Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Ist denn der Deutsche wirklich bestimmt, immer der Packesel frem¬
der Nationen zu sein?

So arbeitet das deutsche Petersburg, während das russische sich
das Geschäft des "lvlce Im- niente sowohl auf dem geglätteten Par-
quet des Salons und in den Seidenpolstern der Carossen, als auch
im alten moskowitischen Schmutze, in Küchen und Bedientenzimmern
vorzubehalten verstand. In jeder bürgerlichen, in jeder geistigen und
schlicht socialen Beziehung ist die deutsche Bestrebung von umfassen¬
der Bedeutung geworden und ist von ihr der Ausschlag zu erwarten;
wo aber die russische Diplomatik ihre Rollen antritt, dort zeigt Ru߬
land sich in seiner ganzen Ausschließlichkeit eben so stark wie in den
Bedientenzimmern. Deutsch sind die Herzkammern Petersburgs, rus¬
sisch der Fuß im stinkenden Juchtenleder und auch der Kopf mit dem
noblen Air und dem diplomatischen Schnurrbart; deutsch ist der Am¬
boß, russisch der Hammer, aber der Hammer nützt Nichts ohne die
Unterlage.

Und auch das polirte, geschminkte, aristokratische, diplomatische
Rußland, dessen Fäden von Teheran bis Paris, von Stockholm bis
Konstantinopel sich dort an der Newa, wo die Flagge auf dem Kai-
serpalaste von der Anwesenheit des Herrn Kunde gibt, zum feinsten
Mittelpunkte vereinen, auch dieses ist Deutschlands noch bedürftig.
Während der Gedanke an die russische Weltbedeutung es nicht ver¬
läßt, strebt es aus Kaiserpalästen und aus sklavisch handelnder Um¬
gebung in unsere deutschen Thäler hinaus, um sich erst dort die
europäische Weltanschauung zu erringen, um an den Ufern des
Rheins in einer Natur zu schwelgen, die dem Norden versagt blieb.
Müssen doch unsere deutschen Bitterlinge und Säuerlinge alljährlich
die russischen Unterleiber durchziehen, -- freilich durchzieht uns Ru߬
land dafür wieder sehr bitter! Hat sich Rußland aber bis jetzt nur
europäische Politur errungen und steigt es noch nicht mit heiligem
Ernste in die tiefsten Schachte der europäischen Bildung hinab, so ist
der Grund dieser Oberflächlichkeit, die mit Eisenbahnen, schnurr¬
bärtigen Garderegimentem und mit einer Taglioni, ja mit einem
Ministerium für Volksaufflärung zu coquettiren beliebt, theils in dem
äfsischen Nationalcharakter der Russen, theils in, Negierungsprincipe
zu suchen und nicht in Deutschland, welches mit allzu viel Eifer und
Gutmüthigkeit seine Goldstufen und alle seine, durch den Schweiß


Ist denn der Deutsche wirklich bestimmt, immer der Packesel frem¬
der Nationen zu sein?

So arbeitet das deutsche Petersburg, während das russische sich
das Geschäft des «lvlce Im- niente sowohl auf dem geglätteten Par-
quet des Salons und in den Seidenpolstern der Carossen, als auch
im alten moskowitischen Schmutze, in Küchen und Bedientenzimmern
vorzubehalten verstand. In jeder bürgerlichen, in jeder geistigen und
schlicht socialen Beziehung ist die deutsche Bestrebung von umfassen¬
der Bedeutung geworden und ist von ihr der Ausschlag zu erwarten;
wo aber die russische Diplomatik ihre Rollen antritt, dort zeigt Ru߬
land sich in seiner ganzen Ausschließlichkeit eben so stark wie in den
Bedientenzimmern. Deutsch sind die Herzkammern Petersburgs, rus¬
sisch der Fuß im stinkenden Juchtenleder und auch der Kopf mit dem
noblen Air und dem diplomatischen Schnurrbart; deutsch ist der Am¬
boß, russisch der Hammer, aber der Hammer nützt Nichts ohne die
Unterlage.

Und auch das polirte, geschminkte, aristokratische, diplomatische
Rußland, dessen Fäden von Teheran bis Paris, von Stockholm bis
Konstantinopel sich dort an der Newa, wo die Flagge auf dem Kai-
serpalaste von der Anwesenheit des Herrn Kunde gibt, zum feinsten
Mittelpunkte vereinen, auch dieses ist Deutschlands noch bedürftig.
Während der Gedanke an die russische Weltbedeutung es nicht ver¬
läßt, strebt es aus Kaiserpalästen und aus sklavisch handelnder Um¬
gebung in unsere deutschen Thäler hinaus, um sich erst dort die
europäische Weltanschauung zu erringen, um an den Ufern des
Rheins in einer Natur zu schwelgen, die dem Norden versagt blieb.
Müssen doch unsere deutschen Bitterlinge und Säuerlinge alljährlich
die russischen Unterleiber durchziehen, — freilich durchzieht uns Ru߬
land dafür wieder sehr bitter! Hat sich Rußland aber bis jetzt nur
europäische Politur errungen und steigt es noch nicht mit heiligem
Ernste in die tiefsten Schachte der europäischen Bildung hinab, so ist
der Grund dieser Oberflächlichkeit, die mit Eisenbahnen, schnurr¬
bärtigen Garderegimentem und mit einer Taglioni, ja mit einem
Ministerium für Volksaufflärung zu coquettiren beliebt, theils in dem
äfsischen Nationalcharakter der Russen, theils in, Negierungsprincipe
zu suchen und nicht in Deutschland, welches mit allzu viel Eifer und
Gutmüthigkeit seine Goldstufen und alle seine, durch den Schweiß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180274"/>
            <p xml:id="ID_1486" prev="#ID_1485"> Ist denn der Deutsche wirklich bestimmt, immer der Packesel frem¬<lb/>
der Nationen zu sein?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1487"> So arbeitet das deutsche Petersburg, während das russische sich<lb/>
das Geschäft des «lvlce Im- niente sowohl auf dem geglätteten Par-<lb/>
quet des Salons und in den Seidenpolstern der Carossen, als auch<lb/>
im alten moskowitischen Schmutze, in Küchen und Bedientenzimmern<lb/>
vorzubehalten verstand. In jeder bürgerlichen, in jeder geistigen und<lb/>
schlicht socialen Beziehung ist die deutsche Bestrebung von umfassen¬<lb/>
der Bedeutung geworden und ist von ihr der Ausschlag zu erwarten;<lb/>
wo aber die russische Diplomatik ihre Rollen antritt, dort zeigt Ru߬<lb/>
land sich in seiner ganzen Ausschließlichkeit eben so stark wie in den<lb/>
Bedientenzimmern. Deutsch sind die Herzkammern Petersburgs, rus¬<lb/>
sisch der Fuß im stinkenden Juchtenleder und auch der Kopf mit dem<lb/>
noblen Air und dem diplomatischen Schnurrbart; deutsch ist der Am¬<lb/>
boß, russisch der Hammer, aber der Hammer nützt Nichts ohne die<lb/>
Unterlage.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1488" next="#ID_1489"> Und auch das polirte, geschminkte, aristokratische, diplomatische<lb/>
Rußland, dessen Fäden von Teheran bis Paris, von Stockholm bis<lb/>
Konstantinopel sich dort an der Newa, wo die Flagge auf dem Kai-<lb/>
serpalaste von der Anwesenheit des Herrn Kunde gibt, zum feinsten<lb/>
Mittelpunkte vereinen, auch dieses ist Deutschlands noch bedürftig.<lb/>
Während der Gedanke an die russische Weltbedeutung es nicht ver¬<lb/>
läßt, strebt es aus Kaiserpalästen und aus sklavisch handelnder Um¬<lb/>
gebung in unsere deutschen Thäler hinaus, um sich erst dort die<lb/>
europäische Weltanschauung zu erringen, um an den Ufern des<lb/>
Rheins in einer Natur zu schwelgen, die dem Norden versagt blieb.<lb/>
Müssen doch unsere deutschen Bitterlinge und Säuerlinge alljährlich<lb/>
die russischen Unterleiber durchziehen, &#x2014; freilich durchzieht uns Ru߬<lb/>
land dafür wieder sehr bitter! Hat sich Rußland aber bis jetzt nur<lb/>
europäische Politur errungen und steigt es noch nicht mit heiligem<lb/>
Ernste in die tiefsten Schachte der europäischen Bildung hinab, so ist<lb/>
der Grund dieser Oberflächlichkeit, die mit Eisenbahnen, schnurr¬<lb/>
bärtigen Garderegimentem und mit einer Taglioni, ja mit einem<lb/>
Ministerium für Volksaufflärung zu coquettiren beliebt, theils in dem<lb/>
äfsischen Nationalcharakter der Russen, theils in, Negierungsprincipe<lb/>
zu suchen und nicht in Deutschland, welches mit allzu viel Eifer und<lb/>
Gutmüthigkeit seine Goldstufen und alle seine, durch den Schweiß</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] Ist denn der Deutsche wirklich bestimmt, immer der Packesel frem¬ der Nationen zu sein? So arbeitet das deutsche Petersburg, während das russische sich das Geschäft des «lvlce Im- niente sowohl auf dem geglätteten Par- quet des Salons und in den Seidenpolstern der Carossen, als auch im alten moskowitischen Schmutze, in Küchen und Bedientenzimmern vorzubehalten verstand. In jeder bürgerlichen, in jeder geistigen und schlicht socialen Beziehung ist die deutsche Bestrebung von umfassen¬ der Bedeutung geworden und ist von ihr der Ausschlag zu erwarten; wo aber die russische Diplomatik ihre Rollen antritt, dort zeigt Ru߬ land sich in seiner ganzen Ausschließlichkeit eben so stark wie in den Bedientenzimmern. Deutsch sind die Herzkammern Petersburgs, rus¬ sisch der Fuß im stinkenden Juchtenleder und auch der Kopf mit dem noblen Air und dem diplomatischen Schnurrbart; deutsch ist der Am¬ boß, russisch der Hammer, aber der Hammer nützt Nichts ohne die Unterlage. Und auch das polirte, geschminkte, aristokratische, diplomatische Rußland, dessen Fäden von Teheran bis Paris, von Stockholm bis Konstantinopel sich dort an der Newa, wo die Flagge auf dem Kai- serpalaste von der Anwesenheit des Herrn Kunde gibt, zum feinsten Mittelpunkte vereinen, auch dieses ist Deutschlands noch bedürftig. Während der Gedanke an die russische Weltbedeutung es nicht ver¬ läßt, strebt es aus Kaiserpalästen und aus sklavisch handelnder Um¬ gebung in unsere deutschen Thäler hinaus, um sich erst dort die europäische Weltanschauung zu erringen, um an den Ufern des Rheins in einer Natur zu schwelgen, die dem Norden versagt blieb. Müssen doch unsere deutschen Bitterlinge und Säuerlinge alljährlich die russischen Unterleiber durchziehen, — freilich durchzieht uns Ru߬ land dafür wieder sehr bitter! Hat sich Rußland aber bis jetzt nur europäische Politur errungen und steigt es noch nicht mit heiligem Ernste in die tiefsten Schachte der europäischen Bildung hinab, so ist der Grund dieser Oberflächlichkeit, die mit Eisenbahnen, schnurr¬ bärtigen Garderegimentem und mit einer Taglioni, ja mit einem Ministerium für Volksaufflärung zu coquettiren beliebt, theils in dem äfsischen Nationalcharakter der Russen, theils in, Negierungsprincipe zu suchen und nicht in Deutschland, welches mit allzu viel Eifer und Gutmüthigkeit seine Goldstufen und alle seine, durch den Schweiß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/561>, abgerufen am 22.12.2024.