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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ger Ordnung sei. Doch jetzt ist die kurze Fahrt vorüber. Du steigst aus
Land, kein Mensch fragt, wer Du bist und woher Du kommst, über¬
all wehenDir die Zeichen der Ungebundenheit entgegen. Du bist auf con-
stitutionellen Boden; das Wort, das drei Stunden früher als Hoch -
verräth Dir angerechnet worden wär.e, der Gedanke, den Du früher
im Herzen verschließen mußtest, wenn Du nicht selbst eingeschlossen
zu werden wünschtest -- hier kannst Du sie auf offener Straße aus¬
rufen. Und doch ist der Kaiser auch hier Herr, und rings umher
herrscht der tiefste Friede.

Sonderbar! Fast alle österreichischen Provinzen sind durch hohe
meilenweite Bergrücken von einander geschieden; Oesterreich, Böhmen,
Mähren, Gallizien, Steyermark, Tyrol, die Lombardei -- überall hat die
Natur granitne Markscheiden aufgethürmt, um den Völkerschaften den
Verkehr unter einander zu erschweren. Nur nach Ungarn zu hat sie
die Ebene, von wenigen unbedeutenden Hügeln umpflanzt, ganz offen
gelassen. Um dem Bürgerfleiß und der geregelten Civilisation der
Deutschen den Weg nach dem halbasiatischen Ungarn zu erleichtern?
Um der Freiheit der Magyaren die Straße zu den übrigen Völkern
Oesterreichs zu bahnen? Wer erräth die geheimen Zwecke der Na¬
tur! Gewiß ist, daß das Land, welches durch Gesetze und Zoll-
schranken von der übrigen Monarchie am schärfsten abgeschlossen ist,
durch sein Territorium die wenigsten Schranken bietet, während die
durch ihr Terrain von der Natur getrennten Provinzen durch Ge¬
setz und Handel in Eins verbunden sind. Ist die Gewalt der Ge¬
schichte und der Staatskunst stärker als die der NaturF Die Zukunft
muß das beweisen. Der Staat zählt nach Jahrzehnten die Na¬
tur nach Jahrtausenden.

Die Fahrt auf dem Dampfschiff von Wien nach Preßburg,
Pesth und Belgrad ist wohl eine der originellsten, die man in Eu¬
ropa machen kann. Nicht etwa, daß die Ufergegenden so reizend
sind, wie die am Rheine von Mainz bis Bonn, oder so romantisch
wie die auf der Elbe von Tetschen bis Dresden -i-); die Fahrt bis
Preßburg ^ und von dieser allein sei hier die Rede -- hat man-



*) Die Donaufahrt hat allerdings auch alle diese Schönheiten; nur n>
verschiedenen Gegenden. Bon Wien nach Linz steht sie der Rheinfahrt in Nichrs
nach, und die Gegend bei dem sogenannten eisernen Thor hat an wilder Ro¬
mantik ihres Gleichen auf keinem europäischen Flusse.

ger Ordnung sei. Doch jetzt ist die kurze Fahrt vorüber. Du steigst aus
Land, kein Mensch fragt, wer Du bist und woher Du kommst, über¬
all wehenDir die Zeichen der Ungebundenheit entgegen. Du bist auf con-
stitutionellen Boden; das Wort, das drei Stunden früher als Hoch -
verräth Dir angerechnet worden wär.e, der Gedanke, den Du früher
im Herzen verschließen mußtest, wenn Du nicht selbst eingeschlossen
zu werden wünschtest — hier kannst Du sie auf offener Straße aus¬
rufen. Und doch ist der Kaiser auch hier Herr, und rings umher
herrscht der tiefste Friede.

Sonderbar! Fast alle österreichischen Provinzen sind durch hohe
meilenweite Bergrücken von einander geschieden; Oesterreich, Böhmen,
Mähren, Gallizien, Steyermark, Tyrol, die Lombardei — überall hat die
Natur granitne Markscheiden aufgethürmt, um den Völkerschaften den
Verkehr unter einander zu erschweren. Nur nach Ungarn zu hat sie
die Ebene, von wenigen unbedeutenden Hügeln umpflanzt, ganz offen
gelassen. Um dem Bürgerfleiß und der geregelten Civilisation der
Deutschen den Weg nach dem halbasiatischen Ungarn zu erleichtern?
Um der Freiheit der Magyaren die Straße zu den übrigen Völkern
Oesterreichs zu bahnen? Wer erräth die geheimen Zwecke der Na¬
tur! Gewiß ist, daß das Land, welches durch Gesetze und Zoll-
schranken von der übrigen Monarchie am schärfsten abgeschlossen ist,
durch sein Territorium die wenigsten Schranken bietet, während die
durch ihr Terrain von der Natur getrennten Provinzen durch Ge¬
setz und Handel in Eins verbunden sind. Ist die Gewalt der Ge¬
schichte und der Staatskunst stärker als die der NaturF Die Zukunft
muß das beweisen. Der Staat zählt nach Jahrzehnten die Na¬
tur nach Jahrtausenden.

Die Fahrt auf dem Dampfschiff von Wien nach Preßburg,
Pesth und Belgrad ist wohl eine der originellsten, die man in Eu¬
ropa machen kann. Nicht etwa, daß die Ufergegenden so reizend
sind, wie die am Rheine von Mainz bis Bonn, oder so romantisch
wie die auf der Elbe von Tetschen bis Dresden -i-); die Fahrt bis
Preßburg ^ und von dieser allein sei hier die Rede — hat man-



*) Die Donaufahrt hat allerdings auch alle diese Schönheiten; nur n>
verschiedenen Gegenden. Bon Wien nach Linz steht sie der Rheinfahrt in Nichrs
nach, und die Gegend bei dem sogenannten eisernen Thor hat an wilder Ro¬
mantik ihres Gleichen auf keinem europäischen Flusse.
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[0490] ger Ordnung sei. Doch jetzt ist die kurze Fahrt vorüber. Du steigst aus Land, kein Mensch fragt, wer Du bist und woher Du kommst, über¬ all wehenDir die Zeichen der Ungebundenheit entgegen. Du bist auf con- stitutionellen Boden; das Wort, das drei Stunden früher als Hoch - verräth Dir angerechnet worden wär.e, der Gedanke, den Du früher im Herzen verschließen mußtest, wenn Du nicht selbst eingeschlossen zu werden wünschtest — hier kannst Du sie auf offener Straße aus¬ rufen. Und doch ist der Kaiser auch hier Herr, und rings umher herrscht der tiefste Friede. Sonderbar! Fast alle österreichischen Provinzen sind durch hohe meilenweite Bergrücken von einander geschieden; Oesterreich, Böhmen, Mähren, Gallizien, Steyermark, Tyrol, die Lombardei — überall hat die Natur granitne Markscheiden aufgethürmt, um den Völkerschaften den Verkehr unter einander zu erschweren. Nur nach Ungarn zu hat sie die Ebene, von wenigen unbedeutenden Hügeln umpflanzt, ganz offen gelassen. Um dem Bürgerfleiß und der geregelten Civilisation der Deutschen den Weg nach dem halbasiatischen Ungarn zu erleichtern? Um der Freiheit der Magyaren die Straße zu den übrigen Völkern Oesterreichs zu bahnen? Wer erräth die geheimen Zwecke der Na¬ tur! Gewiß ist, daß das Land, welches durch Gesetze und Zoll- schranken von der übrigen Monarchie am schärfsten abgeschlossen ist, durch sein Territorium die wenigsten Schranken bietet, während die durch ihr Terrain von der Natur getrennten Provinzen durch Ge¬ setz und Handel in Eins verbunden sind. Ist die Gewalt der Ge¬ schichte und der Staatskunst stärker als die der NaturF Die Zukunft muß das beweisen. Der Staat zählt nach Jahrzehnten die Na¬ tur nach Jahrtausenden. Die Fahrt auf dem Dampfschiff von Wien nach Preßburg, Pesth und Belgrad ist wohl eine der originellsten, die man in Eu¬ ropa machen kann. Nicht etwa, daß die Ufergegenden so reizend sind, wie die am Rheine von Mainz bis Bonn, oder so romantisch wie die auf der Elbe von Tetschen bis Dresden -i-); die Fahrt bis Preßburg ^ und von dieser allein sei hier die Rede — hat man- *) Die Donaufahrt hat allerdings auch alle diese Schönheiten; nur n> verschiedenen Gegenden. Bon Wien nach Linz steht sie der Rheinfahrt in Nichrs nach, und die Gegend bei dem sogenannten eisernen Thor hat an wilder Ro¬ mantik ihres Gleichen auf keinem europäischen Flusse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/490>, abgerufen am 29.06.2024.