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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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brauch ihrer Freiheit zu gewöhnen, damit sie ihren Boden auf
der Universität nicht als Fremdlinge betreten und gleich dem Vogel,
der lange im Käfig saß, aus einem Ertrein in's andere fallen; da¬
mit sie sich nicht nach ihrer plötzlichen Metamorphose in dem einen
Moment für selige Paradiesvögel halten (von denen man ja bekannt¬
lich früher glaubte, daß sie die Erde nie berühren), und in dem an¬
dern sich wieder als unglückliche Strauße geberden, die sich nie über
ihre öden Sandwüsten zu erheben vermögen. Seitdem die Gymnasien
diese ihre hohe Aufgabe erkannt haben, dürfen wir hoffen, daß die
Jünglinge künftig auf der Universität in dem reinen Aether ihrer sitt¬
lichen und akademischen Freiheit sich gleich heimisch fühlen und nicht
so leicht bis zum Schwindel davon berauscht sein werden. Der Jüng¬
ling wird sich nicht mehr über ernste Formen und Schranken hinweg¬
setzen, sobald man ihm nur erst die Form nicht mehr durch Forma¬
lismus zuwider macht.-- Eben so wenig trifft aber auch der andere
Vorwurf, welchen man in wissenschaftlicher Hinsicht nicht ohne
allen Grund den Corps gemacht hat, die Idee der Corps an
und für sich, da Wissenschaftlichkeit und Gemüthlichkeit sich doch
gewiß im Princip nicht ausschließen. Es liegt die Schuld des un-
eligen " Eramenstudiums " viel weniger auf Seiten der akademischen
Jugend, als vielmehr auf der Seite der Professoren. Sie sind
es, gegen die man mit bei Weitem mehr Grund die Anklage eines
leidigen "Separatismus" erheben kann, als gegen unsre deutschen
Studenten. Mit den steifen Kollegien allein ist der akademischen
Jugend nicht gedient; sie verlangt, daß die Wissenschaft mit dem
Leben verschmolzen werde. Dieses Princip scheint aber die Professo¬
renwelt leider noch immer nicht anerkennen zu wollen. Statt sich
mit dem Studententhume mehr und mehr zu amalgamiren (man un¬
terscheide dies wohl von Fraternisiren!) verharrt sie nach wie vor in
ihrem unseligen Kastengeist und vermag darum auch nicht die aka-
demische Welt mit freiem wissenschaftlichem Geiste zu durchdringen.
Und welch schöner Wirkungskreis für die Entfaltung dieses wich¬
tigsten Theils ihrer Thätigkeit ist ihnen in dem Institute der Lese¬
museen, wie es bereits auf den meisten Universitäten besteht, er¬
öffnet !

Hat sich die Form der Corps wirklich überlebt, so wird sich das
Studententhum selbst ohne fremde Einmischung eine neue, zeitgemäße


brauch ihrer Freiheit zu gewöhnen, damit sie ihren Boden auf
der Universität nicht als Fremdlinge betreten und gleich dem Vogel,
der lange im Käfig saß, aus einem Ertrein in's andere fallen; da¬
mit sie sich nicht nach ihrer plötzlichen Metamorphose in dem einen
Moment für selige Paradiesvögel halten (von denen man ja bekannt¬
lich früher glaubte, daß sie die Erde nie berühren), und in dem an¬
dern sich wieder als unglückliche Strauße geberden, die sich nie über
ihre öden Sandwüsten zu erheben vermögen. Seitdem die Gymnasien
diese ihre hohe Aufgabe erkannt haben, dürfen wir hoffen, daß die
Jünglinge künftig auf der Universität in dem reinen Aether ihrer sitt¬
lichen und akademischen Freiheit sich gleich heimisch fühlen und nicht
so leicht bis zum Schwindel davon berauscht sein werden. Der Jüng¬
ling wird sich nicht mehr über ernste Formen und Schranken hinweg¬
setzen, sobald man ihm nur erst die Form nicht mehr durch Forma¬
lismus zuwider macht.— Eben so wenig trifft aber auch der andere
Vorwurf, welchen man in wissenschaftlicher Hinsicht nicht ohne
allen Grund den Corps gemacht hat, die Idee der Corps an
und für sich, da Wissenschaftlichkeit und Gemüthlichkeit sich doch
gewiß im Princip nicht ausschließen. Es liegt die Schuld des un-
eligen „ Eramenstudiums " viel weniger auf Seiten der akademischen
Jugend, als vielmehr auf der Seite der Professoren. Sie sind
es, gegen die man mit bei Weitem mehr Grund die Anklage eines
leidigen „Separatismus" erheben kann, als gegen unsre deutschen
Studenten. Mit den steifen Kollegien allein ist der akademischen
Jugend nicht gedient; sie verlangt, daß die Wissenschaft mit dem
Leben verschmolzen werde. Dieses Princip scheint aber die Professo¬
renwelt leider noch immer nicht anerkennen zu wollen. Statt sich
mit dem Studententhume mehr und mehr zu amalgamiren (man un¬
terscheide dies wohl von Fraternisiren!) verharrt sie nach wie vor in
ihrem unseligen Kastengeist und vermag darum auch nicht die aka-
demische Welt mit freiem wissenschaftlichem Geiste zu durchdringen.
Und welch schöner Wirkungskreis für die Entfaltung dieses wich¬
tigsten Theils ihrer Thätigkeit ist ihnen in dem Institute der Lese¬
museen, wie es bereits auf den meisten Universitäten besteht, er¬
öffnet !

Hat sich die Form der Corps wirklich überlebt, so wird sich das
Studententhum selbst ohne fremde Einmischung eine neue, zeitgemäße


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[0506] brauch ihrer Freiheit zu gewöhnen, damit sie ihren Boden auf der Universität nicht als Fremdlinge betreten und gleich dem Vogel, der lange im Käfig saß, aus einem Ertrein in's andere fallen; da¬ mit sie sich nicht nach ihrer plötzlichen Metamorphose in dem einen Moment für selige Paradiesvögel halten (von denen man ja bekannt¬ lich früher glaubte, daß sie die Erde nie berühren), und in dem an¬ dern sich wieder als unglückliche Strauße geberden, die sich nie über ihre öden Sandwüsten zu erheben vermögen. Seitdem die Gymnasien diese ihre hohe Aufgabe erkannt haben, dürfen wir hoffen, daß die Jünglinge künftig auf der Universität in dem reinen Aether ihrer sitt¬ lichen und akademischen Freiheit sich gleich heimisch fühlen und nicht so leicht bis zum Schwindel davon berauscht sein werden. Der Jüng¬ ling wird sich nicht mehr über ernste Formen und Schranken hinweg¬ setzen, sobald man ihm nur erst die Form nicht mehr durch Forma¬ lismus zuwider macht.— Eben so wenig trifft aber auch der andere Vorwurf, welchen man in wissenschaftlicher Hinsicht nicht ohne allen Grund den Corps gemacht hat, die Idee der Corps an und für sich, da Wissenschaftlichkeit und Gemüthlichkeit sich doch gewiß im Princip nicht ausschließen. Es liegt die Schuld des un- eligen „ Eramenstudiums " viel weniger auf Seiten der akademischen Jugend, als vielmehr auf der Seite der Professoren. Sie sind es, gegen die man mit bei Weitem mehr Grund die Anklage eines leidigen „Separatismus" erheben kann, als gegen unsre deutschen Studenten. Mit den steifen Kollegien allein ist der akademischen Jugend nicht gedient; sie verlangt, daß die Wissenschaft mit dem Leben verschmolzen werde. Dieses Princip scheint aber die Professo¬ renwelt leider noch immer nicht anerkennen zu wollen. Statt sich mit dem Studententhume mehr und mehr zu amalgamiren (man un¬ terscheide dies wohl von Fraternisiren!) verharrt sie nach wie vor in ihrem unseligen Kastengeist und vermag darum auch nicht die aka- demische Welt mit freiem wissenschaftlichem Geiste zu durchdringen. Und welch schöner Wirkungskreis für die Entfaltung dieses wich¬ tigsten Theils ihrer Thätigkeit ist ihnen in dem Institute der Lese¬ museen, wie es bereits auf den meisten Universitäten besteht, er¬ öffnet ! Hat sich die Form der Corps wirklich überlebt, so wird sich das Studententhum selbst ohne fremde Einmischung eine neue, zeitgemäße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/506>, abgerufen am 28.09.2024.