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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Meinhold gehabt, el" Buch, dessen Färbung der Tieck-Arnim'schen
Zeit anzugehören scheint.

Bei den Magyaren und Slaven aber lebt diese todtgesagte Ro¬
mantik in voller Jünglingsblüthe. Was ihre aufstrebende poetische
Literatur producirt und aus fremden Sprachen übersetzt, ist fast aus¬
schließlich romantischer Natur. So ließe sich denn erwarten, daß auf der
am weitesten vorgeschobenen deutschen Bühne, auf dem Theater in
Preßburg, irgend ein Schiller'sches oder Grillparzer'sches Drama zu
finden wäre, das durch seine stofflichen und sprachlichen Verhältnisse der
äußeren Wirkung sicher ist und durch Würde und Schwung seiner
Gedanken dem deutschen Geiste bei den fremden Nationen Achtung
und Zuneigung erobern muß. Aber es scheint, als ob die französi¬
schen und deutschen Schauspielertruppen in der Fremde sich das Wort
gegeben hätten, ihre heimathliche Bühne von ihrer schlimmsten Seite
zu produciren; und wie die französischen Theatergesellschaften in Ber-
lin und Wien die schmählichsten Vaudevilles der letzten Pariser
Vorstadttheater dem deutschen Publicum auftischen, ebenso bedient die
deutsche Theatergesellschaft in Preszburg das dortige Publicum init
dem verächtlichsten Abwurf Wiener Localdichtung; der Grund ist über¬
all derselbe. Die Direktoren solcher Theateranstalten haben nicht die
Mittel, ausgezeichnete Mitglieder so zu bezahlen, daß sie es der Mühe
werth hielten, sich einer solchen Bühne im Auslande anzuschließen.
Ich glaube jedoch, hier wäre der Ort, wo die Negierung dem Thea¬
ter durch Unterstützung zu Hilfe kommen müßte. Es wäre allerdings
lächerlich, der französischen Regierung zuzumuthen, den französischen
Schauspielunternehmern in Wien und in Berlin Subsidien zu geben;
aber es ist keineswegs lächerlich, der österreichischen Regierung zuzu¬
muthen, dem deutschen Theater in Preßburg unter die Arme zu grei¬
fen. Die Politik der österreichischen Regierung, mag sie nun, was
sie will, sein, eine deutsche oder slavische, eine italienische oder un-
garische, immer wird sie Vortheil daraus ziehen, wenn die Nationa¬
lität, dem das Kaiserhaus und die Residenz angehören, in allen nickt-
deutschen Erbländern beliebt und geachtet ist; und zu diesem Zwecke
ist kein Mittel zu geringfügig, und das Theater in seiner sittliche"
Bedeutung am allerwenigsten. Zu germanisiren ist es für Oesterreich
zu spät -- es hat es in günstige" Zeiten nicht versucht, jetzt wäre
es unsinnig, ihm dazu zu rathe". Aber dem Deutsche" Beliebtheit


Meinhold gehabt, el» Buch, dessen Färbung der Tieck-Arnim'schen
Zeit anzugehören scheint.

Bei den Magyaren und Slaven aber lebt diese todtgesagte Ro¬
mantik in voller Jünglingsblüthe. Was ihre aufstrebende poetische
Literatur producirt und aus fremden Sprachen übersetzt, ist fast aus¬
schließlich romantischer Natur. So ließe sich denn erwarten, daß auf der
am weitesten vorgeschobenen deutschen Bühne, auf dem Theater in
Preßburg, irgend ein Schiller'sches oder Grillparzer'sches Drama zu
finden wäre, das durch seine stofflichen und sprachlichen Verhältnisse der
äußeren Wirkung sicher ist und durch Würde und Schwung seiner
Gedanken dem deutschen Geiste bei den fremden Nationen Achtung
und Zuneigung erobern muß. Aber es scheint, als ob die französi¬
schen und deutschen Schauspielertruppen in der Fremde sich das Wort
gegeben hätten, ihre heimathliche Bühne von ihrer schlimmsten Seite
zu produciren; und wie die französischen Theatergesellschaften in Ber-
lin und Wien die schmählichsten Vaudevilles der letzten Pariser
Vorstadttheater dem deutschen Publicum auftischen, ebenso bedient die
deutsche Theatergesellschaft in Preszburg das dortige Publicum init
dem verächtlichsten Abwurf Wiener Localdichtung; der Grund ist über¬
all derselbe. Die Direktoren solcher Theateranstalten haben nicht die
Mittel, ausgezeichnete Mitglieder so zu bezahlen, daß sie es der Mühe
werth hielten, sich einer solchen Bühne im Auslande anzuschließen.
Ich glaube jedoch, hier wäre der Ort, wo die Negierung dem Thea¬
ter durch Unterstützung zu Hilfe kommen müßte. Es wäre allerdings
lächerlich, der französischen Regierung zuzumuthen, den französischen
Schauspielunternehmern in Wien und in Berlin Subsidien zu geben;
aber es ist keineswegs lächerlich, der österreichischen Regierung zuzu¬
muthen, dem deutschen Theater in Preßburg unter die Arme zu grei¬
fen. Die Politik der österreichischen Regierung, mag sie nun, was
sie will, sein, eine deutsche oder slavische, eine italienische oder un-
garische, immer wird sie Vortheil daraus ziehen, wenn die Nationa¬
lität, dem das Kaiserhaus und die Residenz angehören, in allen nickt-
deutschen Erbländern beliebt und geachtet ist; und zu diesem Zwecke
ist kein Mittel zu geringfügig, und das Theater in seiner sittliche»
Bedeutung am allerwenigsten. Zu germanisiren ist es für Oesterreich
zu spät — es hat es in günstige» Zeiten nicht versucht, jetzt wäre
es unsinnig, ihm dazu zu rathe». Aber dem Deutsche» Beliebtheit


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[0526] Meinhold gehabt, el» Buch, dessen Färbung der Tieck-Arnim'schen Zeit anzugehören scheint. Bei den Magyaren und Slaven aber lebt diese todtgesagte Ro¬ mantik in voller Jünglingsblüthe. Was ihre aufstrebende poetische Literatur producirt und aus fremden Sprachen übersetzt, ist fast aus¬ schließlich romantischer Natur. So ließe sich denn erwarten, daß auf der am weitesten vorgeschobenen deutschen Bühne, auf dem Theater in Preßburg, irgend ein Schiller'sches oder Grillparzer'sches Drama zu finden wäre, das durch seine stofflichen und sprachlichen Verhältnisse der äußeren Wirkung sicher ist und durch Würde und Schwung seiner Gedanken dem deutschen Geiste bei den fremden Nationen Achtung und Zuneigung erobern muß. Aber es scheint, als ob die französi¬ schen und deutschen Schauspielertruppen in der Fremde sich das Wort gegeben hätten, ihre heimathliche Bühne von ihrer schlimmsten Seite zu produciren; und wie die französischen Theatergesellschaften in Ber- lin und Wien die schmählichsten Vaudevilles der letzten Pariser Vorstadttheater dem deutschen Publicum auftischen, ebenso bedient die deutsche Theatergesellschaft in Preszburg das dortige Publicum init dem verächtlichsten Abwurf Wiener Localdichtung; der Grund ist über¬ all derselbe. Die Direktoren solcher Theateranstalten haben nicht die Mittel, ausgezeichnete Mitglieder so zu bezahlen, daß sie es der Mühe werth hielten, sich einer solchen Bühne im Auslande anzuschließen. Ich glaube jedoch, hier wäre der Ort, wo die Negierung dem Thea¬ ter durch Unterstützung zu Hilfe kommen müßte. Es wäre allerdings lächerlich, der französischen Regierung zuzumuthen, den französischen Schauspielunternehmern in Wien und in Berlin Subsidien zu geben; aber es ist keineswegs lächerlich, der österreichischen Regierung zuzu¬ muthen, dem deutschen Theater in Preßburg unter die Arme zu grei¬ fen. Die Politik der österreichischen Regierung, mag sie nun, was sie will, sein, eine deutsche oder slavische, eine italienische oder un- garische, immer wird sie Vortheil daraus ziehen, wenn die Nationa¬ lität, dem das Kaiserhaus und die Residenz angehören, in allen nickt- deutschen Erbländern beliebt und geachtet ist; und zu diesem Zwecke ist kein Mittel zu geringfügig, und das Theater in seiner sittliche» Bedeutung am allerwenigsten. Zu germanisiren ist es für Oesterreich zu spät — es hat es in günstige» Zeiten nicht versucht, jetzt wäre es unsinnig, ihm dazu zu rathe». Aber dem Deutsche» Beliebtheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/526>, abgerufen am 28.09.2024.