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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Bis zu der Stunde der sophokleischen Tragödie setzte ich meinen
Spaziergang in der Stadt fort. An der Wand eines im Baue be¬
griffenen Gebäudes las ich folgende Zuschrift: I^ni-oiiilui".

Ganz vertieft in die Inschrift, stieß ich mich an eine Verschöne¬
rung der Stadt, in Gestalt eines Steinhaufens, ('-.v"; "v <ü"l!l",
rief mir der nahestehende Invalide zu. Ich -kam mit einer leichten
Schmarre davon; der Ruf jenes Veteranen rettete mich vor einem
Beinbruch.

Vor einem Kaffeehause sang eine Schaar Studenten mit Be¬
gleitung des Sistrums die erste Ode des Horaz:


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nach der Melodie: Freut euch des Lebens.

Die Gaste riefen den Gar^on i>nor, und ein Lictor von der
Garde rief, als er sein Glas, in welches eine Fliege gefallen war,
zurückschickte: I'""' -tKiz" musc""!

Unermeßliche Schaaren strömten nach dem Theater. Außer der
gewöhnlichen Vorstellung, verkündete der Zettel, werde ein bekannter
Staatsmann als Nero, nach dem ionischen Modus Bruchstücke eines
Gedichtes über den trojanischen Krieg singen, und die römische Polka,
nämlich den pyrrhesischen Tanz tanzen.

Elektra wurde unter allgemeiner Gleichgiltigkeit gespielt. "Es
ist die beste Tragödie des Sophokles," sagte der Oberredacteur, der
mir einen Platz in seiner Loge eingeräumt hatte. "Nehmen Sie sie
für das Odeon."

Eben als er mir das Anerbieten gemacht hatte, trat der Re¬
gisseur hervor und kündigte an, der bekannte Staatsmann habe die
Auguren befragt und werde nicht spielen. Ein fürchterlicher Aufruhr
war die Folge dieser Ankündigung; das Volk drohte, auf den heiligen
Berg zu ziehen. Der Aedil legte seine Schärpe um, man wollte das
Volk schon angreifen, als es einem ehrbaren Bürger gelang, es durch
Erzählung einer Fabel zu seiner Pflicht zurückzuführen.

Meine Sendung war vollendet. Ich hatte das Manuscript zur
Elektra von dem Oberredacteur empfangen; ich hatte Meyerbeer in
der Loge gesehen, und einen Aufruhr, der durch eine Fabel gestillt
wurde; es blieb mir Nichts mehr übrig, als abzureisen. Dies that
ich, nachdem ich dem Stubenmädchen des Hotels einen Thaler Trink¬
geld gegeben hatte, und von ihr den Abschiedsgruß Viv" I?"-Iix em¬
pfangen hatte! Das Stubenmädchen hieß <>nel>i.i.




Bis zu der Stunde der sophokleischen Tragödie setzte ich meinen
Spaziergang in der Stadt fort. An der Wand eines im Baue be¬
griffenen Gebäudes las ich folgende Zuschrift: I^ni-oiiilui«.

Ganz vertieft in die Inschrift, stieß ich mich an eine Verschöne¬
rung der Stadt, in Gestalt eines Steinhaufens, ('-.v«; „v <ü„l!l«,
rief mir der nahestehende Invalide zu. Ich -kam mit einer leichten
Schmarre davon; der Ruf jenes Veteranen rettete mich vor einem
Beinbruch.

Vor einem Kaffeehause sang eine Schaar Studenten mit Be¬
gleitung des Sistrums die erste Ode des Horaz:


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nach der Melodie: Freut euch des Lebens.

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Garde rief, als er sein Glas, in welches eine Fliege gefallen war,
zurückschickte: I'»»' -tKiz« musc»»!

Unermeßliche Schaaren strömten nach dem Theater. Außer der
gewöhnlichen Vorstellung, verkündete der Zettel, werde ein bekannter
Staatsmann als Nero, nach dem ionischen Modus Bruchstücke eines
Gedichtes über den trojanischen Krieg singen, und die römische Polka,
nämlich den pyrrhesischen Tanz tanzen.

Elektra wurde unter allgemeiner Gleichgiltigkeit gespielt. „Es
ist die beste Tragödie des Sophokles," sagte der Oberredacteur, der
mir einen Platz in seiner Loge eingeräumt hatte. „Nehmen Sie sie
für das Odeon."

Eben als er mir das Anerbieten gemacht hatte, trat der Re¬
gisseur hervor und kündigte an, der bekannte Staatsmann habe die
Auguren befragt und werde nicht spielen. Ein fürchterlicher Aufruhr
war die Folge dieser Ankündigung; das Volk drohte, auf den heiligen
Berg zu ziehen. Der Aedil legte seine Schärpe um, man wollte das
Volk schon angreifen, als es einem ehrbaren Bürger gelang, es durch
Erzählung einer Fabel zu seiner Pflicht zurückzuführen.

Meine Sendung war vollendet. Ich hatte das Manuscript zur
Elektra von dem Oberredacteur empfangen; ich hatte Meyerbeer in
der Loge gesehen, und einen Aufruhr, der durch eine Fabel gestillt
wurde; es blieb mir Nichts mehr übrig, als abzureisen. Dies that
ich, nachdem ich dem Stubenmädchen des Hotels einen Thaler Trink¬
geld gegeben hatte, und von ihr den Abschiedsgruß Viv« I?«-Iix em¬
pfangen hatte! Das Stubenmädchen hieß <>nel>i.i.




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[0519] Bis zu der Stunde der sophokleischen Tragödie setzte ich meinen Spaziergang in der Stadt fort. An der Wand eines im Baue be¬ griffenen Gebäudes las ich folgende Zuschrift: I^ni-oiiilui«. Ganz vertieft in die Inschrift, stieß ich mich an eine Verschöne¬ rung der Stadt, in Gestalt eines Steinhaufens, ('-.v«; „v <ü„l!l«, rief mir der nahestehende Invalide zu. Ich -kam mit einer leichten Schmarre davon; der Ruf jenes Veteranen rettete mich vor einem Beinbruch. Vor einem Kaffeehause sang eine Schaar Studenten mit Be¬ gleitung des Sistrums die erste Ode des Horaz: AI!ü:vn>'>« ut-lois cäiie rvAiim«, . . . PI'<!8et1in,M (Üllvl! l!l>UU8 »wen» nach der Melodie: Freut euch des Lebens. Die Gaste riefen den Gar^on i>nor, und ein Lictor von der Garde rief, als er sein Glas, in welches eine Fliege gefallen war, zurückschickte: I'»»' -tKiz« musc»»! Unermeßliche Schaaren strömten nach dem Theater. Außer der gewöhnlichen Vorstellung, verkündete der Zettel, werde ein bekannter Staatsmann als Nero, nach dem ionischen Modus Bruchstücke eines Gedichtes über den trojanischen Krieg singen, und die römische Polka, nämlich den pyrrhesischen Tanz tanzen. Elektra wurde unter allgemeiner Gleichgiltigkeit gespielt. „Es ist die beste Tragödie des Sophokles," sagte der Oberredacteur, der mir einen Platz in seiner Loge eingeräumt hatte. „Nehmen Sie sie für das Odeon." Eben als er mir das Anerbieten gemacht hatte, trat der Re¬ gisseur hervor und kündigte an, der bekannte Staatsmann habe die Auguren befragt und werde nicht spielen. Ein fürchterlicher Aufruhr war die Folge dieser Ankündigung; das Volk drohte, auf den heiligen Berg zu ziehen. Der Aedil legte seine Schärpe um, man wollte das Volk schon angreifen, als es einem ehrbaren Bürger gelang, es durch Erzählung einer Fabel zu seiner Pflicht zurückzuführen. Meine Sendung war vollendet. Ich hatte das Manuscript zur Elektra von dem Oberredacteur empfangen; ich hatte Meyerbeer in der Loge gesehen, und einen Aufruhr, der durch eine Fabel gestillt wurde; es blieb mir Nichts mehr übrig, als abzureisen. Dies that ich, nachdem ich dem Stubenmädchen des Hotels einen Thaler Trink¬ geld gegeben hatte, und von ihr den Abschiedsgruß Viv« I?«-Iix em¬ pfangen hatte! Das Stubenmädchen hieß <>nel>i.i.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/519>, abgerufen am 29.06.2024.