutschen Staaten und Städ¬
ten herrscht; der ungemein muthig gegen alle ausländischen Fürsten
spricht, aber nicht ein Wort wagt gegen den heimischen Bürgermei¬
ster. Oder ist überall die Censur Schuld an diesem Systeme gegen¬
seitiger Verleumdung und allgemeinen Selbstlobs? Der Leipziger
darf über Berlin, der Berliner über Dresden, der Dresdner über Kuh-
schnappel und der Kuhschnappler über Ritzebüttel ze. das schärfste Ur¬
theil fällen. Leipzig, Berlin, Dresden, Kuhschnappel, Ritzebüttel bil¬
den sich dann nicht wenig auf ihren Freimuth oder ihre gelinde
Censur ein. Wehe aber Dem, der in Kuhschnappel selbst über Kuhsch¬
nappel und in Ritzebüttel selbst über Ritzebüttel reden will. Denn
dieses können Kuhschnappel und Ritzebüttel nicht vertragen, sintemal


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[0599] ausgegeben: Die Börseiihalle, der Korrespondent und die Neue Zei¬ tung. Die Börsenhalle berücksichtigt mehr als alle übrigen die In¬ teressen des Kaufmanns und sucht auch ihre politischen Nachrichten nach diesem Maßstabe zu begrenzen. In Deutschland hat sie keine Originalcorrespondenzen, wohl aber in London. Der Hamburger Correspondent gehört zu der „guten Presse", er war mein guter Be¬ kannter von Petersburg her, ich hatte ihn dort zu viel lesen müssen, als daß ich ihn hier, bei größerer Auswahl, wieder angesehen hätte. Herr Nunkel ist ein großer Anhänger des russischen Cabinets und soll daher auch russischen Caviar, Austern und Gänseleberpasteten zu seinen intimsten und getreuesten Freunden zählen. Der Hamburger Korrespondent steht aber dasür mit der öffentlichen Meinung auf kei¬ nem guten Fuß und soll von seinen 6000 Abonnenten schon 3000 verloren haben und wenn er so fortfährt, wird er immer tiefer sinken oder es wird dem Herrn Runkel wie seinem liebens¬ würdigen Bruder bei der Elberfelder Zeitung ergehen. Vielleicht schickt das russische Cabinet aber dann eine ernährende Note an den Besitzer des Correspondenten und läßt die Wiedereinsetzung des Herrn Runkel verlangen. Die Neue Zeitung will die liberale Partei ver¬ treten, ihre Korrespondenzen aus Berlin zeigen auch wirklich von Geist, Scharfsinn und oppositioneller Ueberzeugung, aber sie sind auch das Beste an ihr und nur durch diese guten Korrespondenzen hat sich diese Zeitung in Preußen jo großen Rufes zu erfreuen. Unter der Redaction von Fran^vis Wille, sagt man, ist sie besser gewesen. Allein auch damals zeigte sie schon jenen charakterlosen Klatsch¬ liberalismus, der fast in allen kleineren deutschen Staaten und Städ¬ ten herrscht; der ungemein muthig gegen alle ausländischen Fürsten spricht, aber nicht ein Wort wagt gegen den heimischen Bürgermei¬ ster. Oder ist überall die Censur Schuld an diesem Systeme gegen¬ seitiger Verleumdung und allgemeinen Selbstlobs? Der Leipziger darf über Berlin, der Berliner über Dresden, der Dresdner über Kuh- schnappel und der Kuhschnappler über Ritzebüttel ze. das schärfste Ur¬ theil fällen. Leipzig, Berlin, Dresden, Kuhschnappel, Ritzebüttel bil¬ den sich dann nicht wenig auf ihren Freimuth oder ihre gelinde Censur ein. Wehe aber Dem, der in Kuhschnappel selbst über Kuhsch¬ nappel und in Ritzebüttel selbst über Ritzebüttel reden will. Denn dieses können Kuhschnappel und Ritzebüttel nicht vertragen, sintemal 77 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/599>, abgerufen am 29.06.2024.