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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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vieler Jahrhunderte mühsam errungenen Bildungstrophäen auf allen
Märkten feil bietet, allen Nationen überläßt und sich kaum die Lum-
pen zu seiner eigenen Bedeckung zu wahren versteht.

In Petersburg hat Peter die Klammer geschmiedet, welche sich
über die Ostsee in's deutsche und dadurch in den Mittelpunkt des euro¬
päischen Lebens hineinschlägt; Petersburg ist ein langer und scharfer
Rüssel, der durch das dortige Deutschthum seinen Theil von unseren
Geisteserwerbungen an sich zu saugen versteht. Der Deutsche selber
nährt die Macht, von der Alles zu fürchten, die sein warmes Leben,
seinen träumerischen Kosmopolitismus nur mit kaltem Egoismus für
ihre geheimen Zwecke benützt! Das deutsche Mark der Ostseeprovin¬
zen und die deutschen Elemente Petersburgs sind-bestimmt, jene Kräfte
zu entwickeln, die noch schlummern und immer bereit sein werden,
zum Danke für das, was Deutschland ihnen gethan, auf die Ver¬
nichtung der germanischen Welt auszugehen.

Es ist erstaunlich und wohl zu beachten, mit welcher Gering¬
schätzung der Russe auf den Deutschen herabblickt. Der gemeine, ko-
lbige Russe, der Leibeigene im schmutzigen Schafspelz hält sich zur
Herrschaft über den thätigen, fleißigen Deutschen berufen, und wir
Alle wissen ja, daß im russischen Cabinete Pläne gesponnen werden,
die jenem Jnstincte des gemeinen Mannes ganz analog sind. Aber
man ist zu klug, um damit schroff hervorzutreten, man manövrirt im
Stillen und bleibt unermüdlich. Die serbisch-österreichische Frage ist
eine russische Frage geworden, die^ Ostsee ist ein russisches Binnen-
wasser, Dänemark wird durch eine Heirath immer tiefer in's russische
Interesse gezogen, die meisten kleinen deutschen Höfe sind es bereits.
Der Geist des todten Polens hätte uns Vieles von unserer Zukunft
zu sagen und viele Nägelmale zu weisen, aber wir sehen in unseren
Thälern nicht die Wolke, welche sich vielleicht an den Abhängen des
Urals langsam entwickelt. Die Prätensionen des Russen wachsen
bedeutend. Es ist mir mehr als einmal begegnet, daß ich auf Rei¬
sen in Deutschland mit einem Moskowiter zusammentraf, der sich un¬
ser Vaterland wie eine schöne Provinz seines Czaren ansah. Schon
ein Blick auf Rußland sollte unsere Fürsten lehren, was Noth thut;
sollte sie unermüdlich werden lassen, die Einheit und die Freiheit der
Nation zu begünstigen und zu stärken, denn das einige und das freie
Deutschland braucht den starkknochigen Kosaken und den schlitzäugigen


vieler Jahrhunderte mühsam errungenen Bildungstrophäen auf allen
Märkten feil bietet, allen Nationen überläßt und sich kaum die Lum-
pen zu seiner eigenen Bedeckung zu wahren versteht.

In Petersburg hat Peter die Klammer geschmiedet, welche sich
über die Ostsee in's deutsche und dadurch in den Mittelpunkt des euro¬
päischen Lebens hineinschlägt; Petersburg ist ein langer und scharfer
Rüssel, der durch das dortige Deutschthum seinen Theil von unseren
Geisteserwerbungen an sich zu saugen versteht. Der Deutsche selber
nährt die Macht, von der Alles zu fürchten, die sein warmes Leben,
seinen träumerischen Kosmopolitismus nur mit kaltem Egoismus für
ihre geheimen Zwecke benützt! Das deutsche Mark der Ostseeprovin¬
zen und die deutschen Elemente Petersburgs sind-bestimmt, jene Kräfte
zu entwickeln, die noch schlummern und immer bereit sein werden,
zum Danke für das, was Deutschland ihnen gethan, auf die Ver¬
nichtung der germanischen Welt auszugehen.

Es ist erstaunlich und wohl zu beachten, mit welcher Gering¬
schätzung der Russe auf den Deutschen herabblickt. Der gemeine, ko-
lbige Russe, der Leibeigene im schmutzigen Schafspelz hält sich zur
Herrschaft über den thätigen, fleißigen Deutschen berufen, und wir
Alle wissen ja, daß im russischen Cabinete Pläne gesponnen werden,
die jenem Jnstincte des gemeinen Mannes ganz analog sind. Aber
man ist zu klug, um damit schroff hervorzutreten, man manövrirt im
Stillen und bleibt unermüdlich. Die serbisch-österreichische Frage ist
eine russische Frage geworden, die^ Ostsee ist ein russisches Binnen-
wasser, Dänemark wird durch eine Heirath immer tiefer in's russische
Interesse gezogen, die meisten kleinen deutschen Höfe sind es bereits.
Der Geist des todten Polens hätte uns Vieles von unserer Zukunft
zu sagen und viele Nägelmale zu weisen, aber wir sehen in unseren
Thälern nicht die Wolke, welche sich vielleicht an den Abhängen des
Urals langsam entwickelt. Die Prätensionen des Russen wachsen
bedeutend. Es ist mir mehr als einmal begegnet, daß ich auf Rei¬
sen in Deutschland mit einem Moskowiter zusammentraf, der sich un¬
ser Vaterland wie eine schöne Provinz seines Czaren ansah. Schon
ein Blick auf Rußland sollte unsere Fürsten lehren, was Noth thut;
sollte sie unermüdlich werden lassen, die Einheit und die Freiheit der
Nation zu begünstigen und zu stärken, denn das einige und das freie
Deutschland braucht den starkknochigen Kosaken und den schlitzäugigen


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[0562] vieler Jahrhunderte mühsam errungenen Bildungstrophäen auf allen Märkten feil bietet, allen Nationen überläßt und sich kaum die Lum- pen zu seiner eigenen Bedeckung zu wahren versteht. In Petersburg hat Peter die Klammer geschmiedet, welche sich über die Ostsee in's deutsche und dadurch in den Mittelpunkt des euro¬ päischen Lebens hineinschlägt; Petersburg ist ein langer und scharfer Rüssel, der durch das dortige Deutschthum seinen Theil von unseren Geisteserwerbungen an sich zu saugen versteht. Der Deutsche selber nährt die Macht, von der Alles zu fürchten, die sein warmes Leben, seinen träumerischen Kosmopolitismus nur mit kaltem Egoismus für ihre geheimen Zwecke benützt! Das deutsche Mark der Ostseeprovin¬ zen und die deutschen Elemente Petersburgs sind-bestimmt, jene Kräfte zu entwickeln, die noch schlummern und immer bereit sein werden, zum Danke für das, was Deutschland ihnen gethan, auf die Ver¬ nichtung der germanischen Welt auszugehen. Es ist erstaunlich und wohl zu beachten, mit welcher Gering¬ schätzung der Russe auf den Deutschen herabblickt. Der gemeine, ko- lbige Russe, der Leibeigene im schmutzigen Schafspelz hält sich zur Herrschaft über den thätigen, fleißigen Deutschen berufen, und wir Alle wissen ja, daß im russischen Cabinete Pläne gesponnen werden, die jenem Jnstincte des gemeinen Mannes ganz analog sind. Aber man ist zu klug, um damit schroff hervorzutreten, man manövrirt im Stillen und bleibt unermüdlich. Die serbisch-österreichische Frage ist eine russische Frage geworden, die^ Ostsee ist ein russisches Binnen- wasser, Dänemark wird durch eine Heirath immer tiefer in's russische Interesse gezogen, die meisten kleinen deutschen Höfe sind es bereits. Der Geist des todten Polens hätte uns Vieles von unserer Zukunft zu sagen und viele Nägelmale zu weisen, aber wir sehen in unseren Thälern nicht die Wolke, welche sich vielleicht an den Abhängen des Urals langsam entwickelt. Die Prätensionen des Russen wachsen bedeutend. Es ist mir mehr als einmal begegnet, daß ich auf Rei¬ sen in Deutschland mit einem Moskowiter zusammentraf, der sich un¬ ser Vaterland wie eine schöne Provinz seines Czaren ansah. Schon ein Blick auf Rußland sollte unsere Fürsten lehren, was Noth thut; sollte sie unermüdlich werden lassen, die Einheit und die Freiheit der Nation zu begünstigen und zu stärken, denn das einige und das freie Deutschland braucht den starkknochigen Kosaken und den schlitzäugigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/562>, abgerufen am 29.06.2024.