Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

auf mich gerade in dem ernsten Kampfe dawider der, daß sie mich
von dem Standpunkte des Hegelianischen Denkens in Dingen der
Religion und Metaphysik ablöste. Ein mir erfreuliches Resultat.
Schelling nach seiner politischen Stellung, Schelling als der von ei¬
ner Partei gebrauchte, oder was damit identisch ist, gemißbrauchte
Philosoph geht mich Nichts an. Ich bin unabhängig von Regierung
und Partei, ich brauche sie nicht, ich bin mit meiner sehr bescheidenen
Stellung in einem praktischen geistlichen Amte abseits von allen äu¬
ßeren und weiteren Rücksichten und Einflüssen vollständig zufrieden. So er¬
kläre ich es als unwahre und ungerechte Anklage, wenn in den Jahrbüchern
der Gegenwart der Tübinger Privatdocent Zeller meine theologisch-
philosophische Entwicklung, die mich in meiner politischen und ästhe¬
tischen Richtung und Stimmung nicht im Geringsten berührt oder
gar umgestimmt, als ein Ueberlaufen zu der Partei der Mächtigen, zur
Partei der Carriere denuncirt, weil ich in einem Artikel gegen Rosen¬
kranz (in der Allgemeinen Zeitung), ohne zu diesem oder zu
Schelling in irgend einer persönlichen Beziehung zu stehen, die Un¬
gerechtigkeiten, die jener sich gegen Schelling erlaubte, nachwies. Für
unwahr und entstellt muß ich es erklären, weil Herr Zeller wohl
weiß, daß meine Privatverhältnisse, meine Gesundheit mich weit ab
von der Stellen-Rennbahn hält.

Ich weiß nicht, ob Sie sich denken können, wie ein mit Reli¬
gion und Christenthum ausgesöhnter Geist dennoch die Fragen der
Zeit und der Welt mit freiem, ja gerade darum mit freierem Blicke
zu verfolgen vermag. Nur wenn ich das Parteimachen mit und um
Schelling, wenn ich Unterdrückung der Freiheit in Wissenschaft und
Leben und nicht vielmehr allseitigste Offenbarung des modernen Gei¬
stes zur Ausgestaltung seiner wahren und bleibenden Ideen willkom¬
men hieße; wenn ich meine Ueberzeugung an Menschen oder Umstände
verkaufen könnte; nur wenn ich nicht der Alte wäre bei aller Auge"
Stallung des religiös-philosophischen Standpunktes, der im Uebrigen
nur kräftigend und reinigend auf mich zurückwirken soll -- nur dann
würde ich zu einer solchen Verunglimpfung charakterloser Parteimen-
schen schweigen.


H. Merz.


III.
Ein neuer Ukas gegen die Jude".

Was man über die russischen Maßregeln zur Vernichtung pol¬
nischer Nationalität und Kirche hört, das wagt selten mehr eine Be-


Grciljlwlcn I. 02

auf mich gerade in dem ernsten Kampfe dawider der, daß sie mich
von dem Standpunkte des Hegelianischen Denkens in Dingen der
Religion und Metaphysik ablöste. Ein mir erfreuliches Resultat.
Schelling nach seiner politischen Stellung, Schelling als der von ei¬
ner Partei gebrauchte, oder was damit identisch ist, gemißbrauchte
Philosoph geht mich Nichts an. Ich bin unabhängig von Regierung
und Partei, ich brauche sie nicht, ich bin mit meiner sehr bescheidenen
Stellung in einem praktischen geistlichen Amte abseits von allen äu¬
ßeren und weiteren Rücksichten und Einflüssen vollständig zufrieden. So er¬
kläre ich es als unwahre und ungerechte Anklage, wenn in den Jahrbüchern
der Gegenwart der Tübinger Privatdocent Zeller meine theologisch-
philosophische Entwicklung, die mich in meiner politischen und ästhe¬
tischen Richtung und Stimmung nicht im Geringsten berührt oder
gar umgestimmt, als ein Ueberlaufen zu der Partei der Mächtigen, zur
Partei der Carriere denuncirt, weil ich in einem Artikel gegen Rosen¬
kranz (in der Allgemeinen Zeitung), ohne zu diesem oder zu
Schelling in irgend einer persönlichen Beziehung zu stehen, die Un¬
gerechtigkeiten, die jener sich gegen Schelling erlaubte, nachwies. Für
unwahr und entstellt muß ich es erklären, weil Herr Zeller wohl
weiß, daß meine Privatverhältnisse, meine Gesundheit mich weit ab
von der Stellen-Rennbahn hält.

Ich weiß nicht, ob Sie sich denken können, wie ein mit Reli¬
gion und Christenthum ausgesöhnter Geist dennoch die Fragen der
Zeit und der Welt mit freiem, ja gerade darum mit freierem Blicke
zu verfolgen vermag. Nur wenn ich das Parteimachen mit und um
Schelling, wenn ich Unterdrückung der Freiheit in Wissenschaft und
Leben und nicht vielmehr allseitigste Offenbarung des modernen Gei¬
stes zur Ausgestaltung seiner wahren und bleibenden Ideen willkom¬
men hieße; wenn ich meine Ueberzeugung an Menschen oder Umstände
verkaufen könnte; nur wenn ich nicht der Alte wäre bei aller Auge«
Stallung des religiös-philosophischen Standpunktes, der im Uebrigen
nur kräftigend und reinigend auf mich zurückwirken soll — nur dann
würde ich zu einer solchen Verunglimpfung charakterloser Parteimen-
schen schweigen.


H. Merz.


III.
Ein neuer Ukas gegen die Jude«.

Was man über die russischen Maßregeln zur Vernichtung pol¬
nischer Nationalität und Kirche hört, das wagt selten mehr eine Be-


Grciljlwlcn I. 02
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180194"/>
            <p xml:id="ID_1304" prev="#ID_1303"> auf mich gerade in dem ernsten Kampfe dawider der, daß sie mich<lb/>
von dem Standpunkte des Hegelianischen Denkens in Dingen der<lb/>
Religion und Metaphysik ablöste. Ein mir erfreuliches Resultat.<lb/>
Schelling nach seiner politischen Stellung, Schelling als der von ei¬<lb/>
ner Partei gebrauchte, oder was damit identisch ist, gemißbrauchte<lb/>
Philosoph geht mich Nichts an. Ich bin unabhängig von Regierung<lb/>
und Partei, ich brauche sie nicht, ich bin mit meiner sehr bescheidenen<lb/>
Stellung in einem praktischen geistlichen Amte abseits von allen äu¬<lb/>
ßeren und weiteren Rücksichten und Einflüssen vollständig zufrieden. So er¬<lb/>
kläre ich es als unwahre und ungerechte Anklage, wenn in den Jahrbüchern<lb/>
der Gegenwart der Tübinger Privatdocent Zeller meine theologisch-<lb/>
philosophische Entwicklung, die mich in meiner politischen und ästhe¬<lb/>
tischen Richtung und Stimmung nicht im Geringsten berührt oder<lb/>
gar umgestimmt, als ein Ueberlaufen zu der Partei der Mächtigen, zur<lb/>
Partei der Carriere denuncirt, weil ich in einem Artikel gegen Rosen¬<lb/>
kranz (in der Allgemeinen Zeitung), ohne zu diesem oder zu<lb/>
Schelling in irgend einer persönlichen Beziehung zu stehen, die Un¬<lb/>
gerechtigkeiten, die jener sich gegen Schelling erlaubte, nachwies. Für<lb/>
unwahr und entstellt muß ich es erklären, weil Herr Zeller wohl<lb/>
weiß, daß meine Privatverhältnisse, meine Gesundheit mich weit ab<lb/>
von der Stellen-Rennbahn hält.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1305"> Ich weiß nicht, ob Sie sich denken können, wie ein mit Reli¬<lb/>
gion und Christenthum ausgesöhnter Geist dennoch die Fragen der<lb/>
Zeit und der Welt mit freiem, ja gerade darum mit freierem Blicke<lb/>
zu verfolgen vermag. Nur wenn ich das Parteimachen mit und um<lb/>
Schelling, wenn ich Unterdrückung der Freiheit in Wissenschaft und<lb/>
Leben und nicht vielmehr allseitigste Offenbarung des modernen Gei¬<lb/>
stes zur Ausgestaltung seiner wahren und bleibenden Ideen willkom¬<lb/>
men hieße; wenn ich meine Ueberzeugung an Menschen oder Umstände<lb/>
verkaufen könnte; nur wenn ich nicht der Alte wäre bei aller Auge«<lb/>
Stallung des religiös-philosophischen Standpunktes, der im Uebrigen<lb/>
nur kräftigend und reinigend auf mich zurückwirken soll &#x2014; nur dann<lb/>
würde ich zu einer solchen Verunglimpfung charakterloser Parteimen-<lb/>
schen schweigen.</p><lb/>
            <note type="byline"> H. Merz.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.<lb/>
Ein neuer Ukas gegen die Jude«.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1306" next="#ID_1307"> Was man über die russischen Maßregeln zur Vernichtung pol¬<lb/>
nischer Nationalität und Kirche hört, das wagt selten mehr eine Be-</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Grciljlwlcn I. 02</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] auf mich gerade in dem ernsten Kampfe dawider der, daß sie mich von dem Standpunkte des Hegelianischen Denkens in Dingen der Religion und Metaphysik ablöste. Ein mir erfreuliches Resultat. Schelling nach seiner politischen Stellung, Schelling als der von ei¬ ner Partei gebrauchte, oder was damit identisch ist, gemißbrauchte Philosoph geht mich Nichts an. Ich bin unabhängig von Regierung und Partei, ich brauche sie nicht, ich bin mit meiner sehr bescheidenen Stellung in einem praktischen geistlichen Amte abseits von allen äu¬ ßeren und weiteren Rücksichten und Einflüssen vollständig zufrieden. So er¬ kläre ich es als unwahre und ungerechte Anklage, wenn in den Jahrbüchern der Gegenwart der Tübinger Privatdocent Zeller meine theologisch- philosophische Entwicklung, die mich in meiner politischen und ästhe¬ tischen Richtung und Stimmung nicht im Geringsten berührt oder gar umgestimmt, als ein Ueberlaufen zu der Partei der Mächtigen, zur Partei der Carriere denuncirt, weil ich in einem Artikel gegen Rosen¬ kranz (in der Allgemeinen Zeitung), ohne zu diesem oder zu Schelling in irgend einer persönlichen Beziehung zu stehen, die Un¬ gerechtigkeiten, die jener sich gegen Schelling erlaubte, nachwies. Für unwahr und entstellt muß ich es erklären, weil Herr Zeller wohl weiß, daß meine Privatverhältnisse, meine Gesundheit mich weit ab von der Stellen-Rennbahn hält. Ich weiß nicht, ob Sie sich denken können, wie ein mit Reli¬ gion und Christenthum ausgesöhnter Geist dennoch die Fragen der Zeit und der Welt mit freiem, ja gerade darum mit freierem Blicke zu verfolgen vermag. Nur wenn ich das Parteimachen mit und um Schelling, wenn ich Unterdrückung der Freiheit in Wissenschaft und Leben und nicht vielmehr allseitigste Offenbarung des modernen Gei¬ stes zur Ausgestaltung seiner wahren und bleibenden Ideen willkom¬ men hieße; wenn ich meine Ueberzeugung an Menschen oder Umstände verkaufen könnte; nur wenn ich nicht der Alte wäre bei aller Auge« Stallung des religiös-philosophischen Standpunktes, der im Uebrigen nur kräftigend und reinigend auf mich zurückwirken soll — nur dann würde ich zu einer solchen Verunglimpfung charakterloser Parteimen- schen schweigen. H. Merz. III. Ein neuer Ukas gegen die Jude«. Was man über die russischen Maßregeln zur Vernichtung pol¬ nischer Nationalität und Kirche hört, das wagt selten mehr eine Be- Grciljlwlcn I. 02

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/481>, abgerufen am 29.06.2024.