Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

wie jeder Deutsche sich an meiner Stelle gewundert hätte. Während
man in Deutschland bei keiner öffentlichen Versammlung irgend eine
Waffe bei sich führen darf; während bei öffentlichen Bällen'und Re-
douten sogar die Offiziere ihren Degen an der Thüre ablegen müssen,
ist der Säbel bei dem ungarischen Reichstag do i-i^neur vorgeschrie¬
ben, und es ist Niemand gestattet, ohne denselben den Saal zu be¬
treten.

-- Mit Ausnahme Derjenigen -- siel mein Freund bei dieser
lauten Bemerkung ein -- die oben auf der Galerie den Sitzungen zu¬
schauen wollen. Dorr ist der Platz für die Damen und die müßigen
Gaffer, die gekleidet sein mögen, wie sie wollen. Aber unten im
Saal, auf den für die Zuraten und Honoratioren bestimmten Bän¬
ken ist Attila und Säbel unumgänglich nothwendig. Der Säbel ist
das Symbol des freien Magyaren, der die Pflicht hat, das Vater¬
land zu vertheidigen. Soll man bei den Sitzungen, wo das Wohl
und Wehe der Heimath verhandelt wird, ohne dies Symbol der
Freiheit, Wehrhaftigkeit und Ehre erscheinen dürfen? Der echte Ma¬
gyar ist von seinem Säbel unzertrennlich.

In der That sah ich, als wir in den Saal traten, die ganze
Versammlung, Präsident, Deputate und Zuschauer mit der blitzenden
Waffe an der Seite. Der Präsident, ein dicker Mann mit einem
ungeheueren Schnurrbart, hielt gerade eine lange Rede mit vieler
Heftigkeit, wobei er bisweilen auf den' Tisch schlug, bisweilen
mit dem Säbel auf den Boden stampfte. Was würde man in Deutsch¬
land zu einem Kammerpräsidenten mit einem Schnurrbart sagen?

Ich habe die französischen Kammern gesehen und mancher stür¬
mischen Sitzung über die Befestigung von Paris beigewohnt. Den¬
noch muß ich gestehen, daß mich der ungarische Reichstag mehr auf¬
regte und interesstrte, als jene. Man kommt nach Paris so vorbereitet,
man hat von Jugend auf so Viel darüber gelesen und gehört, daß
man kaum noch von irgend Etwas überrascht werden kann. Das
Außergewöhnliche eines ungarischen Reichstags dagegen wird jedem
Reisenden wie eine neue Entdeckung vorkommen, weil er Aehnliches
nie gesehen, weil er einen ähnlichen Eindruck nie gehabt hat.

Der Charakter des ungarischen Reichstags ist durch und durch
ein militärischer. Nicht im modernen Sinne, wo der Mann in Reihe
und Glied wie eine Drahtpuppe sich bewegt, sondern im Sinne des


Grcnzbote" iSi-i, >- 68

wie jeder Deutsche sich an meiner Stelle gewundert hätte. Während
man in Deutschland bei keiner öffentlichen Versammlung irgend eine
Waffe bei sich führen darf; während bei öffentlichen Bällen'und Re-
douten sogar die Offiziere ihren Degen an der Thüre ablegen müssen,
ist der Säbel bei dem ungarischen Reichstag do i-i^neur vorgeschrie¬
ben, und es ist Niemand gestattet, ohne denselben den Saal zu be¬
treten.

— Mit Ausnahme Derjenigen — siel mein Freund bei dieser
lauten Bemerkung ein — die oben auf der Galerie den Sitzungen zu¬
schauen wollen. Dorr ist der Platz für die Damen und die müßigen
Gaffer, die gekleidet sein mögen, wie sie wollen. Aber unten im
Saal, auf den für die Zuraten und Honoratioren bestimmten Bän¬
ken ist Attila und Säbel unumgänglich nothwendig. Der Säbel ist
das Symbol des freien Magyaren, der die Pflicht hat, das Vater¬
land zu vertheidigen. Soll man bei den Sitzungen, wo das Wohl
und Wehe der Heimath verhandelt wird, ohne dies Symbol der
Freiheit, Wehrhaftigkeit und Ehre erscheinen dürfen? Der echte Ma¬
gyar ist von seinem Säbel unzertrennlich.

In der That sah ich, als wir in den Saal traten, die ganze
Versammlung, Präsident, Deputate und Zuschauer mit der blitzenden
Waffe an der Seite. Der Präsident, ein dicker Mann mit einem
ungeheueren Schnurrbart, hielt gerade eine lange Rede mit vieler
Heftigkeit, wobei er bisweilen auf den' Tisch schlug, bisweilen
mit dem Säbel auf den Boden stampfte. Was würde man in Deutsch¬
land zu einem Kammerpräsidenten mit einem Schnurrbart sagen?

Ich habe die französischen Kammern gesehen und mancher stür¬
mischen Sitzung über die Befestigung von Paris beigewohnt. Den¬
noch muß ich gestehen, daß mich der ungarische Reichstag mehr auf¬
regte und interesstrte, als jene. Man kommt nach Paris so vorbereitet,
man hat von Jugend auf so Viel darüber gelesen und gehört, daß
man kaum noch von irgend Etwas überrascht werden kann. Das
Außergewöhnliche eines ungarischen Reichstags dagegen wird jedem
Reisenden wie eine neue Entdeckung vorkommen, weil er Aehnliches
nie gesehen, weil er einen ähnlichen Eindruck nie gehabt hat.

Der Charakter des ungarischen Reichstags ist durch und durch
ein militärischer. Nicht im modernen Sinne, wo der Mann in Reihe
und Glied wie eine Drahtpuppe sich bewegt, sondern im Sinne des


Grcnzbote» iSi-i, >- 68
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0529" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180242"/>
            <p xml:id="ID_1431" prev="#ID_1430"> wie jeder Deutsche sich an meiner Stelle gewundert hätte. Während<lb/>
man in Deutschland bei keiner öffentlichen Versammlung irgend eine<lb/>
Waffe bei sich führen darf; während bei öffentlichen Bällen'und Re-<lb/>
douten sogar die Offiziere ihren Degen an der Thüre ablegen müssen,<lb/>
ist der Säbel bei dem ungarischen Reichstag do i-i^neur vorgeschrie¬<lb/>
ben, und es ist Niemand gestattet, ohne denselben den Saal zu be¬<lb/>
treten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1432"> &#x2014; Mit Ausnahme Derjenigen &#x2014; siel mein Freund bei dieser<lb/>
lauten Bemerkung ein &#x2014; die oben auf der Galerie den Sitzungen zu¬<lb/>
schauen wollen. Dorr ist der Platz für die Damen und die müßigen<lb/>
Gaffer, die gekleidet sein mögen, wie sie wollen. Aber unten im<lb/>
Saal, auf den für die Zuraten und Honoratioren bestimmten Bän¬<lb/>
ken ist Attila und Säbel unumgänglich nothwendig. Der Säbel ist<lb/>
das Symbol des freien Magyaren, der die Pflicht hat, das Vater¬<lb/>
land zu vertheidigen. Soll man bei den Sitzungen, wo das Wohl<lb/>
und Wehe der Heimath verhandelt wird, ohne dies Symbol der<lb/>
Freiheit, Wehrhaftigkeit und Ehre erscheinen dürfen? Der echte Ma¬<lb/>
gyar ist von seinem Säbel unzertrennlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1433"> In der That sah ich, als wir in den Saal traten, die ganze<lb/>
Versammlung, Präsident, Deputate und Zuschauer mit der blitzenden<lb/>
Waffe an der Seite. Der Präsident, ein dicker Mann mit einem<lb/>
ungeheueren Schnurrbart, hielt gerade eine lange Rede mit vieler<lb/>
Heftigkeit, wobei er bisweilen auf den' Tisch schlug, bisweilen<lb/>
mit dem Säbel auf den Boden stampfte. Was würde man in Deutsch¬<lb/>
land zu einem Kammerpräsidenten mit einem Schnurrbart sagen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1434"> Ich habe die französischen Kammern gesehen und mancher stür¬<lb/>
mischen Sitzung über die Befestigung von Paris beigewohnt. Den¬<lb/>
noch muß ich gestehen, daß mich der ungarische Reichstag mehr auf¬<lb/>
regte und interesstrte, als jene. Man kommt nach Paris so vorbereitet,<lb/>
man hat von Jugend auf so Viel darüber gelesen und gehört, daß<lb/>
man kaum noch von irgend Etwas überrascht werden kann. Das<lb/>
Außergewöhnliche eines ungarischen Reichstags dagegen wird jedem<lb/>
Reisenden wie eine neue Entdeckung vorkommen, weil er Aehnliches<lb/>
nie gesehen, weil er einen ähnlichen Eindruck nie gehabt hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1435" next="#ID_1436"> Der Charakter des ungarischen Reichstags ist durch und durch<lb/>
ein militärischer. Nicht im modernen Sinne, wo der Mann in Reihe<lb/>
und Glied wie eine Drahtpuppe sich bewegt, sondern im Sinne des</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Grcnzbote» iSi-i, &gt;- 68</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0529] wie jeder Deutsche sich an meiner Stelle gewundert hätte. Während man in Deutschland bei keiner öffentlichen Versammlung irgend eine Waffe bei sich führen darf; während bei öffentlichen Bällen'und Re- douten sogar die Offiziere ihren Degen an der Thüre ablegen müssen, ist der Säbel bei dem ungarischen Reichstag do i-i^neur vorgeschrie¬ ben, und es ist Niemand gestattet, ohne denselben den Saal zu be¬ treten. — Mit Ausnahme Derjenigen — siel mein Freund bei dieser lauten Bemerkung ein — die oben auf der Galerie den Sitzungen zu¬ schauen wollen. Dorr ist der Platz für die Damen und die müßigen Gaffer, die gekleidet sein mögen, wie sie wollen. Aber unten im Saal, auf den für die Zuraten und Honoratioren bestimmten Bän¬ ken ist Attila und Säbel unumgänglich nothwendig. Der Säbel ist das Symbol des freien Magyaren, der die Pflicht hat, das Vater¬ land zu vertheidigen. Soll man bei den Sitzungen, wo das Wohl und Wehe der Heimath verhandelt wird, ohne dies Symbol der Freiheit, Wehrhaftigkeit und Ehre erscheinen dürfen? Der echte Ma¬ gyar ist von seinem Säbel unzertrennlich. In der That sah ich, als wir in den Saal traten, die ganze Versammlung, Präsident, Deputate und Zuschauer mit der blitzenden Waffe an der Seite. Der Präsident, ein dicker Mann mit einem ungeheueren Schnurrbart, hielt gerade eine lange Rede mit vieler Heftigkeit, wobei er bisweilen auf den' Tisch schlug, bisweilen mit dem Säbel auf den Boden stampfte. Was würde man in Deutsch¬ land zu einem Kammerpräsidenten mit einem Schnurrbart sagen? Ich habe die französischen Kammern gesehen und mancher stür¬ mischen Sitzung über die Befestigung von Paris beigewohnt. Den¬ noch muß ich gestehen, daß mich der ungarische Reichstag mehr auf¬ regte und interesstrte, als jene. Man kommt nach Paris so vorbereitet, man hat von Jugend auf so Viel darüber gelesen und gehört, daß man kaum noch von irgend Etwas überrascht werden kann. Das Außergewöhnliche eines ungarischen Reichstags dagegen wird jedem Reisenden wie eine neue Entdeckung vorkommen, weil er Aehnliches nie gesehen, weil er einen ähnlichen Eindruck nie gehabt hat. Der Charakter des ungarischen Reichstags ist durch und durch ein militärischer. Nicht im modernen Sinne, wo der Mann in Reihe und Glied wie eine Drahtpuppe sich bewegt, sondern im Sinne des Grcnzbote» iSi-i, >- 68

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/529
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/529>, abgerufen am 29.06.2024.