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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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fürchten, daß die Freiheit immer ausschließlicher -- zum Gedichte
werde 5).

Die politischen Gedichte der Franzosen und Engländer, insofern
sie Poesien zu sein Anspruch machen, lehnten sich immer an fertige
Zustände, an Geschehenes oder der Geschichte Angehörendes, an Er¬
eignisse und Thaten, die, wenn auch noch nicht in allen ihren Welt-
lichen Folgen, doch als einzelne Erscheinungen für sich abgeschlossen
und vollendet dastanden, denn über dem Unfertigen und erst Werden¬
den, das noch der lärmenden Arbeit des Tages und stündlichen Ver¬
änderungen unterworfen ist, kann die lyrische Poesie, die doch im
Grunde eine reflectirende ist, nicht ruhig und beschaulich schweben,
sie wird noch befleckt und erstickt vom wirbelnden Staub, den die
irdischen Kämpfe aufwühlen. Nur die Geschichte, nicht die Po¬
litik kann zu lyrischen Gefühlen anregen, nur aus dem Fertigen
und darum Ewigen können sich für das Individuum Schmerzen
und Jubel in jener vom Erdenqualm nicht getrübten, vom Tages-
geräüsch nicht übertönten Harmonie entwickeln, die wir Poesie nen¬
nen. So gab die unglückliche Unterjochung Polens nach seinem hel¬
denmütigen Aufstande einen dankbaren und viel ausgebeuteten Stoff)
denn nicht Freiheitsgedanken, -- deren eindringlichste Sprache
weder Reim noch Lied, sondern der Seufzer aus der gepreßten Brust
des Volkes ist -- die Thaten im Namen der Freiheit standen vor
der Seele des Dichters, Thaten, die von dem Gottgeist zeugten, der
die Brust der Menschheit schwellt und die den Donner des Wortes
für die Nachwelt brauchten, als der Donner der Schlacht für die
Mitwelt verhallt war. Und ein schöner Beruf der Poesie war es,
die Thräne, die damals der Genius der Menschheit weinte, in ihren
Busen aufzunehmen und aus der trostlosen Wahrheit der Geschichte,
die von nutzlos vergossenem Blute spricht, das alle Wellen des
schwarzen Meeres nicht von des Drängers Hand wegwaschen wer¬
den, die erhabenere Wahrheit abzuleiten, daß jenes Blut, wenn es
auch keinen materiellen Sieg errang, nicht vergebens geflossen,, son-



Wohl dringt dein Lied, o Deutscher, aus tiefster Herzenskamwer:
Ein Fürstenherz zu sprengen, ihl's nicht der rechte Hammer.
Wohl ist's ein heil'ges Feuer, das DicI, zu singen drängt,
Doch an gesalbten Häuptern hat's noch k-in Haar versengt.
") Moriz Harcmann.

fürchten, daß die Freiheit immer ausschließlicher — zum Gedichte
werde 5).

Die politischen Gedichte der Franzosen und Engländer, insofern
sie Poesien zu sein Anspruch machen, lehnten sich immer an fertige
Zustände, an Geschehenes oder der Geschichte Angehörendes, an Er¬
eignisse und Thaten, die, wenn auch noch nicht in allen ihren Welt-
lichen Folgen, doch als einzelne Erscheinungen für sich abgeschlossen
und vollendet dastanden, denn über dem Unfertigen und erst Werden¬
den, das noch der lärmenden Arbeit des Tages und stündlichen Ver¬
änderungen unterworfen ist, kann die lyrische Poesie, die doch im
Grunde eine reflectirende ist, nicht ruhig und beschaulich schweben,
sie wird noch befleckt und erstickt vom wirbelnden Staub, den die
irdischen Kämpfe aufwühlen. Nur die Geschichte, nicht die Po¬
litik kann zu lyrischen Gefühlen anregen, nur aus dem Fertigen
und darum Ewigen können sich für das Individuum Schmerzen
und Jubel in jener vom Erdenqualm nicht getrübten, vom Tages-
geräüsch nicht übertönten Harmonie entwickeln, die wir Poesie nen¬
nen. So gab die unglückliche Unterjochung Polens nach seinem hel¬
denmütigen Aufstande einen dankbaren und viel ausgebeuteten Stoff)
denn nicht Freiheitsgedanken, — deren eindringlichste Sprache
weder Reim noch Lied, sondern der Seufzer aus der gepreßten Brust
des Volkes ist — die Thaten im Namen der Freiheit standen vor
der Seele des Dichters, Thaten, die von dem Gottgeist zeugten, der
die Brust der Menschheit schwellt und die den Donner des Wortes
für die Nachwelt brauchten, als der Donner der Schlacht für die
Mitwelt verhallt war. Und ein schöner Beruf der Poesie war es,
die Thräne, die damals der Genius der Menschheit weinte, in ihren
Busen aufzunehmen und aus der trostlosen Wahrheit der Geschichte,
die von nutzlos vergossenem Blute spricht, das alle Wellen des
schwarzen Meeres nicht von des Drängers Hand wegwaschen wer¬
den, die erhabenere Wahrheit abzuleiten, daß jenes Blut, wenn es
auch keinen materiellen Sieg errang, nicht vergebens geflossen,, son-



Wohl dringt dein Lied, o Deutscher, aus tiefster Herzenskamwer:
Ein Fürstenherz zu sprengen, ihl's nicht der rechte Hammer.
Wohl ist's ein heil'ges Feuer, das DicI, zu singen drängt,
Doch an gesalbten Häuptern hat's noch k-in Haar versengt.
») Moriz Harcmann.
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[0588] fürchten, daß die Freiheit immer ausschließlicher — zum Gedichte werde 5). Die politischen Gedichte der Franzosen und Engländer, insofern sie Poesien zu sein Anspruch machen, lehnten sich immer an fertige Zustände, an Geschehenes oder der Geschichte Angehörendes, an Er¬ eignisse und Thaten, die, wenn auch noch nicht in allen ihren Welt- lichen Folgen, doch als einzelne Erscheinungen für sich abgeschlossen und vollendet dastanden, denn über dem Unfertigen und erst Werden¬ den, das noch der lärmenden Arbeit des Tages und stündlichen Ver¬ änderungen unterworfen ist, kann die lyrische Poesie, die doch im Grunde eine reflectirende ist, nicht ruhig und beschaulich schweben, sie wird noch befleckt und erstickt vom wirbelnden Staub, den die irdischen Kämpfe aufwühlen. Nur die Geschichte, nicht die Po¬ litik kann zu lyrischen Gefühlen anregen, nur aus dem Fertigen und darum Ewigen können sich für das Individuum Schmerzen und Jubel in jener vom Erdenqualm nicht getrübten, vom Tages- geräüsch nicht übertönten Harmonie entwickeln, die wir Poesie nen¬ nen. So gab die unglückliche Unterjochung Polens nach seinem hel¬ denmütigen Aufstande einen dankbaren und viel ausgebeuteten Stoff) denn nicht Freiheitsgedanken, — deren eindringlichste Sprache weder Reim noch Lied, sondern der Seufzer aus der gepreßten Brust des Volkes ist — die Thaten im Namen der Freiheit standen vor der Seele des Dichters, Thaten, die von dem Gottgeist zeugten, der die Brust der Menschheit schwellt und die den Donner des Wortes für die Nachwelt brauchten, als der Donner der Schlacht für die Mitwelt verhallt war. Und ein schöner Beruf der Poesie war es, die Thräne, die damals der Genius der Menschheit weinte, in ihren Busen aufzunehmen und aus der trostlosen Wahrheit der Geschichte, die von nutzlos vergossenem Blute spricht, das alle Wellen des schwarzen Meeres nicht von des Drängers Hand wegwaschen wer¬ den, die erhabenere Wahrheit abzuleiten, daß jenes Blut, wenn es auch keinen materiellen Sieg errang, nicht vergebens geflossen,, son- Wohl dringt dein Lied, o Deutscher, aus tiefster Herzenskamwer: Ein Fürstenherz zu sprengen, ihl's nicht der rechte Hammer. Wohl ist's ein heil'ges Feuer, das DicI, zu singen drängt, Doch an gesalbten Häuptern hat's noch k-in Haar versengt. ») Moriz Harcmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/588>, abgerufen am 28.09.2024.