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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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reicn in diesen schönen Gegenden benutzte, brachte ich in einem Bonn
benachbarten Landhause des Präsidenten Wnrzer zu, wo ich ganz
allein hausete und den wüthenden, brausenden Eisgang des Rheins
im Frühling !?29 unter meinem Fenster vorüberrollen sah. Auch
meine Seele war damals voll Eises, aber nicht aufgehenden, nicht
durch Frühlingssonne gelösten. Das mondscheinbeleuchtete, zerrissene
Siebengebirge mit seinen zerbröckelten Burgen, der tosende Schrei, die
furchtbare, nächtliche Einsamkeit harmonirten mit meinen Gefühlen,
die Welt schien mir eisig an meinem Herzen vorübcrzustürzen und
dies Herz war selber kalt durch den Tod der Geliebtesten, der Mut¬
ter, und durch die Hochzeit Juliens (so hieß sie), und alles Hoffen
und die Herrlichkeit meines Lebens schien mir todt und abgethan wie
Ritterburgenvorzeit. -- Das Juli-Scenenjahr 4830 traf mich in
Hamburg, im Umgang mit Heine, Zimmermann, Maltitz und An¬
dern. Die französische Begeisterung war mir zuwider und selbst ihr
Umschlagen in deutsche konnte mich für den fremden Ursprung nicht
entschädigen. Etwas früher gab ich eine metrische Uebersetzung einer
epischen Episode des Argonautenznges, im Pindar, unter dem Namen
Vivvt.it heraus. Ich schrieb eine Vorrede dazu, die mir Heine's Be¬
kanntschaft, Gunst und die von mir gewürdigte Schmeichelei zuzog,
er beneide mich um meine Prosa. Da ich dem Ding eine Zeitbe-
dentung geben wollte, verglich ich den Argonautenzug mit dem Zuge
der Russen über den Balkan und widmete es Diebitsch, dem ich, um
dies beiläufig zu bemerken, in einem prophetischen Sonett seinen spä¬
teren Fall voraussagte. Dieser Zufall und die Danksagung des
Diebitsch aus seinem Lager in der Türkei (der Brief wurde mir durch
den russischen Gesandten in Hamburg, Herrn v. Struve, eingehän¬
digt) verleihen noch jetzt in meinen Augen jener Uebersetzerarbeit ei¬
nigen Werth. -- Mein Aufenthalt in Holland ist der Lesewelt durch
das Werk dieses Namens bekannt geworden, minder die Stellung,
die ich dort hatte, und daß ich aus Discretion manche interessante
Aufschlüsse für mich behielt. Ich befand mich im Hause des däni¬
schen Gesandten im Haag, dem damaligen neutralen Zusammenflusse
des Gesandlschaftspersonals, der Hofleute und der vornehmen Welt.
Baron v. Selby hatte außer mehreren Töchtern einen einzigen Sohn
von siebzehn Jahren, der zur Universität vorbereitet werden sollte
Zufällig wurde mir dieses Amt angetragen und ich nahm eS um so


reicn in diesen schönen Gegenden benutzte, brachte ich in einem Bonn
benachbarten Landhause des Präsidenten Wnrzer zu, wo ich ganz
allein hausete und den wüthenden, brausenden Eisgang des Rheins
im Frühling !?29 unter meinem Fenster vorüberrollen sah. Auch
meine Seele war damals voll Eises, aber nicht aufgehenden, nicht
durch Frühlingssonne gelösten. Das mondscheinbeleuchtete, zerrissene
Siebengebirge mit seinen zerbröckelten Burgen, der tosende Schrei, die
furchtbare, nächtliche Einsamkeit harmonirten mit meinen Gefühlen,
die Welt schien mir eisig an meinem Herzen vorübcrzustürzen und
dies Herz war selber kalt durch den Tod der Geliebtesten, der Mut¬
ter, und durch die Hochzeit Juliens (so hieß sie), und alles Hoffen
und die Herrlichkeit meines Lebens schien mir todt und abgethan wie
Ritterburgenvorzeit. — Das Juli-Scenenjahr 4830 traf mich in
Hamburg, im Umgang mit Heine, Zimmermann, Maltitz und An¬
dern. Die französische Begeisterung war mir zuwider und selbst ihr
Umschlagen in deutsche konnte mich für den fremden Ursprung nicht
entschädigen. Etwas früher gab ich eine metrische Uebersetzung einer
epischen Episode des Argonautenznges, im Pindar, unter dem Namen
Vivvt.it heraus. Ich schrieb eine Vorrede dazu, die mir Heine's Be¬
kanntschaft, Gunst und die von mir gewürdigte Schmeichelei zuzog,
er beneide mich um meine Prosa. Da ich dem Ding eine Zeitbe-
dentung geben wollte, verglich ich den Argonautenzug mit dem Zuge
der Russen über den Balkan und widmete es Diebitsch, dem ich, um
dies beiläufig zu bemerken, in einem prophetischen Sonett seinen spä¬
teren Fall voraussagte. Dieser Zufall und die Danksagung des
Diebitsch aus seinem Lager in der Türkei (der Brief wurde mir durch
den russischen Gesandten in Hamburg, Herrn v. Struve, eingehän¬
digt) verleihen noch jetzt in meinen Augen jener Uebersetzerarbeit ei¬
nigen Werth. — Mein Aufenthalt in Holland ist der Lesewelt durch
das Werk dieses Namens bekannt geworden, minder die Stellung,
die ich dort hatte, und daß ich aus Discretion manche interessante
Aufschlüsse für mich behielt. Ich befand mich im Hause des däni¬
schen Gesandten im Haag, dem damaligen neutralen Zusammenflusse
des Gesandlschaftspersonals, der Hofleute und der vornehmen Welt.
Baron v. Selby hatte außer mehreren Töchtern einen einzigen Sohn
von siebzehn Jahren, der zur Universität vorbereitet werden sollte
Zufällig wurde mir dieses Amt angetragen und ich nahm eS um so


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[0536] reicn in diesen schönen Gegenden benutzte, brachte ich in einem Bonn benachbarten Landhause des Präsidenten Wnrzer zu, wo ich ganz allein hausete und den wüthenden, brausenden Eisgang des Rheins im Frühling !?29 unter meinem Fenster vorüberrollen sah. Auch meine Seele war damals voll Eises, aber nicht aufgehenden, nicht durch Frühlingssonne gelösten. Das mondscheinbeleuchtete, zerrissene Siebengebirge mit seinen zerbröckelten Burgen, der tosende Schrei, die furchtbare, nächtliche Einsamkeit harmonirten mit meinen Gefühlen, die Welt schien mir eisig an meinem Herzen vorübcrzustürzen und dies Herz war selber kalt durch den Tod der Geliebtesten, der Mut¬ ter, und durch die Hochzeit Juliens (so hieß sie), und alles Hoffen und die Herrlichkeit meines Lebens schien mir todt und abgethan wie Ritterburgenvorzeit. — Das Juli-Scenenjahr 4830 traf mich in Hamburg, im Umgang mit Heine, Zimmermann, Maltitz und An¬ dern. Die französische Begeisterung war mir zuwider und selbst ihr Umschlagen in deutsche konnte mich für den fremden Ursprung nicht entschädigen. Etwas früher gab ich eine metrische Uebersetzung einer epischen Episode des Argonautenznges, im Pindar, unter dem Namen Vivvt.it heraus. Ich schrieb eine Vorrede dazu, die mir Heine's Be¬ kanntschaft, Gunst und die von mir gewürdigte Schmeichelei zuzog, er beneide mich um meine Prosa. Da ich dem Ding eine Zeitbe- dentung geben wollte, verglich ich den Argonautenzug mit dem Zuge der Russen über den Balkan und widmete es Diebitsch, dem ich, um dies beiläufig zu bemerken, in einem prophetischen Sonett seinen spä¬ teren Fall voraussagte. Dieser Zufall und die Danksagung des Diebitsch aus seinem Lager in der Türkei (der Brief wurde mir durch den russischen Gesandten in Hamburg, Herrn v. Struve, eingehän¬ digt) verleihen noch jetzt in meinen Augen jener Uebersetzerarbeit ei¬ nigen Werth. — Mein Aufenthalt in Holland ist der Lesewelt durch das Werk dieses Namens bekannt geworden, minder die Stellung, die ich dort hatte, und daß ich aus Discretion manche interessante Aufschlüsse für mich behielt. Ich befand mich im Hause des däni¬ schen Gesandten im Haag, dem damaligen neutralen Zusammenflusse des Gesandlschaftspersonals, der Hofleute und der vornehmen Welt. Baron v. Selby hatte außer mehreren Töchtern einen einzigen Sohn von siebzehn Jahren, der zur Universität vorbereitet werden sollte Zufällig wurde mir dieses Amt angetragen und ich nahm eS um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/536>, abgerufen am 29.06.2024.