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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Magister der jüngeren Literatur zu werden, spricht ihr selbst warm
das Wort gegen die Capricen des Berliner Iland zone.


-- Rainer. --


III.
Der gestiefelte Kater in Berlin.

Nach und nach wird sich doch Alles machen; wir werden Reichs-
stände bekommen, Preßfreiheit, Geschwornengerichte -- Herz, was be¬
gehrst Du? Nur muß man hübsch Geduld haben. Hat nicht der alte
Tieck auch sein Lebelang den Wunsch gehabt, seine Stücke auf der
Bühne ausgeführt zu sehen, und ist dieser Wunsch nicht auch endlich
zur Erfüllung gekommen? Gestern ist der gestiefelte Kater auf Befehl
des Königs über die Bretter gegangen und der alte Dichter ist glück¬
lich. So werden wir auch einst glücklich werden. Freilich hat der
greise Poet fast die Siebzig erst erreichen müssen, ehe ihm sein Her¬
zenswunsch in Erfüllung ging. Allein für eine ganze Nation sind
siebenzig Jahre eine Kleinigkeit und wenn wir nur nicht frü¬
her sterben, so erleben wir gewiß, daß unsere politischen Wünsche, die
wir uns jetzt als Märchen erzählen, gestiefelt und gespornt in Scene
gehen.

Wie die Ausführung ausgefallen? Wie eine Satvre, die vor
mehr als hundert Jahren geschrieben wurde, immer ausfallen kann.
Zum Glück für den Dichter und zum Unglück für uns schrieb er sein
Stück für eine Nation, in deren Geschichte dreißig Jahre so wenig
Unterschied machen, daß sie selbst am Ende eines dreißigjährigen Krie¬
ges nicht weiter ist, als am Anfang. Bei so kleinen Schritten, bei
dem schönen deutschen Wahlspruch: "Immer langsam voran", da paßt
heute noch Vieles) was vor dreißig Jahren paßte. Und so lachte man
denn über die verschollenen Witze des alten Herrn, von denen fast die
Hälfte noch mit ganz spitzigen Pointen stachen. Aber gerade weil wir
noch darüber lachen können, sollten wir nicht lachen. Uebrigens war
der gestrige Abend ein sehr interessanter. Da die Vorstellung nur
auf den Privatwunsch des Königs stattfand (im Concertsaale), so
wurden keine Billets verkauft, sondern nur solche Personen zugelas¬
sen, welche von der Intendanz Einladungsbriefe erhielten. So war
denn ein Publicum von etwa fünfhundert Personen zugegen, das aus
der geistigen Elite Berlins bestand. Keine Celebrität irgend einer
Art fehlte. Nur der Dichter lag kränklich daheim und ließ sich von
Act zu Act Berichte abstatten. Durch die Gegenwart des Hofes er¬
hielten manche Scenen des Stückes, wie z. B. die, in welcher der
"König" und die "Prinzessin" vorkommen, eine prägnantere Bedeu¬
tung. In der Karrikatur der Hofgelehrten mochte sich wohl Man-


Magister der jüngeren Literatur zu werden, spricht ihr selbst warm
das Wort gegen die Capricen des Berliner Iland zone.


— Rainer. —


III.
Der gestiefelte Kater in Berlin.

Nach und nach wird sich doch Alles machen; wir werden Reichs-
stände bekommen, Preßfreiheit, Geschwornengerichte — Herz, was be¬
gehrst Du? Nur muß man hübsch Geduld haben. Hat nicht der alte
Tieck auch sein Lebelang den Wunsch gehabt, seine Stücke auf der
Bühne ausgeführt zu sehen, und ist dieser Wunsch nicht auch endlich
zur Erfüllung gekommen? Gestern ist der gestiefelte Kater auf Befehl
des Königs über die Bretter gegangen und der alte Dichter ist glück¬
lich. So werden wir auch einst glücklich werden. Freilich hat der
greise Poet fast die Siebzig erst erreichen müssen, ehe ihm sein Her¬
zenswunsch in Erfüllung ging. Allein für eine ganze Nation sind
siebenzig Jahre eine Kleinigkeit und wenn wir nur nicht frü¬
her sterben, so erleben wir gewiß, daß unsere politischen Wünsche, die
wir uns jetzt als Märchen erzählen, gestiefelt und gespornt in Scene
gehen.

Wie die Ausführung ausgefallen? Wie eine Satvre, die vor
mehr als hundert Jahren geschrieben wurde, immer ausfallen kann.
Zum Glück für den Dichter und zum Unglück für uns schrieb er sein
Stück für eine Nation, in deren Geschichte dreißig Jahre so wenig
Unterschied machen, daß sie selbst am Ende eines dreißigjährigen Krie¬
ges nicht weiter ist, als am Anfang. Bei so kleinen Schritten, bei
dem schönen deutschen Wahlspruch: „Immer langsam voran", da paßt
heute noch Vieles) was vor dreißig Jahren paßte. Und so lachte man
denn über die verschollenen Witze des alten Herrn, von denen fast die
Hälfte noch mit ganz spitzigen Pointen stachen. Aber gerade weil wir
noch darüber lachen können, sollten wir nicht lachen. Uebrigens war
der gestrige Abend ein sehr interessanter. Da die Vorstellung nur
auf den Privatwunsch des Königs stattfand (im Concertsaale), so
wurden keine Billets verkauft, sondern nur solche Personen zugelas¬
sen, welche von der Intendanz Einladungsbriefe erhielten. So war
denn ein Publicum von etwa fünfhundert Personen zugegen, das aus
der geistigen Elite Berlins bestand. Keine Celebrität irgend einer
Art fehlte. Nur der Dichter lag kränklich daheim und ließ sich von
Act zu Act Berichte abstatten. Durch die Gegenwart des Hofes er¬
hielten manche Scenen des Stückes, wie z. B. die, in welcher der
„König" und die „Prinzessin" vorkommen, eine prägnantere Bedeu¬
tung. In der Karrikatur der Hofgelehrten mochte sich wohl Man-


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[0577] Magister der jüngeren Literatur zu werden, spricht ihr selbst warm das Wort gegen die Capricen des Berliner Iland zone. — Rainer. — III. Der gestiefelte Kater in Berlin. Nach und nach wird sich doch Alles machen; wir werden Reichs- stände bekommen, Preßfreiheit, Geschwornengerichte — Herz, was be¬ gehrst Du? Nur muß man hübsch Geduld haben. Hat nicht der alte Tieck auch sein Lebelang den Wunsch gehabt, seine Stücke auf der Bühne ausgeführt zu sehen, und ist dieser Wunsch nicht auch endlich zur Erfüllung gekommen? Gestern ist der gestiefelte Kater auf Befehl des Königs über die Bretter gegangen und der alte Dichter ist glück¬ lich. So werden wir auch einst glücklich werden. Freilich hat der greise Poet fast die Siebzig erst erreichen müssen, ehe ihm sein Her¬ zenswunsch in Erfüllung ging. Allein für eine ganze Nation sind siebenzig Jahre eine Kleinigkeit und wenn wir nur nicht frü¬ her sterben, so erleben wir gewiß, daß unsere politischen Wünsche, die wir uns jetzt als Märchen erzählen, gestiefelt und gespornt in Scene gehen. Wie die Ausführung ausgefallen? Wie eine Satvre, die vor mehr als hundert Jahren geschrieben wurde, immer ausfallen kann. Zum Glück für den Dichter und zum Unglück für uns schrieb er sein Stück für eine Nation, in deren Geschichte dreißig Jahre so wenig Unterschied machen, daß sie selbst am Ende eines dreißigjährigen Krie¬ ges nicht weiter ist, als am Anfang. Bei so kleinen Schritten, bei dem schönen deutschen Wahlspruch: „Immer langsam voran", da paßt heute noch Vieles) was vor dreißig Jahren paßte. Und so lachte man denn über die verschollenen Witze des alten Herrn, von denen fast die Hälfte noch mit ganz spitzigen Pointen stachen. Aber gerade weil wir noch darüber lachen können, sollten wir nicht lachen. Uebrigens war der gestrige Abend ein sehr interessanter. Da die Vorstellung nur auf den Privatwunsch des Königs stattfand (im Concertsaale), so wurden keine Billets verkauft, sondern nur solche Personen zugelas¬ sen, welche von der Intendanz Einladungsbriefe erhielten. So war denn ein Publicum von etwa fünfhundert Personen zugegen, das aus der geistigen Elite Berlins bestand. Keine Celebrität irgend einer Art fehlte. Nur der Dichter lag kränklich daheim und ließ sich von Act zu Act Berichte abstatten. Durch die Gegenwart des Hofes er¬ hielten manche Scenen des Stückes, wie z. B. die, in welcher der „König" und die „Prinzessin" vorkommen, eine prägnantere Bedeu¬ tung. In der Karrikatur der Hofgelehrten mochte sich wohl Man-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/577>, abgerufen am 29.06.2024.