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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Städtelebens zu fern; es ist noch viel zu sehr vom asiatischen Step-
penthum, vom Moskowiter- und Baschkirenthum umflort, als daß es
Städte und städtisches Leben schaffen könnte. Peter der Große trieb
die Bauern seines Reiches aus Astrachan und von den Grenzen
Chinas zusammen und bevölkerte damit Petersburg; es bedürfte der
Masse, aber um die barbarischen Rudel zu begrenzen und zu orga-
nisiren, wurde Deutschland nothwendig. Es fehlt in Nußland der
Mittelstand, die wahre Wesenheit der Städte und der produktiven
Gesellschaft. Darum mußte sich Deutschland zwischen den russischen
Knechten und Herren ins Mittel legen. Auf diese Art ist Peters¬
burg geworden. Alles, was dient und kriecht, ist moskowitisch in
Petersburg; Alles, was herrscht und glänzt, trägt gleichfalls den rus-
sischen Stempel; aber Alles, was schafft und waltet in stiller Behä¬
bigkeit, was, Rußlands beide Ertreme versöhnend, eine rein bürger¬
liche Stellung geltend zu machen sucht und die materielle, so wie die
geistige Seite zur Anschauung bringen möchte, das ist deutsch oder
doch deutscher Abkunft. Nicht in einspännigen Carossen jagt das
Petersburger Deutschthum umher, es macht auch keine Reisen nach
Italien und sieht nicht aristokratisch durch die Lorgnette auf den Pö¬
bel, aber es steht auch nicht in goldbetreßten Livreen auf Wagen-
brettem und stinkt auch nicht nach Knoblauch und Branntwein. Es
ist produktiv und bürgerlich nett; es versorgt die stolze Kaiserstadt
mit den alltäglichsten Bedürfnissen, und sehr bezeichnend scheint es mir
für die deutsche Stellung in Petersburg zu sein, daß die sämmtlichen
Bäcker dieser Stadt geborene Deutsche sind. Würde der Czarenstadt
jemals das deutsche Lebensbrod entzogen und sie auf altrussische
Elemente beschränkt, so würde sie jedenfalls verwildern und zer¬
fallen müssen, ob sie auch jetzt, wo des deutschen Kernbrodes die
Fülle in ihr, diesen alltäglichen Nahrungsstoff nur wenig zu beachten
scheint. Deutschland herrscht in Petersburg, weil es dient. Es steht
am Kramertische und sitzt im Comptoir, es müht sich als Haltsleh¬
rer ab, es knetet den Roggenteig und schwingt die Nadel; es ist im¬
mer der alte, bezipfelte, fleißige deutsche Philister.

Deutschland, welches nun schon seit drei Jahrhunderten mit al¬
ler Kraft all seiner geistigen und nationalen Einigung arbeitet, ohne
dahin gelangen zu können, hilft hier dem Slaventhum zur Cultur
und müht sich ab, es bei den Völkern Europas courfähig zu machen.


Städtelebens zu fern; es ist noch viel zu sehr vom asiatischen Step-
penthum, vom Moskowiter- und Baschkirenthum umflort, als daß es
Städte und städtisches Leben schaffen könnte. Peter der Große trieb
die Bauern seines Reiches aus Astrachan und von den Grenzen
Chinas zusammen und bevölkerte damit Petersburg; es bedürfte der
Masse, aber um die barbarischen Rudel zu begrenzen und zu orga-
nisiren, wurde Deutschland nothwendig. Es fehlt in Nußland der
Mittelstand, die wahre Wesenheit der Städte und der produktiven
Gesellschaft. Darum mußte sich Deutschland zwischen den russischen
Knechten und Herren ins Mittel legen. Auf diese Art ist Peters¬
burg geworden. Alles, was dient und kriecht, ist moskowitisch in
Petersburg; Alles, was herrscht und glänzt, trägt gleichfalls den rus-
sischen Stempel; aber Alles, was schafft und waltet in stiller Behä¬
bigkeit, was, Rußlands beide Ertreme versöhnend, eine rein bürger¬
liche Stellung geltend zu machen sucht und die materielle, so wie die
geistige Seite zur Anschauung bringen möchte, das ist deutsch oder
doch deutscher Abkunft. Nicht in einspännigen Carossen jagt das
Petersburger Deutschthum umher, es macht auch keine Reisen nach
Italien und sieht nicht aristokratisch durch die Lorgnette auf den Pö¬
bel, aber es steht auch nicht in goldbetreßten Livreen auf Wagen-
brettem und stinkt auch nicht nach Knoblauch und Branntwein. Es
ist produktiv und bürgerlich nett; es versorgt die stolze Kaiserstadt
mit den alltäglichsten Bedürfnissen, und sehr bezeichnend scheint es mir
für die deutsche Stellung in Petersburg zu sein, daß die sämmtlichen
Bäcker dieser Stadt geborene Deutsche sind. Würde der Czarenstadt
jemals das deutsche Lebensbrod entzogen und sie auf altrussische
Elemente beschränkt, so würde sie jedenfalls verwildern und zer¬
fallen müssen, ob sie auch jetzt, wo des deutschen Kernbrodes die
Fülle in ihr, diesen alltäglichen Nahrungsstoff nur wenig zu beachten
scheint. Deutschland herrscht in Petersburg, weil es dient. Es steht
am Kramertische und sitzt im Comptoir, es müht sich als Haltsleh¬
rer ab, es knetet den Roggenteig und schwingt die Nadel; es ist im¬
mer der alte, bezipfelte, fleißige deutsche Philister.

Deutschland, welches nun schon seit drei Jahrhunderten mit al¬
ler Kraft all seiner geistigen und nationalen Einigung arbeitet, ohne
dahin gelangen zu können, hilft hier dem Slaventhum zur Cultur
und müht sich ab, es bei den Völkern Europas courfähig zu machen.


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[0560] Städtelebens zu fern; es ist noch viel zu sehr vom asiatischen Step- penthum, vom Moskowiter- und Baschkirenthum umflort, als daß es Städte und städtisches Leben schaffen könnte. Peter der Große trieb die Bauern seines Reiches aus Astrachan und von den Grenzen Chinas zusammen und bevölkerte damit Petersburg; es bedürfte der Masse, aber um die barbarischen Rudel zu begrenzen und zu orga- nisiren, wurde Deutschland nothwendig. Es fehlt in Nußland der Mittelstand, die wahre Wesenheit der Städte und der produktiven Gesellschaft. Darum mußte sich Deutschland zwischen den russischen Knechten und Herren ins Mittel legen. Auf diese Art ist Peters¬ burg geworden. Alles, was dient und kriecht, ist moskowitisch in Petersburg; Alles, was herrscht und glänzt, trägt gleichfalls den rus- sischen Stempel; aber Alles, was schafft und waltet in stiller Behä¬ bigkeit, was, Rußlands beide Ertreme versöhnend, eine rein bürger¬ liche Stellung geltend zu machen sucht und die materielle, so wie die geistige Seite zur Anschauung bringen möchte, das ist deutsch oder doch deutscher Abkunft. Nicht in einspännigen Carossen jagt das Petersburger Deutschthum umher, es macht auch keine Reisen nach Italien und sieht nicht aristokratisch durch die Lorgnette auf den Pö¬ bel, aber es steht auch nicht in goldbetreßten Livreen auf Wagen- brettem und stinkt auch nicht nach Knoblauch und Branntwein. Es ist produktiv und bürgerlich nett; es versorgt die stolze Kaiserstadt mit den alltäglichsten Bedürfnissen, und sehr bezeichnend scheint es mir für die deutsche Stellung in Petersburg zu sein, daß die sämmtlichen Bäcker dieser Stadt geborene Deutsche sind. Würde der Czarenstadt jemals das deutsche Lebensbrod entzogen und sie auf altrussische Elemente beschränkt, so würde sie jedenfalls verwildern und zer¬ fallen müssen, ob sie auch jetzt, wo des deutschen Kernbrodes die Fülle in ihr, diesen alltäglichen Nahrungsstoff nur wenig zu beachten scheint. Deutschland herrscht in Petersburg, weil es dient. Es steht am Kramertische und sitzt im Comptoir, es müht sich als Haltsleh¬ rer ab, es knetet den Roggenteig und schwingt die Nadel; es ist im¬ mer der alte, bezipfelte, fleißige deutsche Philister. Deutschland, welches nun schon seit drei Jahrhunderten mit al¬ ler Kraft all seiner geistigen und nationalen Einigung arbeitet, ohne dahin gelangen zu können, hilft hier dem Slaventhum zur Cultur und müht sich ab, es bei den Völkern Europas courfähig zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/560>, abgerufen am 28.09.2024.