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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Formalismus vor!), sie wollen ihn, statt auf den Lippen, mehr im
Herzen tragen; sie suchen ihren Einigungöpunkt nicht in einem be¬
stimmten, mehr dem Verstände angehörenden politischen Schiboleth,
sondern vielmehr in der aus dem Herzen stammenden, gerade dem
Deutschen so eigenthümlichen, hohen Gemüthlichkeit. Wer nnr
das äußere Leben und Treiben dieser Corps betrachtet, wie sie sich
gegenseitig befehden und befeinden, und nicht zugleich ihrem inneren
Leben jseine Aufmerksamkeit zuwendet, dem entgeht er ganz, dieser
schöne echt deutsche Zug des Corpslebens. Denn himmelweit ver¬
schieden von der modernen Sentimentalität, die sich stets durch ein
sehr breites Aushängeschild ankündigt, gleicht die echte alte Gemüth-
lichkeit dem ungeschliffenen Diamant, der wegen der rauhen Außen¬
seite nur zu oft in Gefahr geräth, verkannt zu werden. Man denke
an die Gemüthlichkeit des uns von Immermann ("Münchhausen") so
ganz nach dem Leben gezeichneten Westphalen. Tretet einmal ein in
die trauliche "Kneipe" eines Corps und Ihr werdet finden, wie mit¬
ten unter deutschen Kraftauöbrüchen die Gemüthlichkeit ihren Blumen¬
sitz aufgeschlagen hat. Hier könnt Ihr sie finden, jene kräftigen Cha¬
raktere, die aus einem gewissen edlen Eigensinn die Tiefen ihres
Gemüths vor aller Welt verschließen möchten, die wohl gar die Aeu¬
ßerungen des Gemüths, wo sie ihnen laut entgegenkommen, humo¬
ristisch bespötteln.

Dies ist die strahlende Lichtseite dieser Corps, die so viele mehr
als gewöhnliche Geister anziehen konnte, -- und doch geht man so
weit, zu behaupten, es sei aus der jetzigen Form des Corpslebens
noch "Kein großer Mann hervorgegangen". (!) Aber man erwie¬
dert uns vielleicht: Dieser schöne Zug lebt nur noch unbewußt in
den Corps fort, gehört aber keineswegs zur Idee dieser Verbindun¬
gen. Lassen wir denn ihre eigenen Constitutionen darüber reden. Mit
klaren Worten stellen sie es hier als ihre Tendenz aus: "durch freund¬
schaftlichen, gemüthlichen Verein sich zu bilden, sowie die akademischen
Freiheiten und Gebräuche aufrecht zu erhalten," -- das erstere als
Princip ihres inneren, das zweite als Princip ihres äußeren
Lebens. Eben dies ist es, was man die Quelle jenes "unseligen
Abschließungssystems" darstellen wollte, wodurch sich die deutschen
Studenten als eigener Staat im Staate constituiren wollen, anstatt
in ihm, dessen Glieder sie künftig bilden sollen, aufzugehen.


Formalismus vor!), sie wollen ihn, statt auf den Lippen, mehr im
Herzen tragen; sie suchen ihren Einigungöpunkt nicht in einem be¬
stimmten, mehr dem Verstände angehörenden politischen Schiboleth,
sondern vielmehr in der aus dem Herzen stammenden, gerade dem
Deutschen so eigenthümlichen, hohen Gemüthlichkeit. Wer nnr
das äußere Leben und Treiben dieser Corps betrachtet, wie sie sich
gegenseitig befehden und befeinden, und nicht zugleich ihrem inneren
Leben jseine Aufmerksamkeit zuwendet, dem entgeht er ganz, dieser
schöne echt deutsche Zug des Corpslebens. Denn himmelweit ver¬
schieden von der modernen Sentimentalität, die sich stets durch ein
sehr breites Aushängeschild ankündigt, gleicht die echte alte Gemüth-
lichkeit dem ungeschliffenen Diamant, der wegen der rauhen Außen¬
seite nur zu oft in Gefahr geräth, verkannt zu werden. Man denke
an die Gemüthlichkeit des uns von Immermann („Münchhausen") so
ganz nach dem Leben gezeichneten Westphalen. Tretet einmal ein in
die trauliche „Kneipe" eines Corps und Ihr werdet finden, wie mit¬
ten unter deutschen Kraftauöbrüchen die Gemüthlichkeit ihren Blumen¬
sitz aufgeschlagen hat. Hier könnt Ihr sie finden, jene kräftigen Cha¬
raktere, die aus einem gewissen edlen Eigensinn die Tiefen ihres
Gemüths vor aller Welt verschließen möchten, die wohl gar die Aeu¬
ßerungen des Gemüths, wo sie ihnen laut entgegenkommen, humo¬
ristisch bespötteln.

Dies ist die strahlende Lichtseite dieser Corps, die so viele mehr
als gewöhnliche Geister anziehen konnte, — und doch geht man so
weit, zu behaupten, es sei aus der jetzigen Form des Corpslebens
noch „Kein großer Mann hervorgegangen". (!) Aber man erwie¬
dert uns vielleicht: Dieser schöne Zug lebt nur noch unbewußt in
den Corps fort, gehört aber keineswegs zur Idee dieser Verbindun¬
gen. Lassen wir denn ihre eigenen Constitutionen darüber reden. Mit
klaren Worten stellen sie es hier als ihre Tendenz aus: „durch freund¬
schaftlichen, gemüthlichen Verein sich zu bilden, sowie die akademischen
Freiheiten und Gebräuche aufrecht zu erhalten," — das erstere als
Princip ihres inneren, das zweite als Princip ihres äußeren
Lebens. Eben dies ist es, was man die Quelle jenes „unseligen
Abschließungssystems" darstellen wollte, wodurch sich die deutschen
Studenten als eigener Staat im Staate constituiren wollen, anstatt
in ihm, dessen Glieder sie künftig bilden sollen, aufzugehen.


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[0502] Formalismus vor!), sie wollen ihn, statt auf den Lippen, mehr im Herzen tragen; sie suchen ihren Einigungöpunkt nicht in einem be¬ stimmten, mehr dem Verstände angehörenden politischen Schiboleth, sondern vielmehr in der aus dem Herzen stammenden, gerade dem Deutschen so eigenthümlichen, hohen Gemüthlichkeit. Wer nnr das äußere Leben und Treiben dieser Corps betrachtet, wie sie sich gegenseitig befehden und befeinden, und nicht zugleich ihrem inneren Leben jseine Aufmerksamkeit zuwendet, dem entgeht er ganz, dieser schöne echt deutsche Zug des Corpslebens. Denn himmelweit ver¬ schieden von der modernen Sentimentalität, die sich stets durch ein sehr breites Aushängeschild ankündigt, gleicht die echte alte Gemüth- lichkeit dem ungeschliffenen Diamant, der wegen der rauhen Außen¬ seite nur zu oft in Gefahr geräth, verkannt zu werden. Man denke an die Gemüthlichkeit des uns von Immermann („Münchhausen") so ganz nach dem Leben gezeichneten Westphalen. Tretet einmal ein in die trauliche „Kneipe" eines Corps und Ihr werdet finden, wie mit¬ ten unter deutschen Kraftauöbrüchen die Gemüthlichkeit ihren Blumen¬ sitz aufgeschlagen hat. Hier könnt Ihr sie finden, jene kräftigen Cha¬ raktere, die aus einem gewissen edlen Eigensinn die Tiefen ihres Gemüths vor aller Welt verschließen möchten, die wohl gar die Aeu¬ ßerungen des Gemüths, wo sie ihnen laut entgegenkommen, humo¬ ristisch bespötteln. Dies ist die strahlende Lichtseite dieser Corps, die so viele mehr als gewöhnliche Geister anziehen konnte, — und doch geht man so weit, zu behaupten, es sei aus der jetzigen Form des Corpslebens noch „Kein großer Mann hervorgegangen". (!) Aber man erwie¬ dert uns vielleicht: Dieser schöne Zug lebt nur noch unbewußt in den Corps fort, gehört aber keineswegs zur Idee dieser Verbindun¬ gen. Lassen wir denn ihre eigenen Constitutionen darüber reden. Mit klaren Worten stellen sie es hier als ihre Tendenz aus: „durch freund¬ schaftlichen, gemüthlichen Verein sich zu bilden, sowie die akademischen Freiheiten und Gebräuche aufrecht zu erhalten," — das erstere als Princip ihres inneren, das zweite als Princip ihres äußeren Lebens. Eben dies ist es, was man die Quelle jenes „unseligen Abschließungssystems" darstellen wollte, wodurch sich die deutschen Studenten als eigener Staat im Staate constituiren wollen, anstatt in ihm, dessen Glieder sie künftig bilden sollen, aufzugehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/502>, abgerufen am 23.12.2024.