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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Mittelalters, wo der persönliche Werth des Mannes galt. Aus al¬
len Gesichtern dieser Deputaten spricht Muth und Thatkräftigkeit.
Wenn man etwa die Cortes in Spanien aufnimmt, so dürfte es
kaum eine gesetzgebende Versammlung in Europa geben, die so viele
ausdrucksvolle Physiognomien auszuweisen hat lind die so kriegerisch
sich geberdet. Das feurige Auge, der üppige Schnurrbart, die breite
Brust, der blitzende Säbelgriff dieser Deputirten machen den Eindruck,
als wollte diese Versammlung aus dem Berathungösaale sogleich zu
Pferde, um in's Lager und in die Schlacht zu reiten. Die heftigen Ge¬
berden, das rasche Heraussprudeln der Worte, ja die Sprache selbst
in ihrer männlichen, aber wohlklingenden Mischung von Consonnanten
und Vocalen, Alles dies gibt einer nur halbwegs stürmischen Sitzung
einen so entschiedenen Ausdruck, als sollte in nächster Stunde eine
Schlacht geschlagen werden. Bei so heißem Blute ist freilich mancher
übereilte Schritt, manches sanguinische Aufwallen unausweichlich,
aber Begeisterung, Selbstaufopferung und rücksichtsloser Muth wiegen
dies tausendfach wieder auf. Dem Deutschen, der bei seiner Geburt
schon vierzig Jahre alt ist an Bedächtigkeit; der gegen Nichts so nach¬
sichtslos sich zeigt, als gegen jugendliche Fehler und Uebereilungen;
der sogar das Bischen Jugendfrische, welches sich im Studententhum
erhalten hat, auszulöschen im Begriffe steht oder vielmehr bereits
ausgelöscht hat;--der Deutsche setzt sich hin auf den kritischen Rich-
terstuhl und spricht recht gelehrt und weise über die Unreife all
dieser Völker, deren Kopf in ihrem Herzen sitzt. Der Deutsche ist
entweder sentimental oder engherzig, oft beides zugleich, jenes theo¬
retisch, dieses praktisch; entweder verhimmelt überschwenglich, ganz
ausgelöst in schlaffer Gemüthseligkeit, oder voll altreichsstädtischem
Kleinlichkeitssinn und knickeriger Zähheit. Er scheint nicht mehr be¬
greifen zu können, was Jugend, was That und Spannkraft ist. Frei¬
lich sind die Stimmen, welche so splitterrichtend über die Unreife der
Griechen, der Belgier, Magyaren oder Polen predigen, eben so oft
bereit, das deutsche Volk selbst, dieses bemooste Haus, unreif zu schel¬
ten, sobald es einmal Miene macht, politisch leben zu wollen, statt!
zu vegetiren. Muß man am Ende nicht glauben, daß dies": Kritr
alles Leben überhaupt für unreif und erst daS Todte und Verfaulte
für reif hält? --

(Der Schluß folgt im nächsten und letzten Artikel.) ,




Mittelalters, wo der persönliche Werth des Mannes galt. Aus al¬
len Gesichtern dieser Deputaten spricht Muth und Thatkräftigkeit.
Wenn man etwa die Cortes in Spanien aufnimmt, so dürfte es
kaum eine gesetzgebende Versammlung in Europa geben, die so viele
ausdrucksvolle Physiognomien auszuweisen hat lind die so kriegerisch
sich geberdet. Das feurige Auge, der üppige Schnurrbart, die breite
Brust, der blitzende Säbelgriff dieser Deputirten machen den Eindruck,
als wollte diese Versammlung aus dem Berathungösaale sogleich zu
Pferde, um in's Lager und in die Schlacht zu reiten. Die heftigen Ge¬
berden, das rasche Heraussprudeln der Worte, ja die Sprache selbst
in ihrer männlichen, aber wohlklingenden Mischung von Consonnanten
und Vocalen, Alles dies gibt einer nur halbwegs stürmischen Sitzung
einen so entschiedenen Ausdruck, als sollte in nächster Stunde eine
Schlacht geschlagen werden. Bei so heißem Blute ist freilich mancher
übereilte Schritt, manches sanguinische Aufwallen unausweichlich,
aber Begeisterung, Selbstaufopferung und rücksichtsloser Muth wiegen
dies tausendfach wieder auf. Dem Deutschen, der bei seiner Geburt
schon vierzig Jahre alt ist an Bedächtigkeit; der gegen Nichts so nach¬
sichtslos sich zeigt, als gegen jugendliche Fehler und Uebereilungen;
der sogar das Bischen Jugendfrische, welches sich im Studententhum
erhalten hat, auszulöschen im Begriffe steht oder vielmehr bereits
ausgelöscht hat;—der Deutsche setzt sich hin auf den kritischen Rich-
terstuhl und spricht recht gelehrt und weise über die Unreife all
dieser Völker, deren Kopf in ihrem Herzen sitzt. Der Deutsche ist
entweder sentimental oder engherzig, oft beides zugleich, jenes theo¬
retisch, dieses praktisch; entweder verhimmelt überschwenglich, ganz
ausgelöst in schlaffer Gemüthseligkeit, oder voll altreichsstädtischem
Kleinlichkeitssinn und knickeriger Zähheit. Er scheint nicht mehr be¬
greifen zu können, was Jugend, was That und Spannkraft ist. Frei¬
lich sind die Stimmen, welche so splitterrichtend über die Unreife der
Griechen, der Belgier, Magyaren oder Polen predigen, eben so oft
bereit, das deutsche Volk selbst, dieses bemooste Haus, unreif zu schel¬
ten, sobald es einmal Miene macht, politisch leben zu wollen, statt!
zu vegetiren. Muß man am Ende nicht glauben, daß dies«: Kritr
alles Leben überhaupt für unreif und erst daS Todte und Verfaulte
für reif hält? —

(Der Schluß folgt im nächsten und letzten Artikel.) ,




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[0530] Mittelalters, wo der persönliche Werth des Mannes galt. Aus al¬ len Gesichtern dieser Deputaten spricht Muth und Thatkräftigkeit. Wenn man etwa die Cortes in Spanien aufnimmt, so dürfte es kaum eine gesetzgebende Versammlung in Europa geben, die so viele ausdrucksvolle Physiognomien auszuweisen hat lind die so kriegerisch sich geberdet. Das feurige Auge, der üppige Schnurrbart, die breite Brust, der blitzende Säbelgriff dieser Deputirten machen den Eindruck, als wollte diese Versammlung aus dem Berathungösaale sogleich zu Pferde, um in's Lager und in die Schlacht zu reiten. Die heftigen Ge¬ berden, das rasche Heraussprudeln der Worte, ja die Sprache selbst in ihrer männlichen, aber wohlklingenden Mischung von Consonnanten und Vocalen, Alles dies gibt einer nur halbwegs stürmischen Sitzung einen so entschiedenen Ausdruck, als sollte in nächster Stunde eine Schlacht geschlagen werden. Bei so heißem Blute ist freilich mancher übereilte Schritt, manches sanguinische Aufwallen unausweichlich, aber Begeisterung, Selbstaufopferung und rücksichtsloser Muth wiegen dies tausendfach wieder auf. Dem Deutschen, der bei seiner Geburt schon vierzig Jahre alt ist an Bedächtigkeit; der gegen Nichts so nach¬ sichtslos sich zeigt, als gegen jugendliche Fehler und Uebereilungen; der sogar das Bischen Jugendfrische, welches sich im Studententhum erhalten hat, auszulöschen im Begriffe steht oder vielmehr bereits ausgelöscht hat;—der Deutsche setzt sich hin auf den kritischen Rich- terstuhl und spricht recht gelehrt und weise über die Unreife all dieser Völker, deren Kopf in ihrem Herzen sitzt. Der Deutsche ist entweder sentimental oder engherzig, oft beides zugleich, jenes theo¬ retisch, dieses praktisch; entweder verhimmelt überschwenglich, ganz ausgelöst in schlaffer Gemüthseligkeit, oder voll altreichsstädtischem Kleinlichkeitssinn und knickeriger Zähheit. Er scheint nicht mehr be¬ greifen zu können, was Jugend, was That und Spannkraft ist. Frei¬ lich sind die Stimmen, welche so splitterrichtend über die Unreife der Griechen, der Belgier, Magyaren oder Polen predigen, eben so oft bereit, das deutsche Volk selbst, dieses bemooste Haus, unreif zu schel¬ ten, sobald es einmal Miene macht, politisch leben zu wollen, statt! zu vegetiren. Muß man am Ende nicht glauben, daß dies«: Kritr alles Leben überhaupt für unreif und erst daS Todte und Verfaulte für reif hält? — (Der Schluß folgt im nächsten und letzten Artikel.) ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/530>, abgerufen am 29.06.2024.