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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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lieber an, da der Krieg zwischen Belgien und Holland mir einen
interessanten und fruchtreichen Aufenthalt in diplomatischer Sphäre
versprach, worin ich mich denn auch nicht betrog. 1831 begab ich
mich nach Kiel, wo ich später als Docent der dänischen Literatur
und Sprache auftrat, mit dem Vorsatze, mich zu Geschichtsvorträgen
gründlich vorzubereiten. Ich las Gothisch, Mitteldeutsch (die Kennt¬
niß des Holländischen hatte mich auf altdeutsche Studien geführt),
Geschichte der deutschen Literatur i>riviMm, und trug publics jene
Vorlesungen über die Aesthetik vor, die ich hinterher unter dem Titel
der "Feldzüge" herausgab. Sie können denken, daß ich mir durch
solche direct gegen den akademischen Plunder und die geheiligten Le-
bensmisi;ren angehende Vorträge mehr den Beifall der Studenten
fich sehe sie noch, das ganze Auditorium vollgepropft, selbst Fenster¬
bänke und Thüren besetzt, in begeisterter Stille um mich her), als die
Gunst meiner College" erwerben konnte. Ich hätte mich dieser
auch wohl entübrigen können, wäre der Kieler Student nicht im
Durchschnitt mittellos und der Lehrer genöthigt, jedem sogenannten
Convicturisten die Collegicngeldcr auf eine bestimmte Zahl von Jah¬
ren nach Abgang von der Universität zu creditiren, was einem An¬
fänger die Enstenz erschwert oder wohl gar unmöglich macht. Ich
faßte daher den Entschluß, zu resigniren, und verlebte darauf einen
Winter in Eutin, wo die Tischbein'sehe Familie den schönen Rest
früherer Vossisch-Stolberg-Jacoby-Tischbein'scher Zeilen bildet, und
wo mir die künstlerische Nachlassenschaft Tischbein's viel Genuß und
Erheiterung gewährte. Ich wollte sogar das Leben dieses malenden
Naturkiiws schildern, mußte es aber unterlassen, weil die Familie seinen
Aufenthalt in Italien nur von Hörensagen kannte und ein braunschwei-
gischcr Gelehrter, ein alter Freund des Verewigten, sich im Besitz ei¬
nes großen Theils seines Briefwechsels befand, zu dessen Ausliefer¬
ung man mir keine Hoffnung machte. In Eutin schrieb ich die po¬
lemische Abhandlung für die hochdeutsche gegen die plattdeutsche
Sprache, wozu ich speciell durch einige Schandprozesse aufgefordert
wurde, welche die Eutiner Justiz gegen einige unglückliche, verzwei¬
felte, eigenthumlose, ja beinahe obdachlose Landarbeiter und gegen,
wie sich später erwies, unschuldige, des Mordes eines dänischen Ge¬
sandten (Herrn von Quelen) angeklagte Bediente führte, die beinahe
sämmtlich der hochdeutschen Sprache nicht mächtig und also so gut


Grenzboten I8-i4. I. 69

lieber an, da der Krieg zwischen Belgien und Holland mir einen
interessanten und fruchtreichen Aufenthalt in diplomatischer Sphäre
versprach, worin ich mich denn auch nicht betrog. 1831 begab ich
mich nach Kiel, wo ich später als Docent der dänischen Literatur
und Sprache auftrat, mit dem Vorsatze, mich zu Geschichtsvorträgen
gründlich vorzubereiten. Ich las Gothisch, Mitteldeutsch (die Kennt¬
niß des Holländischen hatte mich auf altdeutsche Studien geführt),
Geschichte der deutschen Literatur i>riviMm, und trug publics jene
Vorlesungen über die Aesthetik vor, die ich hinterher unter dem Titel
der „Feldzüge" herausgab. Sie können denken, daß ich mir durch
solche direct gegen den akademischen Plunder und die geheiligten Le-
bensmisi;ren angehende Vorträge mehr den Beifall der Studenten
fich sehe sie noch, das ganze Auditorium vollgepropft, selbst Fenster¬
bänke und Thüren besetzt, in begeisterter Stille um mich her), als die
Gunst meiner College» erwerben konnte. Ich hätte mich dieser
auch wohl entübrigen können, wäre der Kieler Student nicht im
Durchschnitt mittellos und der Lehrer genöthigt, jedem sogenannten
Convicturisten die Collegicngeldcr auf eine bestimmte Zahl von Jah¬
ren nach Abgang von der Universität zu creditiren, was einem An¬
fänger die Enstenz erschwert oder wohl gar unmöglich macht. Ich
faßte daher den Entschluß, zu resigniren, und verlebte darauf einen
Winter in Eutin, wo die Tischbein'sehe Familie den schönen Rest
früherer Vossisch-Stolberg-Jacoby-Tischbein'scher Zeilen bildet, und
wo mir die künstlerische Nachlassenschaft Tischbein's viel Genuß und
Erheiterung gewährte. Ich wollte sogar das Leben dieses malenden
Naturkiiws schildern, mußte es aber unterlassen, weil die Familie seinen
Aufenthalt in Italien nur von Hörensagen kannte und ein braunschwei-
gischcr Gelehrter, ein alter Freund des Verewigten, sich im Besitz ei¬
nes großen Theils seines Briefwechsels befand, zu dessen Ausliefer¬
ung man mir keine Hoffnung machte. In Eutin schrieb ich die po¬
lemische Abhandlung für die hochdeutsche gegen die plattdeutsche
Sprache, wozu ich speciell durch einige Schandprozesse aufgefordert
wurde, welche die Eutiner Justiz gegen einige unglückliche, verzwei¬
felte, eigenthumlose, ja beinahe obdachlose Landarbeiter und gegen,
wie sich später erwies, unschuldige, des Mordes eines dänischen Ge¬
sandten (Herrn von Quelen) angeklagte Bediente führte, die beinahe
sämmtlich der hochdeutschen Sprache nicht mächtig und also so gut


Grenzboten I8-i4. I. 69
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[0537] lieber an, da der Krieg zwischen Belgien und Holland mir einen interessanten und fruchtreichen Aufenthalt in diplomatischer Sphäre versprach, worin ich mich denn auch nicht betrog. 1831 begab ich mich nach Kiel, wo ich später als Docent der dänischen Literatur und Sprache auftrat, mit dem Vorsatze, mich zu Geschichtsvorträgen gründlich vorzubereiten. Ich las Gothisch, Mitteldeutsch (die Kennt¬ niß des Holländischen hatte mich auf altdeutsche Studien geführt), Geschichte der deutschen Literatur i>riviMm, und trug publics jene Vorlesungen über die Aesthetik vor, die ich hinterher unter dem Titel der „Feldzüge" herausgab. Sie können denken, daß ich mir durch solche direct gegen den akademischen Plunder und die geheiligten Le- bensmisi;ren angehende Vorträge mehr den Beifall der Studenten fich sehe sie noch, das ganze Auditorium vollgepropft, selbst Fenster¬ bänke und Thüren besetzt, in begeisterter Stille um mich her), als die Gunst meiner College» erwerben konnte. Ich hätte mich dieser auch wohl entübrigen können, wäre der Kieler Student nicht im Durchschnitt mittellos und der Lehrer genöthigt, jedem sogenannten Convicturisten die Collegicngeldcr auf eine bestimmte Zahl von Jah¬ ren nach Abgang von der Universität zu creditiren, was einem An¬ fänger die Enstenz erschwert oder wohl gar unmöglich macht. Ich faßte daher den Entschluß, zu resigniren, und verlebte darauf einen Winter in Eutin, wo die Tischbein'sehe Familie den schönen Rest früherer Vossisch-Stolberg-Jacoby-Tischbein'scher Zeilen bildet, und wo mir die künstlerische Nachlassenschaft Tischbein's viel Genuß und Erheiterung gewährte. Ich wollte sogar das Leben dieses malenden Naturkiiws schildern, mußte es aber unterlassen, weil die Familie seinen Aufenthalt in Italien nur von Hörensagen kannte und ein braunschwei- gischcr Gelehrter, ein alter Freund des Verewigten, sich im Besitz ei¬ nes großen Theils seines Briefwechsels befand, zu dessen Ausliefer¬ ung man mir keine Hoffnung machte. In Eutin schrieb ich die po¬ lemische Abhandlung für die hochdeutsche gegen die plattdeutsche Sprache, wozu ich speciell durch einige Schandprozesse aufgefordert wurde, welche die Eutiner Justiz gegen einige unglückliche, verzwei¬ felte, eigenthumlose, ja beinahe obdachlose Landarbeiter und gegen, wie sich später erwies, unschuldige, des Mordes eines dänischen Ge¬ sandten (Herrn von Quelen) angeklagte Bediente führte, die beinahe sämmtlich der hochdeutschen Sprache nicht mächtig und also so gut Grenzboten I8-i4. I. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/537>, abgerufen am 29.06.2024.