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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Mit der Literatur in Hamburg sieht es auch mehr als mißlich
aus. Ein Freund führte mich in das Gaden'sche Kaffeehaus, dicht
neben dem Theater, wo ich hamburgische Schriftsteller treffen sollte;
ich sah dort aber nur die Herren Töpfer, Bärmann und Wollheim,
Töpfer's Thalia ist eine wahre Schauspielerschröpfanstalt gewesen,
aber endlich eingegangen an Abonnentenmangel. Töpfer ist indessen
nicht ganz vcrdienstlos und hat eine große Theaterrontine; man merkt
sie allen seinen Stücken an und er hat mitunter recht hübsche Dinge,
wenn auch nichts Dauerndes und Großes, für die Bühne geleistet.
Woll hei in soll jetzt in Hamburg ein Journal "der Herold" heraus¬
geben, welches ich aber nirgends zu sehen bekommen konnte. Bär¬
mann, ein guter Mensch, aber auch Verfasser von allerhand Religions¬
büchern, spanischen Grammatiker, Schauspielen, Kochbüchern:c., ist
gewöhnt, als Familienvater an die Großmuth des Hamburger Puo-
licums zu appelliren. Wenn nämlich eine strenge Recension über
ihn erscheint, rührt er sogleich durch den Familienvater und das soll
den Hamburgern ganz unendlich gefallen.

Es kommen hier eine Menge sogenannter Volksblätter heraus ;
der Volksfreund, der Freischütz, der Erzähler, der Beobachter. Sie
leben alle von dem unverschämtesten Nachdruck und die Redacteure
dieser Journale sind in der Regel Menschen, welche die gewöhnlichste
Bildung gar nicht zu vermissen scheinen. Schreiben sie doch blos
für das Volk! Daß diese Aufgabe eben die schwierigste ist,, davon
haben sie keine Ahnung. Der "Freischütz" sucht seine Hauptstärke in
Theaterkritiken, die den Ton einer affectirter Naivetät führen; der
"Beobachter" zählt etwas gar zu gewissenhaft, wie viele Freudenmäd¬
chen des Nachts arretirt worden sind, und wie viele Prügeleien, Be^
soffenheiten, Diebstähle :c. in der Woche stattgefunden haben. Ver¬
muthlich glaubt er -- eingedenk des großen Wortes der Preußischen
Allgemeinen Zeitung -- das Volk am sichersten durch Statistik zu bild co
Dem schlechten Einflüsse dieser Blätter entgegen zu wirken, ist hier
ein Journal "der Tagewächtcr an der Elbe" entstanden, welches den
literarischen Diebstahl als Nahrungsquelle verschmäht und liberale
Ideen in sich aufzunehmen bemüht ist. Es ist ihm aller mögliche Er¬
folg zu wünschen.

Größere politische Blätter, die wöchentlichen Nachrichten ausge¬
nommen, welche aber täglich, erscheinen, werden drei in Hamburg


Mit der Literatur in Hamburg sieht es auch mehr als mißlich
aus. Ein Freund führte mich in das Gaden'sche Kaffeehaus, dicht
neben dem Theater, wo ich hamburgische Schriftsteller treffen sollte;
ich sah dort aber nur die Herren Töpfer, Bärmann und Wollheim,
Töpfer's Thalia ist eine wahre Schauspielerschröpfanstalt gewesen,
aber endlich eingegangen an Abonnentenmangel. Töpfer ist indessen
nicht ganz vcrdienstlos und hat eine große Theaterrontine; man merkt
sie allen seinen Stücken an und er hat mitunter recht hübsche Dinge,
wenn auch nichts Dauerndes und Großes, für die Bühne geleistet.
Woll hei in soll jetzt in Hamburg ein Journal „der Herold" heraus¬
geben, welches ich aber nirgends zu sehen bekommen konnte. Bär¬
mann, ein guter Mensch, aber auch Verfasser von allerhand Religions¬
büchern, spanischen Grammatiker, Schauspielen, Kochbüchern:c., ist
gewöhnt, als Familienvater an die Großmuth des Hamburger Puo-
licums zu appelliren. Wenn nämlich eine strenge Recension über
ihn erscheint, rührt er sogleich durch den Familienvater und das soll
den Hamburgern ganz unendlich gefallen.

Es kommen hier eine Menge sogenannter Volksblätter heraus ;
der Volksfreund, der Freischütz, der Erzähler, der Beobachter. Sie
leben alle von dem unverschämtesten Nachdruck und die Redacteure
dieser Journale sind in der Regel Menschen, welche die gewöhnlichste
Bildung gar nicht zu vermissen scheinen. Schreiben sie doch blos
für das Volk! Daß diese Aufgabe eben die schwierigste ist,, davon
haben sie keine Ahnung. Der „Freischütz" sucht seine Hauptstärke in
Theaterkritiken, die den Ton einer affectirter Naivetät führen; der
„Beobachter" zählt etwas gar zu gewissenhaft, wie viele Freudenmäd¬
chen des Nachts arretirt worden sind, und wie viele Prügeleien, Be^
soffenheiten, Diebstähle :c. in der Woche stattgefunden haben. Ver¬
muthlich glaubt er — eingedenk des großen Wortes der Preußischen
Allgemeinen Zeitung — das Volk am sichersten durch Statistik zu bild co
Dem schlechten Einflüsse dieser Blätter entgegen zu wirken, ist hier
ein Journal „der Tagewächtcr an der Elbe" entstanden, welches den
literarischen Diebstahl als Nahrungsquelle verschmäht und liberale
Ideen in sich aufzunehmen bemüht ist. Es ist ihm aller mögliche Er¬
folg zu wünschen.

Größere politische Blätter, die wöchentlichen Nachrichten ausge¬
nommen, welche aber täglich, erscheinen, werden drei in Hamburg


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[0598] Mit der Literatur in Hamburg sieht es auch mehr als mißlich aus. Ein Freund führte mich in das Gaden'sche Kaffeehaus, dicht neben dem Theater, wo ich hamburgische Schriftsteller treffen sollte; ich sah dort aber nur die Herren Töpfer, Bärmann und Wollheim, Töpfer's Thalia ist eine wahre Schauspielerschröpfanstalt gewesen, aber endlich eingegangen an Abonnentenmangel. Töpfer ist indessen nicht ganz vcrdienstlos und hat eine große Theaterrontine; man merkt sie allen seinen Stücken an und er hat mitunter recht hübsche Dinge, wenn auch nichts Dauerndes und Großes, für die Bühne geleistet. Woll hei in soll jetzt in Hamburg ein Journal „der Herold" heraus¬ geben, welches ich aber nirgends zu sehen bekommen konnte. Bär¬ mann, ein guter Mensch, aber auch Verfasser von allerhand Religions¬ büchern, spanischen Grammatiker, Schauspielen, Kochbüchern:c., ist gewöhnt, als Familienvater an die Großmuth des Hamburger Puo- licums zu appelliren. Wenn nämlich eine strenge Recension über ihn erscheint, rührt er sogleich durch den Familienvater und das soll den Hamburgern ganz unendlich gefallen. Es kommen hier eine Menge sogenannter Volksblätter heraus ; der Volksfreund, der Freischütz, der Erzähler, der Beobachter. Sie leben alle von dem unverschämtesten Nachdruck und die Redacteure dieser Journale sind in der Regel Menschen, welche die gewöhnlichste Bildung gar nicht zu vermissen scheinen. Schreiben sie doch blos für das Volk! Daß diese Aufgabe eben die schwierigste ist,, davon haben sie keine Ahnung. Der „Freischütz" sucht seine Hauptstärke in Theaterkritiken, die den Ton einer affectirter Naivetät führen; der „Beobachter" zählt etwas gar zu gewissenhaft, wie viele Freudenmäd¬ chen des Nachts arretirt worden sind, und wie viele Prügeleien, Be^ soffenheiten, Diebstähle :c. in der Woche stattgefunden haben. Ver¬ muthlich glaubt er — eingedenk des großen Wortes der Preußischen Allgemeinen Zeitung — das Volk am sichersten durch Statistik zu bild co Dem schlechten Einflüsse dieser Blätter entgegen zu wirken, ist hier ein Journal „der Tagewächtcr an der Elbe" entstanden, welches den literarischen Diebstahl als Nahrungsquelle verschmäht und liberale Ideen in sich aufzunehmen bemüht ist. Es ist ihm aller mögliche Er¬ folg zu wünschen. Größere politische Blätter, die wöchentlichen Nachrichten ausge¬ nommen, welche aber täglich, erscheinen, werden drei in Hamburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/598>, abgerufen am 29.06.2024.