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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Freunde in Freud und Leid, in Ernst lind Scherz, zur ersten gesellt-
gen Pflicht machen, sie sollten -- eine Schule des Egoismus sein?
Aber, ruft man, ist nicht jenes aristokratische Air, welches uns
die Corps auf den ersten Blick zeigen, jene Anmaßung einer ganz
unbegründeten diktatorischen Gewalt über die Studentenwelt, der beste
Beweis von ihrem egoistischen Hochmuth? Dieser Vorwurf beweist
am besten die Inconsequenz unserer Gegner, welche im Widerspruch mit ih¬
rem eigenen Princip die äußere Form stets als ein untrügliches Kriterium
des Inhalts ansehen. Freilich erscheinen die Corps nach außen in aristo¬
kratischer Form, in sofern sie sich besondere Privilegien und Rechte vindici-
ren, die übrigens ganz harmloser Natur sind -- wer wollte ihnen aber
ein gewisses Bewußtsein ihrer Würde verargen, so lange auf ihrer Seite
die frischsten, regsten Kräfte stehen und ihre Gegner sehr schnell an
der Opposition sterben? doch in ihrem Inneren zeigen sie viel¬
mehr ein echt demokratisches Element, was uns ja ein bloßer Blick
auf ihre Organisation zeigt. Den historischen Beweis aber für je-
nen Vorwurf, daß die Corps auf den meisten Universitäten die
Pflanzstätten der eigentlichen Adelskaste seien, wird man wohl schul¬
dig bleiben, da sich vielmehr die eigentliche Adelskaste, wo es ihre
Anzahl erlaubt, stets in besondern Verbindungen zu isoliren und den
übrigen Corps entgegenzustellen pflegt. Erlaubt ihr dies aber ihre
quantitative Stärke nicht, so zieht sie sich lieber scheu und ängstlich
von dem Studententhum der bürgerlichen Corps, die nicht nach den
Ahnen fragen, ganz zurück; die Adligen jedoch, welche sich in das
Corpsleben einlassen, geben gerade dadurch den besten Beweis von
ihrer Erhabenheit über lächerliche Vorurtheile. Kindisch ist es vol¬
lends, wenn man den Vorwurf aristokratischer Jsolirung auf das
Wort Philister gründen will, das der Corpsstudent der übrigen
Welt anhängt. Klaget doch auch den Künstler, oder überhaupt den
Genius der Jugendlichkeit, der die konventionelle Welt tief unter sich
denkt, des Aristokratismus an. Es ist ein plumper Kniff, wenn man
in diesem Losungswort, das nur ein Ausbruch des jugendlichen
Freiheitsgefühls gegen alle übrige Welt und gegen die eigene Zu¬
kunft ist, eine specielle, dem Adclsgeist analoge Opposition gegen
das Bürgerthum, die Basis und den Kern des deutschen Lebens,
sehen will. Freilich will der Student eine Art Adel (vielleicht gar
erblichen?) darstellen, da sein eigener Vater und nach 3-5 Jahren


Freunde in Freud und Leid, in Ernst lind Scherz, zur ersten gesellt-
gen Pflicht machen, sie sollten — eine Schule des Egoismus sein?
Aber, ruft man, ist nicht jenes aristokratische Air, welches uns
die Corps auf den ersten Blick zeigen, jene Anmaßung einer ganz
unbegründeten diktatorischen Gewalt über die Studentenwelt, der beste
Beweis von ihrem egoistischen Hochmuth? Dieser Vorwurf beweist
am besten die Inconsequenz unserer Gegner, welche im Widerspruch mit ih¬
rem eigenen Princip die äußere Form stets als ein untrügliches Kriterium
des Inhalts ansehen. Freilich erscheinen die Corps nach außen in aristo¬
kratischer Form, in sofern sie sich besondere Privilegien und Rechte vindici-
ren, die übrigens ganz harmloser Natur sind — wer wollte ihnen aber
ein gewisses Bewußtsein ihrer Würde verargen, so lange auf ihrer Seite
die frischsten, regsten Kräfte stehen und ihre Gegner sehr schnell an
der Opposition sterben? doch in ihrem Inneren zeigen sie viel¬
mehr ein echt demokratisches Element, was uns ja ein bloßer Blick
auf ihre Organisation zeigt. Den historischen Beweis aber für je-
nen Vorwurf, daß die Corps auf den meisten Universitäten die
Pflanzstätten der eigentlichen Adelskaste seien, wird man wohl schul¬
dig bleiben, da sich vielmehr die eigentliche Adelskaste, wo es ihre
Anzahl erlaubt, stets in besondern Verbindungen zu isoliren und den
übrigen Corps entgegenzustellen pflegt. Erlaubt ihr dies aber ihre
quantitative Stärke nicht, so zieht sie sich lieber scheu und ängstlich
von dem Studententhum der bürgerlichen Corps, die nicht nach den
Ahnen fragen, ganz zurück; die Adligen jedoch, welche sich in das
Corpsleben einlassen, geben gerade dadurch den besten Beweis von
ihrer Erhabenheit über lächerliche Vorurtheile. Kindisch ist es vol¬
lends, wenn man den Vorwurf aristokratischer Jsolirung auf das
Wort Philister gründen will, das der Corpsstudent der übrigen
Welt anhängt. Klaget doch auch den Künstler, oder überhaupt den
Genius der Jugendlichkeit, der die konventionelle Welt tief unter sich
denkt, des Aristokratismus an. Es ist ein plumper Kniff, wenn man
in diesem Losungswort, das nur ein Ausbruch des jugendlichen
Freiheitsgefühls gegen alle übrige Welt und gegen die eigene Zu¬
kunft ist, eine specielle, dem Adclsgeist analoge Opposition gegen
das Bürgerthum, die Basis und den Kern des deutschen Lebens,
sehen will. Freilich will der Student eine Art Adel (vielleicht gar
erblichen?) darstellen, da sein eigener Vater und nach 3-5 Jahren


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[0504] Freunde in Freud und Leid, in Ernst lind Scherz, zur ersten gesellt- gen Pflicht machen, sie sollten — eine Schule des Egoismus sein? Aber, ruft man, ist nicht jenes aristokratische Air, welches uns die Corps auf den ersten Blick zeigen, jene Anmaßung einer ganz unbegründeten diktatorischen Gewalt über die Studentenwelt, der beste Beweis von ihrem egoistischen Hochmuth? Dieser Vorwurf beweist am besten die Inconsequenz unserer Gegner, welche im Widerspruch mit ih¬ rem eigenen Princip die äußere Form stets als ein untrügliches Kriterium des Inhalts ansehen. Freilich erscheinen die Corps nach außen in aristo¬ kratischer Form, in sofern sie sich besondere Privilegien und Rechte vindici- ren, die übrigens ganz harmloser Natur sind — wer wollte ihnen aber ein gewisses Bewußtsein ihrer Würde verargen, so lange auf ihrer Seite die frischsten, regsten Kräfte stehen und ihre Gegner sehr schnell an der Opposition sterben? doch in ihrem Inneren zeigen sie viel¬ mehr ein echt demokratisches Element, was uns ja ein bloßer Blick auf ihre Organisation zeigt. Den historischen Beweis aber für je- nen Vorwurf, daß die Corps auf den meisten Universitäten die Pflanzstätten der eigentlichen Adelskaste seien, wird man wohl schul¬ dig bleiben, da sich vielmehr die eigentliche Adelskaste, wo es ihre Anzahl erlaubt, stets in besondern Verbindungen zu isoliren und den übrigen Corps entgegenzustellen pflegt. Erlaubt ihr dies aber ihre quantitative Stärke nicht, so zieht sie sich lieber scheu und ängstlich von dem Studententhum der bürgerlichen Corps, die nicht nach den Ahnen fragen, ganz zurück; die Adligen jedoch, welche sich in das Corpsleben einlassen, geben gerade dadurch den besten Beweis von ihrer Erhabenheit über lächerliche Vorurtheile. Kindisch ist es vol¬ lends, wenn man den Vorwurf aristokratischer Jsolirung auf das Wort Philister gründen will, das der Corpsstudent der übrigen Welt anhängt. Klaget doch auch den Künstler, oder überhaupt den Genius der Jugendlichkeit, der die konventionelle Welt tief unter sich denkt, des Aristokratismus an. Es ist ein plumper Kniff, wenn man in diesem Losungswort, das nur ein Ausbruch des jugendlichen Freiheitsgefühls gegen alle übrige Welt und gegen die eigene Zu¬ kunft ist, eine specielle, dem Adclsgeist analoge Opposition gegen das Bürgerthum, die Basis und den Kern des deutschen Lebens, sehen will. Freilich will der Student eine Art Adel (vielleicht gar erblichen?) darstellen, da sein eigener Vater und nach 3-5 Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/504>, abgerufen am 28.09.2024.