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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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dem die Völker der Erde im Bewußtsein ihres Rechtes bestärkte und
somit die Menschheit einen Schritt weiter brachte, auf dem harten
Wege, den sie zu gehen hat.

Während sich aber hier die lyrische Poesie an der Poesie der
That entzündete, scheint man in Deutschland einen umgekehrten Weg
einschlagen zu wollen; das Lied soll eine That wecken, die am Ende
weniger etwas Poetisches, als etwas Nothwendiges wäre, nämlich
die Aufhebung von Schmach und Ungerechtigkeiten, die schwer aus
den Fortschritt der Nation drücken. Dafür zu wirken gehört dem
kräftigen Nednerwort an, insofern das Wort überhaupt da¬
für wirken kann. Es ist ein schlimmes Zeichen, , daß wir
unter dem nun verblichenen jungen Deutschland, das sich eine ähn¬
liche Aufgabe setzte, wohl Viele hatten, die sich, gleich Heine, ein
geistreiches Spiel daraus machten, unsere inneren Erbfeinde mit
zierlich neckenden, aber im Grunde unschädlichen c-oufotti zu bewer-
fen, während wir den Mann entbehren, der wie Börne, ohne Ruhm¬
sucht und Selbstliebe, nur erfüllt vom heiligen Eifer für das Recht,
die ermüdende und aufopfernde Arbeit unternehmen würde, dem
Volke zum Bewußtsein seines Berufes zu verhelfen und mit Liebe
und mit jenem geweihten Zorn, den die Liebe gibt, jeden Schritt sei¬
ner tagsgeschichtlichen Bewegungen zu begleiten und zu bewachen. Be¬
sing en aber darf man die Freiheit erst, wenn man sie hat, sie muß
die rechtmäßig angetraute Genossin eines jeden Volkes sein; und ist
sie durchgegangen, so heißt es nur die Rolle eines lächerlichen Ehe¬
mannes spielen, wenn, man, statt mit Schwert und Kolben dreinzu-
schlagen, bis man sie wieder hat, sich in poetische Liebesklagen ergießt: wie
glücklich ihre Reize machen könnten, wenn man sie nur wieder hätte.

Dennoch ist weder der Wunsch noch die Möglichkeit vorhanden,
daß die deutsche Lyrik zum gedankenlosen Lallen ihrer Kindheit zu¬
rückkehre, sich empfindungstrunken wieder ganz in den Mai und die
erste Liebe versenke und ferne vom Geräusche der Zeit einsame, wenig
beachtete Pfade wandle. Im Gegentheile, je weniger unsere Zeit von
äußeren Thaten und Ereignissen, je mehr sie von socialen Jdeenent-
wtcklungen bewegt, ja erschüttert wird, desto tiefer greift sie in die
wichtigsten Interessen des Individuums ein, dessen Subjektivität doch
immer, die Urquelle der Lyrik ist. Es wird kaum Einen geben, der
nicht an eine der Fragen, die sich gegenwärtig zur Entscheidung drän-


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dem die Völker der Erde im Bewußtsein ihres Rechtes bestärkte und
somit die Menschheit einen Schritt weiter brachte, auf dem harten
Wege, den sie zu gehen hat.

Während sich aber hier die lyrische Poesie an der Poesie der
That entzündete, scheint man in Deutschland einen umgekehrten Weg
einschlagen zu wollen; das Lied soll eine That wecken, die am Ende
weniger etwas Poetisches, als etwas Nothwendiges wäre, nämlich
die Aufhebung von Schmach und Ungerechtigkeiten, die schwer aus
den Fortschritt der Nation drücken. Dafür zu wirken gehört dem
kräftigen Nednerwort an, insofern das Wort überhaupt da¬
für wirken kann. Es ist ein schlimmes Zeichen, , daß wir
unter dem nun verblichenen jungen Deutschland, das sich eine ähn¬
liche Aufgabe setzte, wohl Viele hatten, die sich, gleich Heine, ein
geistreiches Spiel daraus machten, unsere inneren Erbfeinde mit
zierlich neckenden, aber im Grunde unschädlichen c-oufotti zu bewer-
fen, während wir den Mann entbehren, der wie Börne, ohne Ruhm¬
sucht und Selbstliebe, nur erfüllt vom heiligen Eifer für das Recht,
die ermüdende und aufopfernde Arbeit unternehmen würde, dem
Volke zum Bewußtsein seines Berufes zu verhelfen und mit Liebe
und mit jenem geweihten Zorn, den die Liebe gibt, jeden Schritt sei¬
ner tagsgeschichtlichen Bewegungen zu begleiten und zu bewachen. Be¬
sing en aber darf man die Freiheit erst, wenn man sie hat, sie muß
die rechtmäßig angetraute Genossin eines jeden Volkes sein; und ist
sie durchgegangen, so heißt es nur die Rolle eines lächerlichen Ehe¬
mannes spielen, wenn, man, statt mit Schwert und Kolben dreinzu-
schlagen, bis man sie wieder hat, sich in poetische Liebesklagen ergießt: wie
glücklich ihre Reize machen könnten, wenn man sie nur wieder hätte.

Dennoch ist weder der Wunsch noch die Möglichkeit vorhanden,
daß die deutsche Lyrik zum gedankenlosen Lallen ihrer Kindheit zu¬
rückkehre, sich empfindungstrunken wieder ganz in den Mai und die
erste Liebe versenke und ferne vom Geräusche der Zeit einsame, wenig
beachtete Pfade wandle. Im Gegentheile, je weniger unsere Zeit von
äußeren Thaten und Ereignissen, je mehr sie von socialen Jdeenent-
wtcklungen bewegt, ja erschüttert wird, desto tiefer greift sie in die
wichtigsten Interessen des Individuums ein, dessen Subjektivität doch
immer, die Urquelle der Lyrik ist. Es wird kaum Einen geben, der
nicht an eine der Fragen, die sich gegenwärtig zur Entscheidung drän-


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[0589] dem die Völker der Erde im Bewußtsein ihres Rechtes bestärkte und somit die Menschheit einen Schritt weiter brachte, auf dem harten Wege, den sie zu gehen hat. Während sich aber hier die lyrische Poesie an der Poesie der That entzündete, scheint man in Deutschland einen umgekehrten Weg einschlagen zu wollen; das Lied soll eine That wecken, die am Ende weniger etwas Poetisches, als etwas Nothwendiges wäre, nämlich die Aufhebung von Schmach und Ungerechtigkeiten, die schwer aus den Fortschritt der Nation drücken. Dafür zu wirken gehört dem kräftigen Nednerwort an, insofern das Wort überhaupt da¬ für wirken kann. Es ist ein schlimmes Zeichen, , daß wir unter dem nun verblichenen jungen Deutschland, das sich eine ähn¬ liche Aufgabe setzte, wohl Viele hatten, die sich, gleich Heine, ein geistreiches Spiel daraus machten, unsere inneren Erbfeinde mit zierlich neckenden, aber im Grunde unschädlichen c-oufotti zu bewer- fen, während wir den Mann entbehren, der wie Börne, ohne Ruhm¬ sucht und Selbstliebe, nur erfüllt vom heiligen Eifer für das Recht, die ermüdende und aufopfernde Arbeit unternehmen würde, dem Volke zum Bewußtsein seines Berufes zu verhelfen und mit Liebe und mit jenem geweihten Zorn, den die Liebe gibt, jeden Schritt sei¬ ner tagsgeschichtlichen Bewegungen zu begleiten und zu bewachen. Be¬ sing en aber darf man die Freiheit erst, wenn man sie hat, sie muß die rechtmäßig angetraute Genossin eines jeden Volkes sein; und ist sie durchgegangen, so heißt es nur die Rolle eines lächerlichen Ehe¬ mannes spielen, wenn, man, statt mit Schwert und Kolben dreinzu- schlagen, bis man sie wieder hat, sich in poetische Liebesklagen ergießt: wie glücklich ihre Reize machen könnten, wenn man sie nur wieder hätte. Dennoch ist weder der Wunsch noch die Möglichkeit vorhanden, daß die deutsche Lyrik zum gedankenlosen Lallen ihrer Kindheit zu¬ rückkehre, sich empfindungstrunken wieder ganz in den Mai und die erste Liebe versenke und ferne vom Geräusche der Zeit einsame, wenig beachtete Pfade wandle. Im Gegentheile, je weniger unsere Zeit von äußeren Thaten und Ereignissen, je mehr sie von socialen Jdeenent- wtcklungen bewegt, ja erschüttert wird, desto tiefer greift sie in die wichtigsten Interessen des Individuums ein, dessen Subjektivität doch immer, die Urquelle der Lyrik ist. Es wird kaum Einen geben, der nicht an eine der Fragen, die sich gegenwärtig zur Entscheidung drän- Äreiizbvmi I. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/589>, abgerufen am 28.09.2024.