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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Aber liegt es denn nicht nothwendig in der Idee der Universi¬
täten, daß sie keine Staatsanstalten sein, sondern sich eine unabhän¬
gige Stellung sichern sollen? Und man wollte die akademische Ju¬
gend verdammen, wenn sie zu diesem Zwecke die in der Vereinzelung
schwachen Kräfte in Korporationen verdoppeln will? Mag auch die
Jugend hier zuweilen etwas kleinlich in der Wahrung ihrer Interes¬
sen scheinen, mag sie einmal durch optische Täuschung in einem blo¬
ßen Schattenbilde der akademischen Freiheit ihr Ideal zu erkennen
glauben, so ist doch diese Täuschung vorübergehender Natur; und
will man den Vortheil, so muß man auch diesen verhältnißmäßig
kleinen Nachtheil damit hinnehmen. Darum sind wir noch keines¬
wegs berechtigt, solche Mängel der Idee der Corps anzurechnen.
Oder will man es ihnen etwa noch zum Vorwurf machen, daß sie
die Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit nicht noch einmal ausdrücklich
als Principien ihres Bundes hinstellen, während sie dieselben als
stillschweigende Voraussetzungen betrachten, denen sie in ihren Sta¬
tuten nur eine speciellere Färbung gegeben haben?




Wie weit haben sich, rufen unsere Gegner, die Corps von
ihrer Idee, wenn diese so schön ist, entfernt? Tragen sie dieselbe
nicht blos auf der Stirn) um uns über ihr eigentliches Wesen oder
vielmehr "Unwesen" zu täuschen? Sind nicht vielmehr "elende re n o-
mistische Flachheit", die allen wissenschaftlichen Sinn im Keime
ersticken muß, jenes unselige Naufritterth um, aristokrati¬
scher Hochmuth, "der im spätern Leben zur Härte gegen die Un¬
terthanen, zur Kriecherei gegen Vornehme führt," der schreiendste
Egoismus, eine nur sinnliche, keineswegs aber sittliche Rich¬
tung, -- sind das nicht vielmehr die eigentlichen Grundzüge des je¬
tzigen Corpslebens? Darin erkennen wir wieder ganz unsere Gegner,
die überall unheilbareKebsschäden wittern, wo es doch nur gilt, ei¬
nige leicht abzulösende Wasserreiser, einige Auswüchse zu vertilgen,
welche das gesunde Mark deö Baumes noch gar nicht angefressen
haben. Fassen wir jene Anklagen schärfer ins Auge.

Zunächst die Beschuldigung des Egoismus, dessen Gift-
Pflanze doch gewiß in dem Schooße der Corps keinen günftigenBo-
den findet. Diese Corps, welche die Aufopferung des Einzelnen für
das Ganze, die rücksichtslose Hingebung deö Einzelnen an seine


Aber liegt es denn nicht nothwendig in der Idee der Universi¬
täten, daß sie keine Staatsanstalten sein, sondern sich eine unabhän¬
gige Stellung sichern sollen? Und man wollte die akademische Ju¬
gend verdammen, wenn sie zu diesem Zwecke die in der Vereinzelung
schwachen Kräfte in Korporationen verdoppeln will? Mag auch die
Jugend hier zuweilen etwas kleinlich in der Wahrung ihrer Interes¬
sen scheinen, mag sie einmal durch optische Täuschung in einem blo¬
ßen Schattenbilde der akademischen Freiheit ihr Ideal zu erkennen
glauben, so ist doch diese Täuschung vorübergehender Natur; und
will man den Vortheil, so muß man auch diesen verhältnißmäßig
kleinen Nachtheil damit hinnehmen. Darum sind wir noch keines¬
wegs berechtigt, solche Mängel der Idee der Corps anzurechnen.
Oder will man es ihnen etwa noch zum Vorwurf machen, daß sie
die Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit nicht noch einmal ausdrücklich
als Principien ihres Bundes hinstellen, während sie dieselben als
stillschweigende Voraussetzungen betrachten, denen sie in ihren Sta¬
tuten nur eine speciellere Färbung gegeben haben?




Wie weit haben sich, rufen unsere Gegner, die Corps von
ihrer Idee, wenn diese so schön ist, entfernt? Tragen sie dieselbe
nicht blos auf der Stirn) um uns über ihr eigentliches Wesen oder
vielmehr „Unwesen" zu täuschen? Sind nicht vielmehr „elende re n o-
mistische Flachheit", die allen wissenschaftlichen Sinn im Keime
ersticken muß, jenes unselige Naufritterth um, aristokrati¬
scher Hochmuth, „der im spätern Leben zur Härte gegen die Un¬
terthanen, zur Kriecherei gegen Vornehme führt," der schreiendste
Egoismus, eine nur sinnliche, keineswegs aber sittliche Rich¬
tung, — sind das nicht vielmehr die eigentlichen Grundzüge des je¬
tzigen Corpslebens? Darin erkennen wir wieder ganz unsere Gegner,
die überall unheilbareKebsschäden wittern, wo es doch nur gilt, ei¬
nige leicht abzulösende Wasserreiser, einige Auswüchse zu vertilgen,
welche das gesunde Mark deö Baumes noch gar nicht angefressen
haben. Fassen wir jene Anklagen schärfer ins Auge.

Zunächst die Beschuldigung des Egoismus, dessen Gift-
Pflanze doch gewiß in dem Schooße der Corps keinen günftigenBo-
den findet. Diese Corps, welche die Aufopferung des Einzelnen für
das Ganze, die rücksichtslose Hingebung deö Einzelnen an seine


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[0503] Aber liegt es denn nicht nothwendig in der Idee der Universi¬ täten, daß sie keine Staatsanstalten sein, sondern sich eine unabhän¬ gige Stellung sichern sollen? Und man wollte die akademische Ju¬ gend verdammen, wenn sie zu diesem Zwecke die in der Vereinzelung schwachen Kräfte in Korporationen verdoppeln will? Mag auch die Jugend hier zuweilen etwas kleinlich in der Wahrung ihrer Interes¬ sen scheinen, mag sie einmal durch optische Täuschung in einem blo¬ ßen Schattenbilde der akademischen Freiheit ihr Ideal zu erkennen glauben, so ist doch diese Täuschung vorübergehender Natur; und will man den Vortheil, so muß man auch diesen verhältnißmäßig kleinen Nachtheil damit hinnehmen. Darum sind wir noch keines¬ wegs berechtigt, solche Mängel der Idee der Corps anzurechnen. Oder will man es ihnen etwa noch zum Vorwurf machen, daß sie die Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit nicht noch einmal ausdrücklich als Principien ihres Bundes hinstellen, während sie dieselben als stillschweigende Voraussetzungen betrachten, denen sie in ihren Sta¬ tuten nur eine speciellere Färbung gegeben haben? Wie weit haben sich, rufen unsere Gegner, die Corps von ihrer Idee, wenn diese so schön ist, entfernt? Tragen sie dieselbe nicht blos auf der Stirn) um uns über ihr eigentliches Wesen oder vielmehr „Unwesen" zu täuschen? Sind nicht vielmehr „elende re n o- mistische Flachheit", die allen wissenschaftlichen Sinn im Keime ersticken muß, jenes unselige Naufritterth um, aristokrati¬ scher Hochmuth, „der im spätern Leben zur Härte gegen die Un¬ terthanen, zur Kriecherei gegen Vornehme führt," der schreiendste Egoismus, eine nur sinnliche, keineswegs aber sittliche Rich¬ tung, — sind das nicht vielmehr die eigentlichen Grundzüge des je¬ tzigen Corpslebens? Darin erkennen wir wieder ganz unsere Gegner, die überall unheilbareKebsschäden wittern, wo es doch nur gilt, ei¬ nige leicht abzulösende Wasserreiser, einige Auswüchse zu vertilgen, welche das gesunde Mark deö Baumes noch gar nicht angefressen haben. Fassen wir jene Anklagen schärfer ins Auge. Zunächst die Beschuldigung des Egoismus, dessen Gift- Pflanze doch gewiß in dem Schooße der Corps keinen günftigenBo- den findet. Diese Corps, welche die Aufopferung des Einzelnen für das Ganze, die rücksichtslose Hingebung deö Einzelnen an seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/503>, abgerufen am 28.09.2024.