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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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er selbst Philister ist, wie er als " bemooster Bursche" in humoristischer
Wehmuth von sich selber singt. Es ist nicht zu läugnen, daß oft die
tollsten Häuser zuletzt maschinenmäßige Beamten, büreaukratische Kri"
eher und Despoten werden. Ich meine aber, unser bürgerliches Le¬
ben ist reich genug an verledernden Einflüssen: trotz der akademischen
Jugendzeit, nicht durch dieselbe, entstehen diese Pilze einer wässeri¬
gen Civilisation. Eher sollte man fragen: was würde, bei unserer
allgemeinen politischen Erziehung, erst aus den meisten jungen Leuten
werden, wenn ihnen nicht in der Studienzeit wenigstens eine Ah¬
nung von freierer, naturwüchsiger Männlichkeit angeflogen wäre? --

Berühren wir noch zwei Anklagepunkte, die man nicht ohne
Grund gegen das deutsche Corpsleben geltend macht. Dahin gehört
in sittlicher Hinsicht der Mißbrauch der akademischen Freiheit. Wir
sind um so eher geneigt, unsern Gegnern hier volle Gerechtigkeit wi¬
derfahren zu lassen, da sie ja namentlich, was das Duell betrifft,
durch die Anerkennung der guten Seiten desselben, seines echt natio¬
nalen Charakters, insofern sich der Deutsche im blanken Schmuck der
Waffen besonders gefällt und in ihrem blutigen Urtheil mehr als
bloßes Spiel des Zufalls erblickt, eine größere Billigkeit als sonst an
den Tag legen. Jedoch hätten sie, statt in ewige Klagen über sol¬
chen Mißbrauch der akademischen Freiheit auszubrechen, auf die
Quelle des Unheils hinweisen sollen. Dieser Pflicht unterziehen wir
uns um so lieber, da gerade der neuesten Zeit das Verdienst ge¬
bührt, jene Quelle hier und da erkannt zu haben und auf ihre Aus¬
trocknung bedacht zu sein. Dieser bedeutende Fortschritt zeigt sich in
einer freieren, liberaleren Organisation der Gymnasien, wie sie jetzt
namentlich in Hessen nach und nach in's Leben tritt, -- ganz im
Gegensatze zu der sonst so beliebten Richtung dieser Anstalten. Man
will hier nicht mehr den elektrischen Stoff des Jugendfeuers sich
aufhäufen lassen, bis er früher oder später die Fesseln sprengt: man
hat jetzt der Natur die Kunst abgelernt, durch zweckmäßige Verthei-
lung der elektrischen Kraft die ungestümen Ausbrüche derselben zu
verhindern, ohne ihre wohlthätige Wirksamkeit zu schwächen. Von
jener klösterlichen Zucht, die noch vor kurzer Zeit gleich einem schwe¬
ren Alp die jugendlichen Geister auf dem Gymnasium drückte, ist
man immer mehr zurückgekommen. Man sucht jetzt die Jünglinge
auf den deutschen Gymnasien mehr und mehr an den richtigen Ge-


Grenzbotcn 184i. l. 65

er selbst Philister ist, wie er als „ bemooster Bursche" in humoristischer
Wehmuth von sich selber singt. Es ist nicht zu läugnen, daß oft die
tollsten Häuser zuletzt maschinenmäßige Beamten, büreaukratische Kri»
eher und Despoten werden. Ich meine aber, unser bürgerliches Le¬
ben ist reich genug an verledernden Einflüssen: trotz der akademischen
Jugendzeit, nicht durch dieselbe, entstehen diese Pilze einer wässeri¬
gen Civilisation. Eher sollte man fragen: was würde, bei unserer
allgemeinen politischen Erziehung, erst aus den meisten jungen Leuten
werden, wenn ihnen nicht in der Studienzeit wenigstens eine Ah¬
nung von freierer, naturwüchsiger Männlichkeit angeflogen wäre? —

Berühren wir noch zwei Anklagepunkte, die man nicht ohne
Grund gegen das deutsche Corpsleben geltend macht. Dahin gehört
in sittlicher Hinsicht der Mißbrauch der akademischen Freiheit. Wir
sind um so eher geneigt, unsern Gegnern hier volle Gerechtigkeit wi¬
derfahren zu lassen, da sie ja namentlich, was das Duell betrifft,
durch die Anerkennung der guten Seiten desselben, seines echt natio¬
nalen Charakters, insofern sich der Deutsche im blanken Schmuck der
Waffen besonders gefällt und in ihrem blutigen Urtheil mehr als
bloßes Spiel des Zufalls erblickt, eine größere Billigkeit als sonst an
den Tag legen. Jedoch hätten sie, statt in ewige Klagen über sol¬
chen Mißbrauch der akademischen Freiheit auszubrechen, auf die
Quelle des Unheils hinweisen sollen. Dieser Pflicht unterziehen wir
uns um so lieber, da gerade der neuesten Zeit das Verdienst ge¬
bührt, jene Quelle hier und da erkannt zu haben und auf ihre Aus¬
trocknung bedacht zu sein. Dieser bedeutende Fortschritt zeigt sich in
einer freieren, liberaleren Organisation der Gymnasien, wie sie jetzt
namentlich in Hessen nach und nach in's Leben tritt, — ganz im
Gegensatze zu der sonst so beliebten Richtung dieser Anstalten. Man
will hier nicht mehr den elektrischen Stoff des Jugendfeuers sich
aufhäufen lassen, bis er früher oder später die Fesseln sprengt: man
hat jetzt der Natur die Kunst abgelernt, durch zweckmäßige Verthei-
lung der elektrischen Kraft die ungestümen Ausbrüche derselben zu
verhindern, ohne ihre wohlthätige Wirksamkeit zu schwächen. Von
jener klösterlichen Zucht, die noch vor kurzer Zeit gleich einem schwe¬
ren Alp die jugendlichen Geister auf dem Gymnasium drückte, ist
man immer mehr zurückgekommen. Man sucht jetzt die Jünglinge
auf den deutschen Gymnasien mehr und mehr an den richtigen Ge-


Grenzbotcn 184i. l. 65
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[0505] er selbst Philister ist, wie er als „ bemooster Bursche" in humoristischer Wehmuth von sich selber singt. Es ist nicht zu läugnen, daß oft die tollsten Häuser zuletzt maschinenmäßige Beamten, büreaukratische Kri» eher und Despoten werden. Ich meine aber, unser bürgerliches Le¬ ben ist reich genug an verledernden Einflüssen: trotz der akademischen Jugendzeit, nicht durch dieselbe, entstehen diese Pilze einer wässeri¬ gen Civilisation. Eher sollte man fragen: was würde, bei unserer allgemeinen politischen Erziehung, erst aus den meisten jungen Leuten werden, wenn ihnen nicht in der Studienzeit wenigstens eine Ah¬ nung von freierer, naturwüchsiger Männlichkeit angeflogen wäre? — Berühren wir noch zwei Anklagepunkte, die man nicht ohne Grund gegen das deutsche Corpsleben geltend macht. Dahin gehört in sittlicher Hinsicht der Mißbrauch der akademischen Freiheit. Wir sind um so eher geneigt, unsern Gegnern hier volle Gerechtigkeit wi¬ derfahren zu lassen, da sie ja namentlich, was das Duell betrifft, durch die Anerkennung der guten Seiten desselben, seines echt natio¬ nalen Charakters, insofern sich der Deutsche im blanken Schmuck der Waffen besonders gefällt und in ihrem blutigen Urtheil mehr als bloßes Spiel des Zufalls erblickt, eine größere Billigkeit als sonst an den Tag legen. Jedoch hätten sie, statt in ewige Klagen über sol¬ chen Mißbrauch der akademischen Freiheit auszubrechen, auf die Quelle des Unheils hinweisen sollen. Dieser Pflicht unterziehen wir uns um so lieber, da gerade der neuesten Zeit das Verdienst ge¬ bührt, jene Quelle hier und da erkannt zu haben und auf ihre Aus¬ trocknung bedacht zu sein. Dieser bedeutende Fortschritt zeigt sich in einer freieren, liberaleren Organisation der Gymnasien, wie sie jetzt namentlich in Hessen nach und nach in's Leben tritt, — ganz im Gegensatze zu der sonst so beliebten Richtung dieser Anstalten. Man will hier nicht mehr den elektrischen Stoff des Jugendfeuers sich aufhäufen lassen, bis er früher oder später die Fesseln sprengt: man hat jetzt der Natur die Kunst abgelernt, durch zweckmäßige Verthei- lung der elektrischen Kraft die ungestümen Ausbrüche derselben zu verhindern, ohne ihre wohlthätige Wirksamkeit zu schwächen. Von jener klösterlichen Zucht, die noch vor kurzer Zeit gleich einem schwe¬ ren Alp die jugendlichen Geister auf dem Gymnasium drückte, ist man immer mehr zurückgekommen. Man sucht jetzt die Jünglinge auf den deutschen Gymnasien mehr und mehr an den richtigen Ge- Grenzbotcn 184i. l. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/505>, abgerufen am 28.09.2024.