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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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die Marienkirche hier. Sie ist im gothischen Style gebaut lind
aus Backsteinen aufgeführt. Ihre Thürme von seltener Hohe sind
aber nicht, wie die Münster am Rhein, durchbrochen, sondern in der
bekannten Zuckerhutform; es scheint mir, als ob man dabei auf den
zerstörenden Einfluß der Seeluft Rücksicht genommen habe. Auch
dieses großartige Bauwerk eines frommen, katholischen Sinnes soll
der Sage nach, wie so manche andere Kirche Deutschlands, von ei¬
nem geprellten Teufel erbaut worden sein. Diese Kirche hat die
schönsten und belebtesten Tage Lübecks gesehen; -- es wird kein Ave
mehr in ihren Capellen gebetet, es wirbeln seit drei Jahrhunderten
keine Weihrauchwolken mehr -durch ihre Hallen, aber man hat ihr
den katholischen Grundcharakter nicht nehmen können. Der Katholi¬
cismus, wie er sich hier ausprägt, lebt in dem heiteren Reiche der
Sinnlichkeit, der heiteren Kunst und des Reichthums. Der Lübecker
Dom dagegen repräsentirt die katholische Weltanschauung der Hie¬
rarchie. Hier schwingen sich die Säulen nicht hoch und luftig em¬
por, die Gänge sind eng und gedrückt, das Tageslicht bricht matt
durch die kleinen Fenster, man glaubt überall die Mönche umher-
schlürfcn zu sehen und ein ox nrotumlis zu hören. Allenthalben
Thüren, verborgene Winkel, wohin das Tageslicht nicht dringt. An
den Seiten die prächtigen und allmälig verfallenden Capellen der
ältesten Geschlechter Lübecks und der stolzen Bischöfe, die hier herrsch¬
ten und so oft mit der Stadt im Kampfe lagen. In der Mitte der
großen Halle erhebt sich ein riesiges Kreuz, und an den Seitendes--
selben hat sich ein Bischof mit seiner Beischläferin in Lebensgröße
aufstellen lassen. Auf den Grabstätten anderer Bischöfe sind eine
Menge geschwänzter und fratzcnschneidender Teufelchen angebracht; --
das ist der derbe Humor des deutschen Mittelalters!

Einen ganz eigenthümlichen Eindruck macht auch das Holstcin-
thor mit Iseinen dicken Seitenthürmen; es erinnert lebhaft an die
massiven Vertheidigungswerke des Mittelalters. An der Außenseite
sitzt der riesige Reichsadler mit dem Lübeckschen Wappen im Herzen,
über die ganze Fronte steht geschrieben: ^<me<"i-all-t <j"">i et loris
pilx und zwischen den einzelnen Worten Stinten" Pult"til8"i"<;
I^idee.onsis. -- Mail hat diese Ausdrücke des alten Lübeckschen
Selbstgefühls neulich wieder aufputzen lassen, und Ammen und Kin¬
der begassen die goldig flimmernden Worte!


die Marienkirche hier. Sie ist im gothischen Style gebaut lind
aus Backsteinen aufgeführt. Ihre Thürme von seltener Hohe sind
aber nicht, wie die Münster am Rhein, durchbrochen, sondern in der
bekannten Zuckerhutform; es scheint mir, als ob man dabei auf den
zerstörenden Einfluß der Seeluft Rücksicht genommen habe. Auch
dieses großartige Bauwerk eines frommen, katholischen Sinnes soll
der Sage nach, wie so manche andere Kirche Deutschlands, von ei¬
nem geprellten Teufel erbaut worden sein. Diese Kirche hat die
schönsten und belebtesten Tage Lübecks gesehen; — es wird kein Ave
mehr in ihren Capellen gebetet, es wirbeln seit drei Jahrhunderten
keine Weihrauchwolken mehr -durch ihre Hallen, aber man hat ihr
den katholischen Grundcharakter nicht nehmen können. Der Katholi¬
cismus, wie er sich hier ausprägt, lebt in dem heiteren Reiche der
Sinnlichkeit, der heiteren Kunst und des Reichthums. Der Lübecker
Dom dagegen repräsentirt die katholische Weltanschauung der Hie¬
rarchie. Hier schwingen sich die Säulen nicht hoch und luftig em¬
por, die Gänge sind eng und gedrückt, das Tageslicht bricht matt
durch die kleinen Fenster, man glaubt überall die Mönche umher-
schlürfcn zu sehen und ein ox nrotumlis zu hören. Allenthalben
Thüren, verborgene Winkel, wohin das Tageslicht nicht dringt. An
den Seiten die prächtigen und allmälig verfallenden Capellen der
ältesten Geschlechter Lübecks und der stolzen Bischöfe, die hier herrsch¬
ten und so oft mit der Stadt im Kampfe lagen. In der Mitte der
großen Halle erhebt sich ein riesiges Kreuz, und an den Seitendes--
selben hat sich ein Bischof mit seiner Beischläferin in Lebensgröße
aufstellen lassen. Auf den Grabstätten anderer Bischöfe sind eine
Menge geschwänzter und fratzcnschneidender Teufelchen angebracht; —
das ist der derbe Humor des deutschen Mittelalters!

Einen ganz eigenthümlichen Eindruck macht auch das Holstcin-
thor mit Iseinen dicken Seitenthürmen; es erinnert lebhaft an die
massiven Vertheidigungswerke des Mittelalters. An der Außenseite
sitzt der riesige Reichsadler mit dem Lübeckschen Wappen im Herzen,
über die ganze Fronte steht geschrieben: ^<me<»i-all-t <j„„>i et loris
pilx und zwischen den einzelnen Worten Stinten» Pult»til8«i»<;
I^idee.onsis. — Mail hat diese Ausdrücke des alten Lübeckschen
Selbstgefühls neulich wieder aufputzen lassen, und Ammen und Kin¬
der begassen die goldig flimmernden Worte!


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[0569] die Marienkirche hier. Sie ist im gothischen Style gebaut lind aus Backsteinen aufgeführt. Ihre Thürme von seltener Hohe sind aber nicht, wie die Münster am Rhein, durchbrochen, sondern in der bekannten Zuckerhutform; es scheint mir, als ob man dabei auf den zerstörenden Einfluß der Seeluft Rücksicht genommen habe. Auch dieses großartige Bauwerk eines frommen, katholischen Sinnes soll der Sage nach, wie so manche andere Kirche Deutschlands, von ei¬ nem geprellten Teufel erbaut worden sein. Diese Kirche hat die schönsten und belebtesten Tage Lübecks gesehen; — es wird kein Ave mehr in ihren Capellen gebetet, es wirbeln seit drei Jahrhunderten keine Weihrauchwolken mehr -durch ihre Hallen, aber man hat ihr den katholischen Grundcharakter nicht nehmen können. Der Katholi¬ cismus, wie er sich hier ausprägt, lebt in dem heiteren Reiche der Sinnlichkeit, der heiteren Kunst und des Reichthums. Der Lübecker Dom dagegen repräsentirt die katholische Weltanschauung der Hie¬ rarchie. Hier schwingen sich die Säulen nicht hoch und luftig em¬ por, die Gänge sind eng und gedrückt, das Tageslicht bricht matt durch die kleinen Fenster, man glaubt überall die Mönche umher- schlürfcn zu sehen und ein ox nrotumlis zu hören. Allenthalben Thüren, verborgene Winkel, wohin das Tageslicht nicht dringt. An den Seiten die prächtigen und allmälig verfallenden Capellen der ältesten Geschlechter Lübecks und der stolzen Bischöfe, die hier herrsch¬ ten und so oft mit der Stadt im Kampfe lagen. In der Mitte der großen Halle erhebt sich ein riesiges Kreuz, und an den Seitendes-- selben hat sich ein Bischof mit seiner Beischläferin in Lebensgröße aufstellen lassen. Auf den Grabstätten anderer Bischöfe sind eine Menge geschwänzter und fratzcnschneidender Teufelchen angebracht; — das ist der derbe Humor des deutschen Mittelalters! Einen ganz eigenthümlichen Eindruck macht auch das Holstcin- thor mit Iseinen dicken Seitenthürmen; es erinnert lebhaft an die massiven Vertheidigungswerke des Mittelalters. An der Außenseite sitzt der riesige Reichsadler mit dem Lübeckschen Wappen im Herzen, über die ganze Fronte steht geschrieben: ^<me<»i-all-t <j„„>i et loris pilx und zwischen den einzelnen Worten Stinten» Pult»til8«i»<; I^idee.onsis. — Mail hat diese Ausdrücke des alten Lübeckschen Selbstgefühls neulich wieder aufputzen lassen, und Ammen und Kin¬ der begassen die goldig flimmernden Worte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/569>, abgerufen am 22.12.2024.