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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Zeitlebens vor allen bornirten Vergötterungen und dogmatischen Aus^
^chließlichkeiten auf dein dunklen Erdenkloß in Schul) zu nehmen, und
mich statt dessen mit dein einzigen positiven Gefühl zu durchgingen,
daß die Menschen, wären sie minder blind und egoistisch, ihr flüch¬
tiges Erdendasein göttlich froher genießen konnten, -- Epoche in
meinen philosophischen Studien machte die Bekanntschaft mit dem ed ¬
im Erich von Berger (1), dem leisen, frommen, dichterisch tiefen Na¬
turdenker, den Hegel nur durch Keckheit und Alles umschnürende
Systembauerci überragte, dem einzigen sokratischen Geist der neueren
Philosophie. Unvergeßlich werden mir die wöchentlichen disputatori-
sehen Zusammenkünfte sein, denen er präsidirte. Das erste Object
unserer DiSputatorien war die Kant'sche Philosophie, bei der mein
Selbststudium Posto gefaßt hatte. Mit Vergnügen ließ ich mich ver¬
drängen, ja wurde einer der ersten, welcher den Speer gegen die
Kategorien kehrte und mich für die Geltung der Natur der Dinge
und der aus dem Nichts bis zur Gottheit aufsteigenden Wcltwesen-
verkettung erklärte. Ich glaube, daß Berger und Hegel in den Re¬
sultaten zusammentrafen; aber ein Unterschied hielt mich an jenem
fest und von diesem zurück. Berger eilte und drängte nicht zum sy¬
stematischen Abschlüsse, wie Hegel, er gab seinen Schülern nicht
den unseligen mechanischen Schlüssel dialektischer Witz¬
spiele, in dessen Besitz der Dümmste sich vermißt, die Ge°
heimnisse des Alls und die Tiefen der Geschichte aus¬
zuschließen, er setzte schöpferische, naturbegabte, aus sich heraus
vhilosophirende Talente voraus. ) Wie rasch und freudig ich in die¬
sem, leider nur kurzen Abschnitte meines Lebens an Erkenntniß ge¬
wachsen bin, kann ich mit Worten Sulche aussprechen. Es war im
letzten Semester meines drittehalbjährigen Aufenthalts in Kiel. Im
Grunde komme ich nur, nach manchen geistigen Irrfahrten, auf un¬
seren alten Wolfgang Goethe zurück, der mir bereits in frühester Zeit
Priester meines Natur-Menschencultus war, und den ich damals in
seinen physikalischen Werken bewunderte. Diese Studien, mein Bur¬
schenleben (ich war einer der besten Fechter der Universität), und eine
leidenschaftliche Liebe zu der Tochter eines dortigen Professors lasse"
mich jene Zeit als die Pointe meines Lebens betrachten; und in der
That nahm ich mit dem schwersten Herzen Abschied von ihr. Drittebalb
darauf folgender Jahre war ich Hauslehrer.bei den Kindern des Gra-


Zeitlebens vor allen bornirten Vergötterungen und dogmatischen Aus^
^chließlichkeiten auf dein dunklen Erdenkloß in Schul) zu nehmen, und
mich statt dessen mit dein einzigen positiven Gefühl zu durchgingen,
daß die Menschen, wären sie minder blind und egoistisch, ihr flüch¬
tiges Erdendasein göttlich froher genießen konnten, — Epoche in
meinen philosophischen Studien machte die Bekanntschaft mit dem ed ¬
im Erich von Berger (1), dem leisen, frommen, dichterisch tiefen Na¬
turdenker, den Hegel nur durch Keckheit und Alles umschnürende
Systembauerci überragte, dem einzigen sokratischen Geist der neueren
Philosophie. Unvergeßlich werden mir die wöchentlichen disputatori-
sehen Zusammenkünfte sein, denen er präsidirte. Das erste Object
unserer DiSputatorien war die Kant'sche Philosophie, bei der mein
Selbststudium Posto gefaßt hatte. Mit Vergnügen ließ ich mich ver¬
drängen, ja wurde einer der ersten, welcher den Speer gegen die
Kategorien kehrte und mich für die Geltung der Natur der Dinge
und der aus dem Nichts bis zur Gottheit aufsteigenden Wcltwesen-
verkettung erklärte. Ich glaube, daß Berger und Hegel in den Re¬
sultaten zusammentrafen; aber ein Unterschied hielt mich an jenem
fest und von diesem zurück. Berger eilte und drängte nicht zum sy¬
stematischen Abschlüsse, wie Hegel, er gab seinen Schülern nicht
den unseligen mechanischen Schlüssel dialektischer Witz¬
spiele, in dessen Besitz der Dümmste sich vermißt, die Ge°
heimnisse des Alls und die Tiefen der Geschichte aus¬
zuschließen, er setzte schöpferische, naturbegabte, aus sich heraus
vhilosophirende Talente voraus. ) Wie rasch und freudig ich in die¬
sem, leider nur kurzen Abschnitte meines Lebens an Erkenntniß ge¬
wachsen bin, kann ich mit Worten Sulche aussprechen. Es war im
letzten Semester meines drittehalbjährigen Aufenthalts in Kiel. Im
Grunde komme ich nur, nach manchen geistigen Irrfahrten, auf un¬
seren alten Wolfgang Goethe zurück, der mir bereits in frühester Zeit
Priester meines Natur-Menschencultus war, und den ich damals in
seinen physikalischen Werken bewunderte. Diese Studien, mein Bur¬
schenleben (ich war einer der besten Fechter der Universität), und eine
leidenschaftliche Liebe zu der Tochter eines dortigen Professors lasse»
mich jene Zeit als die Pointe meines Lebens betrachten; und in der
That nahm ich mit dem schwersten Herzen Abschied von ihr. Drittebalb
darauf folgender Jahre war ich Hauslehrer.bei den Kindern des Gra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/534>, abgerufen am 29.06.2024.