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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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klüglich. Das einzig Eigenthümliche darin war die frühauf in mir
brennende und nur mit meinem letzten Athemzuge erlöschende Liebe
oder Knechtschaft für das Schöne, aus der ich Alles, Religion,
Menschlichkeit. Liebe abzuleiten und zu erklären mich gedrungen fühlte.
Aber schon damals, als ich jene Rede schrieb, wie jetzt, hatte ich "die
Scheu des Wortes", wie überhaupt der persönlichen Aeußerung des
Tiefsten in meinem Gemüth, was ich (familienfehlerhaft) als Profa-
nation empfinde und wodurch meine bisherige Schreiberei den gar
besonderen Charakter, bald wortschwellender Bildcrberedsamkeit, bald
wortkarger Hack- und Schlaggedanken angenommen hat. Dies läßt
mich glauben, daß ich im Dramatischen, wo man unpersönlich für
Andere redet, das Feld meines Talentes suchen muß, wie ich denn
schon im vierzehnten bis fünfzehnten Jahre den Versuch machte, die
Historie des Cato von Utica zu dramatifiren. In Kiel ließ ich mich
als stuäiosum tlivolo^litt immatriculiren, mehr meiner Mutter als
einem inneren Antriebe zur Liebe. Ich studirte Kirchengeschichte und
Dogmatik, oder vielmehr Dogmatiker, einen hinter dem andern, bis
endlich Schleiermacher den Reigen beschloß und mich, wider seinen
Willen, zur Philosophie führte. Dem ganzen Studium der Theolo¬
gie und jeder darauf gebauten Lebensaussicht sagte ich im Stillen
Lebewohl, und dies ist der einzige Kampf, den mich die Religion
oder vielmehr der Kirchenglaube gekostet hat: der Kampf zwischen der
Liebe zu meiner Mutter und der Pflicht, mich vor der Heuchelet ei¬
nes ungläubigen Priesterthums zu bewahren. Die Religion selbst hat
mir niemals Gewissensunruhe und Glaubenskämpfe bereitet. Ich er¬
innere mich, daß ich schon als kleines Kind den dogmatisch-mythischen
Inhalt der Bibel und der Gesänge und Gebete, die ich auswendig
lernte, dunkel als fremde Poesie aus dem Heiligendreikönigsland auffaßte
und eine gewisse kindlich naive Subjectivität dagegen behauptete; ja
ich kann sagen, daß ich mit allen diesen Lehren und Wundern nur
durch die Liebe zu meiner frommen und gläubigen Mutter zusammen¬
hing -- wie ich noch jetzt in keinen christlichen Tempel treten und
die Orgel hören kann, ohne zugleich an den Verfall einer ehemaligen
religiösen Herrlichkeit und an die im Grabe ruhende Vielgeliebte
trauernd wehmüthig zu denken. Später, in meinem gereifteren Le¬
bensalter reichte ein einziger unvergeßlicher Moment, ein Gedanken¬
blitz in einer schönen Nacht unterm Sternenhimmel hin, um mich für


klüglich. Das einzig Eigenthümliche darin war die frühauf in mir
brennende und nur mit meinem letzten Athemzuge erlöschende Liebe
oder Knechtschaft für das Schöne, aus der ich Alles, Religion,
Menschlichkeit. Liebe abzuleiten und zu erklären mich gedrungen fühlte.
Aber schon damals, als ich jene Rede schrieb, wie jetzt, hatte ich „die
Scheu des Wortes", wie überhaupt der persönlichen Aeußerung des
Tiefsten in meinem Gemüth, was ich (familienfehlerhaft) als Profa-
nation empfinde und wodurch meine bisherige Schreiberei den gar
besonderen Charakter, bald wortschwellender Bildcrberedsamkeit, bald
wortkarger Hack- und Schlaggedanken angenommen hat. Dies läßt
mich glauben, daß ich im Dramatischen, wo man unpersönlich für
Andere redet, das Feld meines Talentes suchen muß, wie ich denn
schon im vierzehnten bis fünfzehnten Jahre den Versuch machte, die
Historie des Cato von Utica zu dramatifiren. In Kiel ließ ich mich
als stuäiosum tlivolo^litt immatriculiren, mehr meiner Mutter als
einem inneren Antriebe zur Liebe. Ich studirte Kirchengeschichte und
Dogmatik, oder vielmehr Dogmatiker, einen hinter dem andern, bis
endlich Schleiermacher den Reigen beschloß und mich, wider seinen
Willen, zur Philosophie führte. Dem ganzen Studium der Theolo¬
gie und jeder darauf gebauten Lebensaussicht sagte ich im Stillen
Lebewohl, und dies ist der einzige Kampf, den mich die Religion
oder vielmehr der Kirchenglaube gekostet hat: der Kampf zwischen der
Liebe zu meiner Mutter und der Pflicht, mich vor der Heuchelet ei¬
nes ungläubigen Priesterthums zu bewahren. Die Religion selbst hat
mir niemals Gewissensunruhe und Glaubenskämpfe bereitet. Ich er¬
innere mich, daß ich schon als kleines Kind den dogmatisch-mythischen
Inhalt der Bibel und der Gesänge und Gebete, die ich auswendig
lernte, dunkel als fremde Poesie aus dem Heiligendreikönigsland auffaßte
und eine gewisse kindlich naive Subjectivität dagegen behauptete; ja
ich kann sagen, daß ich mit allen diesen Lehren und Wundern nur
durch die Liebe zu meiner frommen und gläubigen Mutter zusammen¬
hing — wie ich noch jetzt in keinen christlichen Tempel treten und
die Orgel hören kann, ohne zugleich an den Verfall einer ehemaligen
religiösen Herrlichkeit und an die im Grabe ruhende Vielgeliebte
trauernd wehmüthig zu denken. Später, in meinem gereifteren Le¬
bensalter reichte ein einziger unvergeßlicher Moment, ein Gedanken¬
blitz in einer schönen Nacht unterm Sternenhimmel hin, um mich für


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[0533] klüglich. Das einzig Eigenthümliche darin war die frühauf in mir brennende und nur mit meinem letzten Athemzuge erlöschende Liebe oder Knechtschaft für das Schöne, aus der ich Alles, Religion, Menschlichkeit. Liebe abzuleiten und zu erklären mich gedrungen fühlte. Aber schon damals, als ich jene Rede schrieb, wie jetzt, hatte ich „die Scheu des Wortes", wie überhaupt der persönlichen Aeußerung des Tiefsten in meinem Gemüth, was ich (familienfehlerhaft) als Profa- nation empfinde und wodurch meine bisherige Schreiberei den gar besonderen Charakter, bald wortschwellender Bildcrberedsamkeit, bald wortkarger Hack- und Schlaggedanken angenommen hat. Dies läßt mich glauben, daß ich im Dramatischen, wo man unpersönlich für Andere redet, das Feld meines Talentes suchen muß, wie ich denn schon im vierzehnten bis fünfzehnten Jahre den Versuch machte, die Historie des Cato von Utica zu dramatifiren. In Kiel ließ ich mich als stuäiosum tlivolo^litt immatriculiren, mehr meiner Mutter als einem inneren Antriebe zur Liebe. Ich studirte Kirchengeschichte und Dogmatik, oder vielmehr Dogmatiker, einen hinter dem andern, bis endlich Schleiermacher den Reigen beschloß und mich, wider seinen Willen, zur Philosophie führte. Dem ganzen Studium der Theolo¬ gie und jeder darauf gebauten Lebensaussicht sagte ich im Stillen Lebewohl, und dies ist der einzige Kampf, den mich die Religion oder vielmehr der Kirchenglaube gekostet hat: der Kampf zwischen der Liebe zu meiner Mutter und der Pflicht, mich vor der Heuchelet ei¬ nes ungläubigen Priesterthums zu bewahren. Die Religion selbst hat mir niemals Gewissensunruhe und Glaubenskämpfe bereitet. Ich er¬ innere mich, daß ich schon als kleines Kind den dogmatisch-mythischen Inhalt der Bibel und der Gesänge und Gebete, die ich auswendig lernte, dunkel als fremde Poesie aus dem Heiligendreikönigsland auffaßte und eine gewisse kindlich naive Subjectivität dagegen behauptete; ja ich kann sagen, daß ich mit allen diesen Lehren und Wundern nur durch die Liebe zu meiner frommen und gläubigen Mutter zusammen¬ hing — wie ich noch jetzt in keinen christlichen Tempel treten und die Orgel hören kann, ohne zugleich an den Verfall einer ehemaligen religiösen Herrlichkeit und an die im Grabe ruhende Vielgeliebte trauernd wehmüthig zu denken. Später, in meinem gereifteren Le¬ bensalter reichte ein einziger unvergeßlicher Moment, ein Gedanken¬ blitz in einer schönen Nacht unterm Sternenhimmel hin, um mich für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/533>, abgerufen am 29.06.2024.