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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Wort: Nur "ach Vernichtung aller jetzt bestehenden Formen des
deutschen Studententhums kann das wahre akademische Leben als
Phönir aus der Asche erstehen. Sollte aber wirklich dies trostlose
Resultat, welches nach einer mehr historischen Behandlung der
Frage von Scheidtler ("Studentenspiegel") namentlich Fr. Saß in
den Blättern für literar. Unterhaltung auf philosophischem Wege
zu erweisen sucht, vollkommen begründet, sollte es das richtige sein?
Sollten die schwarzen Farben, in denen man uns hier das deutsche
Studententhum vorführt, der Wirklichkeit getreu entsprechen? Oder
sollten nicht vielmehr diese Schilderungen zum Theil auf die Rech¬
nung jener krankhaften, hypochondrischen Weltansicht kommen, die sich
besonders in der Ausmalung von Nachtstückeu gefällt, -- einer An¬
sicht, die aus dem Gebiete der Poesie jetzt schon mehr und mehr in
das der Prosa überzugehen droht? Ich glaube doch gewiß. Wir
gewöhnen uns von Tag zu Tage mehr daran, die wunden Stellen
unseres socialen Lebens durch das Vergrößerungsglas der "NMvrvs
lie k^aris" zu betrachten. -- Ich bin überzeugt, wenn der Geist un¬
seres Jahrhunderts nicht so ganz wunderungläubig wäre, so hätte
der fromme Olshausen mit seiner originellen Ansicht, daß alles Le¬
ben im Grunde krank ist und die Wunder der alleinige Gesundheits¬
zustand sind, gar Viele bekehren können! Und doch, meine ich,
sollten wir gerade in unserer "zerfahrenen und zerfallenen"
Zeit uns davor hüten, durch das Entwerfen solch düsterer Lebensbil¬
der die klaffenden Wunden noch weiter aufzureißen; gerade wir
sollten es am wenigsten versäumen, auch die Lichtseiten unserer Ver¬
hältnisse von Zeit zu Zeit hervorzukehren, damit im heißen Kampfe
unserer Zeit die Kräfte nicht verzweiflungsvoll verzagen und die
Schwingen der Thatkraft nicht noch mehr erlahmen. Von solchen
Principien scheint man aber freilich in der Besprechung unserer
Frage nicht ausgehen zu wollen. Man zeigt sich hier so unbillig,
daß man dem deutschen Studenten geradewegs allen Patriotismus
abspricht; daß ihn unter Anderm der "Telegraph" durch Hinweisung
auf den rühmlichen, von den griechischen Studenten bewiesenen
gemäßigten Patriotismus beschämen zu können glaubt (nebenbei ge¬
sagt, zu viel Großmuth gegen die Hellenen, die auf uns Deutsche
nicht so viel zu halten scheinen) --, als ob es unsere deutschen Stu¬
denten, wenn sie von der Gelegenheit begünstigt wurden, jemals an


Wort: Nur «ach Vernichtung aller jetzt bestehenden Formen des
deutschen Studententhums kann das wahre akademische Leben als
Phönir aus der Asche erstehen. Sollte aber wirklich dies trostlose
Resultat, welches nach einer mehr historischen Behandlung der
Frage von Scheidtler („Studentenspiegel") namentlich Fr. Saß in
den Blättern für literar. Unterhaltung auf philosophischem Wege
zu erweisen sucht, vollkommen begründet, sollte es das richtige sein?
Sollten die schwarzen Farben, in denen man uns hier das deutsche
Studententhum vorführt, der Wirklichkeit getreu entsprechen? Oder
sollten nicht vielmehr diese Schilderungen zum Theil auf die Rech¬
nung jener krankhaften, hypochondrischen Weltansicht kommen, die sich
besonders in der Ausmalung von Nachtstückeu gefällt, — einer An¬
sicht, die aus dem Gebiete der Poesie jetzt schon mehr und mehr in
das der Prosa überzugehen droht? Ich glaube doch gewiß. Wir
gewöhnen uns von Tag zu Tage mehr daran, die wunden Stellen
unseres socialen Lebens durch das Vergrößerungsglas der „NMvrvs
lie k^aris" zu betrachten. — Ich bin überzeugt, wenn der Geist un¬
seres Jahrhunderts nicht so ganz wunderungläubig wäre, so hätte
der fromme Olshausen mit seiner originellen Ansicht, daß alles Le¬
ben im Grunde krank ist und die Wunder der alleinige Gesundheits¬
zustand sind, gar Viele bekehren können! Und doch, meine ich,
sollten wir gerade in unserer „zerfahrenen und zerfallenen"
Zeit uns davor hüten, durch das Entwerfen solch düsterer Lebensbil¬
der die klaffenden Wunden noch weiter aufzureißen; gerade wir
sollten es am wenigsten versäumen, auch die Lichtseiten unserer Ver¬
hältnisse von Zeit zu Zeit hervorzukehren, damit im heißen Kampfe
unserer Zeit die Kräfte nicht verzweiflungsvoll verzagen und die
Schwingen der Thatkraft nicht noch mehr erlahmen. Von solchen
Principien scheint man aber freilich in der Besprechung unserer
Frage nicht ausgehen zu wollen. Man zeigt sich hier so unbillig,
daß man dem deutschen Studenten geradewegs allen Patriotismus
abspricht; daß ihn unter Anderm der „Telegraph" durch Hinweisung
auf den rühmlichen, von den griechischen Studenten bewiesenen
gemäßigten Patriotismus beschämen zu können glaubt (nebenbei ge¬
sagt, zu viel Großmuth gegen die Hellenen, die auf uns Deutsche
nicht so viel zu halten scheinen) —, als ob es unsere deutschen Stu¬
denten, wenn sie von der Gelegenheit begünstigt wurden, jemals an


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[0498] Wort: Nur «ach Vernichtung aller jetzt bestehenden Formen des deutschen Studententhums kann das wahre akademische Leben als Phönir aus der Asche erstehen. Sollte aber wirklich dies trostlose Resultat, welches nach einer mehr historischen Behandlung der Frage von Scheidtler („Studentenspiegel") namentlich Fr. Saß in den Blättern für literar. Unterhaltung auf philosophischem Wege zu erweisen sucht, vollkommen begründet, sollte es das richtige sein? Sollten die schwarzen Farben, in denen man uns hier das deutsche Studententhum vorführt, der Wirklichkeit getreu entsprechen? Oder sollten nicht vielmehr diese Schilderungen zum Theil auf die Rech¬ nung jener krankhaften, hypochondrischen Weltansicht kommen, die sich besonders in der Ausmalung von Nachtstückeu gefällt, — einer An¬ sicht, die aus dem Gebiete der Poesie jetzt schon mehr und mehr in das der Prosa überzugehen droht? Ich glaube doch gewiß. Wir gewöhnen uns von Tag zu Tage mehr daran, die wunden Stellen unseres socialen Lebens durch das Vergrößerungsglas der „NMvrvs lie k^aris" zu betrachten. — Ich bin überzeugt, wenn der Geist un¬ seres Jahrhunderts nicht so ganz wunderungläubig wäre, so hätte der fromme Olshausen mit seiner originellen Ansicht, daß alles Le¬ ben im Grunde krank ist und die Wunder der alleinige Gesundheits¬ zustand sind, gar Viele bekehren können! Und doch, meine ich, sollten wir gerade in unserer „zerfahrenen und zerfallenen" Zeit uns davor hüten, durch das Entwerfen solch düsterer Lebensbil¬ der die klaffenden Wunden noch weiter aufzureißen; gerade wir sollten es am wenigsten versäumen, auch die Lichtseiten unserer Ver¬ hältnisse von Zeit zu Zeit hervorzukehren, damit im heißen Kampfe unserer Zeit die Kräfte nicht verzweiflungsvoll verzagen und die Schwingen der Thatkraft nicht noch mehr erlahmen. Von solchen Principien scheint man aber freilich in der Besprechung unserer Frage nicht ausgehen zu wollen. Man zeigt sich hier so unbillig, daß man dem deutschen Studenten geradewegs allen Patriotismus abspricht; daß ihn unter Anderm der „Telegraph" durch Hinweisung auf den rühmlichen, von den griechischen Studenten bewiesenen gemäßigten Patriotismus beschämen zu können glaubt (nebenbei ge¬ sagt, zu viel Großmuth gegen die Hellenen, die auf uns Deutsche nicht so viel zu halten scheinen) —, als ob es unsere deutschen Stu¬ denten, wenn sie von der Gelegenheit begünstigt wurden, jemals an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/498>, abgerufen am 29.06.2024.