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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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daß Rank, Willkomm, Lentner oder Auerbach glückliche Rivalinnen fin¬
den, die im Schwarz- oder Böhmerwald oder im baierischen Hoch¬
gebirge Fußreisen machen, um ein Stück Urnatur, ein Bischen wild-
wüchsiges Volksleben in ihren Salon heimzubringen. Im Drama
freilich, das heißt im Casscnstück, macht die einzige Birch-Pfeiffer der
ganzen jungen dramatischen Werdclust viel zu schaffen. Sollte sich
für diesen weiblichen Goliath nicht einmal auch ein kleiner David
finden? Gegen daS politische Lied endlich hat sich die Frauenwelt
bis jetzt als bloßes Publicum und zwar als ein sehr empfängliches
und dankbares verhalten -- man weiß, soie Deutschlands lJung-
frauen der Reihe nach für Grün, Karl Beck und Herwegh schwärm¬
ten. Noch hat keine literarische Jungfrau von Orleans sich mit der
Oriflamme des Fortschritts an die Spitze der radikalen Jugend ge¬
stellt -- einzelne ausnahmsweise Erscheinungen, wie die gesinmmgs-
volle Louise Otto, zählen hier nicht. Täglich aber wachsen die
männlichen Epigonen von Hoffmann, von Prutz, von Herwegh :c.
gestiefelt und gespornt in Schaaren aus der Erde, werden sogar ver¬
boten, und das Publicum liest sie dennoch uicht.

Vollends unglücklich sind unsere deutschen Frauen als Touristin¬
nen. Die Zustände einer Stadt, einer idyllischen Dorfgegend, in der
sie sich eingelebt, farbig und gemüthlich vor uns aufzurollen, das
wird eine Frau von Geist im Stande sein; und manches poetische
Schwalbennest, manches Winkelplätzchen in der Kirche, wo der oder
jener alte Mann mit weißen Haaren zu bestimmten Stunden kniete,
manches Brücklein, wo eine Herzcnögcschichte vorfiel, überhaupt manche
vielsagende Kleinigkeit, die dem Blick des Mannes entgangen wäre,
wird ihr Gemälde verschönern. Aber aus dem staubigen Wagen als
Wildfremder in wildfremden Ländern und Städten auszusteigen, Em¬
pfehlungsbriefe abzugeben, Bekanntschaften anzuknüpfen, Notizen zu
sammeln, Leute aus allen Ständen auszuhorchen, das sollten Frauen
nicht unternehmen. Die armen Geschöpfe warten entweder, ob ihnen
nicht ein poetisches Abenteuer von Weitem begegnet, das sie ausma¬
len können, oder scharren, wenn sie älter sind, ein wenig Medisance
und Modeklatsch zusammen. Gräfin Hahn hat die Vegetation, die
Landschaften und Fernsichten in Südfrankreich auf das Reizendste
radirt; sie hat aber den Fehler begangen, über politische und sociale
Verhältnisse sich auch zu äußern. Darin verräth sie so schielende


daß Rank, Willkomm, Lentner oder Auerbach glückliche Rivalinnen fin¬
den, die im Schwarz- oder Böhmerwald oder im baierischen Hoch¬
gebirge Fußreisen machen, um ein Stück Urnatur, ein Bischen wild-
wüchsiges Volksleben in ihren Salon heimzubringen. Im Drama
freilich, das heißt im Casscnstück, macht die einzige Birch-Pfeiffer der
ganzen jungen dramatischen Werdclust viel zu schaffen. Sollte sich
für diesen weiblichen Goliath nicht einmal auch ein kleiner David
finden? Gegen daS politische Lied endlich hat sich die Frauenwelt
bis jetzt als bloßes Publicum und zwar als ein sehr empfängliches
und dankbares verhalten — man weiß, soie Deutschlands lJung-
frauen der Reihe nach für Grün, Karl Beck und Herwegh schwärm¬
ten. Noch hat keine literarische Jungfrau von Orleans sich mit der
Oriflamme des Fortschritts an die Spitze der radikalen Jugend ge¬
stellt — einzelne ausnahmsweise Erscheinungen, wie die gesinmmgs-
volle Louise Otto, zählen hier nicht. Täglich aber wachsen die
männlichen Epigonen von Hoffmann, von Prutz, von Herwegh :c.
gestiefelt und gespornt in Schaaren aus der Erde, werden sogar ver¬
boten, und das Publicum liest sie dennoch uicht.

Vollends unglücklich sind unsere deutschen Frauen als Touristin¬
nen. Die Zustände einer Stadt, einer idyllischen Dorfgegend, in der
sie sich eingelebt, farbig und gemüthlich vor uns aufzurollen, das
wird eine Frau von Geist im Stande sein; und manches poetische
Schwalbennest, manches Winkelplätzchen in der Kirche, wo der oder
jener alte Mann mit weißen Haaren zu bestimmten Stunden kniete,
manches Brücklein, wo eine Herzcnögcschichte vorfiel, überhaupt manche
vielsagende Kleinigkeit, die dem Blick des Mannes entgangen wäre,
wird ihr Gemälde verschönern. Aber aus dem staubigen Wagen als
Wildfremder in wildfremden Ländern und Städten auszusteigen, Em¬
pfehlungsbriefe abzugeben, Bekanntschaften anzuknüpfen, Notizen zu
sammeln, Leute aus allen Ständen auszuhorchen, das sollten Frauen
nicht unternehmen. Die armen Geschöpfe warten entweder, ob ihnen
nicht ein poetisches Abenteuer von Weitem begegnet, das sie ausma¬
len können, oder scharren, wenn sie älter sind, ein wenig Medisance
und Modeklatsch zusammen. Gräfin Hahn hat die Vegetation, die
Landschaften und Fernsichten in Südfrankreich auf das Reizendste
radirt; sie hat aber den Fehler begangen, über politische und sociale
Verhältnisse sich auch zu äußern. Darin verräth sie so schielende


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[0556] daß Rank, Willkomm, Lentner oder Auerbach glückliche Rivalinnen fin¬ den, die im Schwarz- oder Böhmerwald oder im baierischen Hoch¬ gebirge Fußreisen machen, um ein Stück Urnatur, ein Bischen wild- wüchsiges Volksleben in ihren Salon heimzubringen. Im Drama freilich, das heißt im Casscnstück, macht die einzige Birch-Pfeiffer der ganzen jungen dramatischen Werdclust viel zu schaffen. Sollte sich für diesen weiblichen Goliath nicht einmal auch ein kleiner David finden? Gegen daS politische Lied endlich hat sich die Frauenwelt bis jetzt als bloßes Publicum und zwar als ein sehr empfängliches und dankbares verhalten — man weiß, soie Deutschlands lJung- frauen der Reihe nach für Grün, Karl Beck und Herwegh schwärm¬ ten. Noch hat keine literarische Jungfrau von Orleans sich mit der Oriflamme des Fortschritts an die Spitze der radikalen Jugend ge¬ stellt — einzelne ausnahmsweise Erscheinungen, wie die gesinmmgs- volle Louise Otto, zählen hier nicht. Täglich aber wachsen die männlichen Epigonen von Hoffmann, von Prutz, von Herwegh :c. gestiefelt und gespornt in Schaaren aus der Erde, werden sogar ver¬ boten, und das Publicum liest sie dennoch uicht. Vollends unglücklich sind unsere deutschen Frauen als Touristin¬ nen. Die Zustände einer Stadt, einer idyllischen Dorfgegend, in der sie sich eingelebt, farbig und gemüthlich vor uns aufzurollen, das wird eine Frau von Geist im Stande sein; und manches poetische Schwalbennest, manches Winkelplätzchen in der Kirche, wo der oder jener alte Mann mit weißen Haaren zu bestimmten Stunden kniete, manches Brücklein, wo eine Herzcnögcschichte vorfiel, überhaupt manche vielsagende Kleinigkeit, die dem Blick des Mannes entgangen wäre, wird ihr Gemälde verschönern. Aber aus dem staubigen Wagen als Wildfremder in wildfremden Ländern und Städten auszusteigen, Em¬ pfehlungsbriefe abzugeben, Bekanntschaften anzuknüpfen, Notizen zu sammeln, Leute aus allen Ständen auszuhorchen, das sollten Frauen nicht unternehmen. Die armen Geschöpfe warten entweder, ob ihnen nicht ein poetisches Abenteuer von Weitem begegnet, das sie ausma¬ len können, oder scharren, wenn sie älter sind, ein wenig Medisance und Modeklatsch zusammen. Gräfin Hahn hat die Vegetation, die Landschaften und Fernsichten in Südfrankreich auf das Reizendste radirt; sie hat aber den Fehler begangen, über politische und sociale Verhältnisse sich auch zu äußern. Darin verräth sie so schielende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/556>, abgerufen am 22.12.2024.