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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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eben pittoresken Punkt, ohne im Ganzen durch einen besonderen Eha^
rnkter sich auszuzeichnen. Desto mehr hat der Reisende Gelegenheit,
sich mit der Reisegesellschaft auf dem Schiffe zu beschäftigen, und diese
ist der Art, wie man sie wohl auf keinem europäischen Strome wei¬
ter findet. Wie monoton ist doch am Ende die Gesellschaft auf den Nhein-
und Elbschiffen. Schwatzhafte Weinreisende und lederne Leinwand-,
Woll- und Manufacturenhändler, sentimentale Damen mit Mopsen
und Lorgnetten, ein Paar Engländer mit langen Beinen und Fern¬
röhren, die Langeweile auf dem Gesichte und den steifen Guide unter
dem Arme, ein Professor, der ü, drei Thaler des Tags die Vacanz
genießen will, ein blonder Student mit zurückgeschlagenen Kragen, ein
brauner Handwerker mit einem dicken Knotenstock: dies sind die
sämmtlichen Figuren in diesem Kartenspiel. Ihr könnt sie alle mit¬
einander tagtäglich in Eurer Stadt an jeder Ecke sehen, und um ih¬
retwillen braucht Ihr Euch nicht auf die Reise zu bemühen. Anders
ist eS auf einem Donauschiffe. Hier schwimmt das Abendland nach
dem Orient, ein friedlicher Kreuzzug im buntesten Feldlager. Asiatische
Costüme und Gesichter mischen sich mit europäischen. Türken, Ar¬
menier, Zigeuner, in der Mitte von eleganten Wienern, von fettge-
wichsten Slovaken mit tempelherrnartigen Mänteln und runden Tel¬
lerhüten. Und dazwischen die Uebergangsmenschen, die Magyaren
und Wallachen in eigenthümlichen Bewegungen. Welch ein Gemisch
von Sprachen, Religionen, geistigen Richtungen, materiellen und pa¬
triotischen Wünschen findet sich unter diesen hundert Menschen, die
hier auf einem Brette neben einander stehen. Die an die verschiedenar¬
tigsten Himmelsstriche gewöhnt sind, finden sich hier unter der Decke
einer und derselben Kajüte neben einander. Wie verschiedenartig sind
die Interessen, die in diesen Gruppen discutirt werden. Der Handel
hat seine Repräsentanten in der zweiten Kajüte. Hier sitzt der wal¬
lachische Pferdehändler, der Slovak mit seinem Lcinwandbündel, der
türkische Jude mit seinen Rosenölen und Spezereien, der Getreide-
Händler aus Siebenbürgen, und unterhalten sich von dem Jahrmarkt
in Debreczin und Pesth. In der ersten Kajüte aber discutirt der
Magnat, der ewige Reisende auf der Donau, über Hofleben und
Unabhängigkeit, über Philanthropie und Privilegien, über Pferde und
Menschen, Maitressen und Kirchensachen. Die' weibliche Gesellschaft
ist hier seltener als auf dem Rheine und der Elbe, und vor Allem


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eben pittoresken Punkt, ohne im Ganzen durch einen besonderen Eha^
rnkter sich auszuzeichnen. Desto mehr hat der Reisende Gelegenheit,
sich mit der Reisegesellschaft auf dem Schiffe zu beschäftigen, und diese
ist der Art, wie man sie wohl auf keinem europäischen Strome wei¬
ter findet. Wie monoton ist doch am Ende die Gesellschaft auf den Nhein-
und Elbschiffen. Schwatzhafte Weinreisende und lederne Leinwand-,
Woll- und Manufacturenhändler, sentimentale Damen mit Mopsen
und Lorgnetten, ein Paar Engländer mit langen Beinen und Fern¬
röhren, die Langeweile auf dem Gesichte und den steifen Guide unter
dem Arme, ein Professor, der ü, drei Thaler des Tags die Vacanz
genießen will, ein blonder Student mit zurückgeschlagenen Kragen, ein
brauner Handwerker mit einem dicken Knotenstock: dies sind die
sämmtlichen Figuren in diesem Kartenspiel. Ihr könnt sie alle mit¬
einander tagtäglich in Eurer Stadt an jeder Ecke sehen, und um ih¬
retwillen braucht Ihr Euch nicht auf die Reise zu bemühen. Anders
ist eS auf einem Donauschiffe. Hier schwimmt das Abendland nach
dem Orient, ein friedlicher Kreuzzug im buntesten Feldlager. Asiatische
Costüme und Gesichter mischen sich mit europäischen. Türken, Ar¬
menier, Zigeuner, in der Mitte von eleganten Wienern, von fettge-
wichsten Slovaken mit tempelherrnartigen Mänteln und runden Tel¬
lerhüten. Und dazwischen die Uebergangsmenschen, die Magyaren
und Wallachen in eigenthümlichen Bewegungen. Welch ein Gemisch
von Sprachen, Religionen, geistigen Richtungen, materiellen und pa¬
triotischen Wünschen findet sich unter diesen hundert Menschen, die
hier auf einem Brette neben einander stehen. Die an die verschiedenar¬
tigsten Himmelsstriche gewöhnt sind, finden sich hier unter der Decke
einer und derselben Kajüte neben einander. Wie verschiedenartig sind
die Interessen, die in diesen Gruppen discutirt werden. Der Handel
hat seine Repräsentanten in der zweiten Kajüte. Hier sitzt der wal¬
lachische Pferdehändler, der Slovak mit seinem Lcinwandbündel, der
türkische Jude mit seinen Rosenölen und Spezereien, der Getreide-
Händler aus Siebenbürgen, und unterhalten sich von dem Jahrmarkt
in Debreczin und Pesth. In der ersten Kajüte aber discutirt der
Magnat, der ewige Reisende auf der Donau, über Hofleben und
Unabhängigkeit, über Philanthropie und Privilegien, über Pferde und
Menschen, Maitressen und Kirchensachen. Die' weibliche Gesellschaft
ist hier seltener als auf dem Rheine und der Elbe, und vor Allem


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[0491] eben pittoresken Punkt, ohne im Ganzen durch einen besonderen Eha^ rnkter sich auszuzeichnen. Desto mehr hat der Reisende Gelegenheit, sich mit der Reisegesellschaft auf dem Schiffe zu beschäftigen, und diese ist der Art, wie man sie wohl auf keinem europäischen Strome wei¬ ter findet. Wie monoton ist doch am Ende die Gesellschaft auf den Nhein- und Elbschiffen. Schwatzhafte Weinreisende und lederne Leinwand-, Woll- und Manufacturenhändler, sentimentale Damen mit Mopsen und Lorgnetten, ein Paar Engländer mit langen Beinen und Fern¬ röhren, die Langeweile auf dem Gesichte und den steifen Guide unter dem Arme, ein Professor, der ü, drei Thaler des Tags die Vacanz genießen will, ein blonder Student mit zurückgeschlagenen Kragen, ein brauner Handwerker mit einem dicken Knotenstock: dies sind die sämmtlichen Figuren in diesem Kartenspiel. Ihr könnt sie alle mit¬ einander tagtäglich in Eurer Stadt an jeder Ecke sehen, und um ih¬ retwillen braucht Ihr Euch nicht auf die Reise zu bemühen. Anders ist eS auf einem Donauschiffe. Hier schwimmt das Abendland nach dem Orient, ein friedlicher Kreuzzug im buntesten Feldlager. Asiatische Costüme und Gesichter mischen sich mit europäischen. Türken, Ar¬ menier, Zigeuner, in der Mitte von eleganten Wienern, von fettge- wichsten Slovaken mit tempelherrnartigen Mänteln und runden Tel¬ lerhüten. Und dazwischen die Uebergangsmenschen, die Magyaren und Wallachen in eigenthümlichen Bewegungen. Welch ein Gemisch von Sprachen, Religionen, geistigen Richtungen, materiellen und pa¬ triotischen Wünschen findet sich unter diesen hundert Menschen, die hier auf einem Brette neben einander stehen. Die an die verschiedenar¬ tigsten Himmelsstriche gewöhnt sind, finden sich hier unter der Decke einer und derselben Kajüte neben einander. Wie verschiedenartig sind die Interessen, die in diesen Gruppen discutirt werden. Der Handel hat seine Repräsentanten in der zweiten Kajüte. Hier sitzt der wal¬ lachische Pferdehändler, der Slovak mit seinem Lcinwandbündel, der türkische Jude mit seinen Rosenölen und Spezereien, der Getreide- Händler aus Siebenbürgen, und unterhalten sich von dem Jahrmarkt in Debreczin und Pesth. In der ersten Kajüte aber discutirt der Magnat, der ewige Reisende auf der Donau, über Hofleben und Unabhängigkeit, über Philanthropie und Privilegien, über Pferde und Menschen, Maitressen und Kirchensachen. Die' weibliche Gesellschaft ist hier seltener als auf dem Rheine und der Elbe, und vor Allem 63 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/491>, abgerufen am 29.06.2024.