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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Ansichten und crasse Jnkonsequenzen, daß man wohl erwarten kann,
sie werde, wenn sie aus dem Orient zurückkehrt, gegen die Ehe
und für die Sklaverei schreiben. Hoffentlich wird sie sich aber
mehr mit den Zedern des Libanons und den Kameelen Syriens be¬
schäftigen, als mit den Angelegenheiten der Menschheit.

So eben liegt mir ein neues Buch von Therese vor: "Am
Theetisch" (Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1844). Therese, Ver¬
fasserin des "Falkenberg", "eines Tagebuchs", der "Briefe aus dem
Süden u. f. w." ist eine vortreffliche Tagebuchschriftstellerin.
Welch ein Zauber liegt für Frauenseelen in dem Worte Tagebuch!
Da setzt man sich hin, beim stillen Schein der Lampe, an den ele¬
ganten Schreibtisch und hat so viel Gemüth, so viel Weiblichkeit lind
dabei doch so viel Geist, so viel correcten Styl. Und da vertraut
man dem verschwiegenen Papier die geheimsten Kämpfe seines In¬
nern, die kindlichen Träume seiner Phantasie, seine herzzerschneidendsten
Gedanken, natürlich blos zur eigenen Erbauung, um sich im Stillen
auszuweinen und eine schwere Last von seinem Herzen zu wälzen.
Den anderen Morgen aber wird diese Last in die Druckerei einer
Zeitschrift geschickt, aus der sie später zum Verleger und als öffent¬
liches Tagebuch in die Welt wandert. Davon abgesehen, hat The¬
rese, ebenfalls eine Frau von Stande, in der That Geist, Geschmack
und Styl. "Am Theetisch" enthält einige allerliebste Reiseskizzen aus der
Schweiz, Belgien und Holland; sehr interessant ist, was sie über ei¬
nige berühmte Gemälde, was sie in Weimar über Goethe denkt.
Das bekundet aber noch kein touristisches Talent; sie hatte seit früher
Jugend Zeit, über Goethe, Van Dyk und Meister Erwin nachzuden¬
ken. Da finde ich auch "Blicke auf Se. Petersburg". Wie umge¬
wandelt ist plötzlich diese Feder, die über den civilisirten Westen so
voll scharf gespitzter, in die tiefsten Strömungen der Zeit getauchter
Aussprüche war! Wie schüchtern bewundernd, wie kindlich optimistisch,
wie ganz frauenhaft wandelt sie durch den Marmorsaal, den Winter¬
palast! Da ist kein unweibliches Raisonnement, kein selbständiger
Zweifel, keine ernste Frage mehr nach den Zwecken menschlichen
Treibens! ES ist Alles so wunderbar, so prächtig, die Prinzessinnen
sind alle leibhafte Engel, und die Großfürsten geborne Heroen. Graf
B. ? -- Liebenswürdig. Fürst Cz. ?--Verehrungswürdig. Gräfin X.?
-- Zum Küssen. Fürstin Y.?--Zum Anbeten. --Wir verlangen von


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Ansichten und crasse Jnkonsequenzen, daß man wohl erwarten kann,
sie werde, wenn sie aus dem Orient zurückkehrt, gegen die Ehe
und für die Sklaverei schreiben. Hoffentlich wird sie sich aber
mehr mit den Zedern des Libanons und den Kameelen Syriens be¬
schäftigen, als mit den Angelegenheiten der Menschheit.

So eben liegt mir ein neues Buch von Therese vor: „Am
Theetisch" (Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1844). Therese, Ver¬
fasserin des „Falkenberg", „eines Tagebuchs", der „Briefe aus dem
Süden u. f. w." ist eine vortreffliche Tagebuchschriftstellerin.
Welch ein Zauber liegt für Frauenseelen in dem Worte Tagebuch!
Da setzt man sich hin, beim stillen Schein der Lampe, an den ele¬
ganten Schreibtisch und hat so viel Gemüth, so viel Weiblichkeit lind
dabei doch so viel Geist, so viel correcten Styl. Und da vertraut
man dem verschwiegenen Papier die geheimsten Kämpfe seines In¬
nern, die kindlichen Träume seiner Phantasie, seine herzzerschneidendsten
Gedanken, natürlich blos zur eigenen Erbauung, um sich im Stillen
auszuweinen und eine schwere Last von seinem Herzen zu wälzen.
Den anderen Morgen aber wird diese Last in die Druckerei einer
Zeitschrift geschickt, aus der sie später zum Verleger und als öffent¬
liches Tagebuch in die Welt wandert. Davon abgesehen, hat The¬
rese, ebenfalls eine Frau von Stande, in der That Geist, Geschmack
und Styl. „Am Theetisch" enthält einige allerliebste Reiseskizzen aus der
Schweiz, Belgien und Holland; sehr interessant ist, was sie über ei¬
nige berühmte Gemälde, was sie in Weimar über Goethe denkt.
Das bekundet aber noch kein touristisches Talent; sie hatte seit früher
Jugend Zeit, über Goethe, Van Dyk und Meister Erwin nachzuden¬
ken. Da finde ich auch „Blicke auf Se. Petersburg". Wie umge¬
wandelt ist plötzlich diese Feder, die über den civilisirten Westen so
voll scharf gespitzter, in die tiefsten Strömungen der Zeit getauchter
Aussprüche war! Wie schüchtern bewundernd, wie kindlich optimistisch,
wie ganz frauenhaft wandelt sie durch den Marmorsaal, den Winter¬
palast! Da ist kein unweibliches Raisonnement, kein selbständiger
Zweifel, keine ernste Frage mehr nach den Zwecken menschlichen
Treibens! ES ist Alles so wunderbar, so prächtig, die Prinzessinnen
sind alle leibhafte Engel, und die Großfürsten geborne Heroen. Graf
B. ? — Liebenswürdig. Fürst Cz. ?—Verehrungswürdig. Gräfin X.?
— Zum Küssen. Fürstin Y.?—Zum Anbeten. —Wir verlangen von


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[0557] Ansichten und crasse Jnkonsequenzen, daß man wohl erwarten kann, sie werde, wenn sie aus dem Orient zurückkehrt, gegen die Ehe und für die Sklaverei schreiben. Hoffentlich wird sie sich aber mehr mit den Zedern des Libanons und den Kameelen Syriens be¬ schäftigen, als mit den Angelegenheiten der Menschheit. So eben liegt mir ein neues Buch von Therese vor: „Am Theetisch" (Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1844). Therese, Ver¬ fasserin des „Falkenberg", „eines Tagebuchs", der „Briefe aus dem Süden u. f. w." ist eine vortreffliche Tagebuchschriftstellerin. Welch ein Zauber liegt für Frauenseelen in dem Worte Tagebuch! Da setzt man sich hin, beim stillen Schein der Lampe, an den ele¬ ganten Schreibtisch und hat so viel Gemüth, so viel Weiblichkeit lind dabei doch so viel Geist, so viel correcten Styl. Und da vertraut man dem verschwiegenen Papier die geheimsten Kämpfe seines In¬ nern, die kindlichen Träume seiner Phantasie, seine herzzerschneidendsten Gedanken, natürlich blos zur eigenen Erbauung, um sich im Stillen auszuweinen und eine schwere Last von seinem Herzen zu wälzen. Den anderen Morgen aber wird diese Last in die Druckerei einer Zeitschrift geschickt, aus der sie später zum Verleger und als öffent¬ liches Tagebuch in die Welt wandert. Davon abgesehen, hat The¬ rese, ebenfalls eine Frau von Stande, in der That Geist, Geschmack und Styl. „Am Theetisch" enthält einige allerliebste Reiseskizzen aus der Schweiz, Belgien und Holland; sehr interessant ist, was sie über ei¬ nige berühmte Gemälde, was sie in Weimar über Goethe denkt. Das bekundet aber noch kein touristisches Talent; sie hatte seit früher Jugend Zeit, über Goethe, Van Dyk und Meister Erwin nachzuden¬ ken. Da finde ich auch „Blicke auf Se. Petersburg". Wie umge¬ wandelt ist plötzlich diese Feder, die über den civilisirten Westen so voll scharf gespitzter, in die tiefsten Strömungen der Zeit getauchter Aussprüche war! Wie schüchtern bewundernd, wie kindlich optimistisch, wie ganz frauenhaft wandelt sie durch den Marmorsaal, den Winter¬ palast! Da ist kein unweibliches Raisonnement, kein selbständiger Zweifel, keine ernste Frage mehr nach den Zwecken menschlichen Treibens! ES ist Alles so wunderbar, so prächtig, die Prinzessinnen sind alle leibhafte Engel, und die Großfürsten geborne Heroen. Graf B. ? — Liebenswürdig. Fürst Cz. ?—Verehrungswürdig. Gräfin X.? — Zum Küssen. Fürstin Y.?—Zum Anbeten. —Wir verlangen von Grenzl'oder >. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/557>, abgerufen am 29.06.2024.