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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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in vieler . Beziehung verwandte Schlesien mit ihren halbslavischcn Ele¬
menten in den beiden größten Städten Deutschlands eine so wichtige
Rolle durch ihre geistigen Repräsentanten spielen.

Ein Unterschied spaltet jedoch diese Aehnlichkeit. Berlin, mit der
Schärfe des Nordens, hat die fremden Nationalitäten überwunden
und gewissermaßen aufgezehrt. Die südliche Weichheit Wiens hat
diesen Sieg nie errungen. Die ersten Kolonien, die Berlin zu seiner
jetzigen Größe verhalfen, waren ausgewanderte Franzosen und Bos--
man. Und doch findet man nur wenige Spuren der Nationalität
ihrer Vorfahren bei den jetzigen Generationen. Sie sind germanisirt,
sie sind Berliner von so echter Race geworden, wie nur je welche
Spreewasser getrunken. In Wien dagegen gehen die Colonien der
Ungarn, Italiener, Griechen, ja sogar die Böhmen noch in ihrer
ganzen fremden Eigenthümlichkeit neben dem Oesterreicher her; eS
sind Einwohner Wiens, aber es sind keine Wiener. --

Wenn man daS Aeußere der beiden Städte mit einander ver¬
gleicht, so findet man, daß Berlin eine vollständige Repräsentantin
der Philosophie ist, ein Abbild jener Wissenschaft, die Alles "
construirt. Berlin ist -l i">-lo>i gebaut. Die Straßen sind von vorne
herein so breit gedehnt und langgestreckt worden, daß Alles, was
im Lause der Zeit kommen mag, darin Platz, Bewegung, Entwicke¬
lung finden kann. Die Berliner Straßen wie die Berliner Philo¬
sophen kann Nichts in Verlegenheit bringen. Die Wagen und Sy¬
steme können voir den entgegengesetztesten Richtungen gegen einander
fahren; es ist immer Platz genug da, um neben einander zu bestehen:
Althegel, Neuhcgcl, Schelling -- Droschken, Vereinsdroschken, Hof-
Wagen, Alle finden ihren breiten Weg, auf dem sie gemächlich dahin-
rollcn können. Wien im Gegensatze ist eine wahre Repräsentantin
jenerPolitik, die nur das kickt accnmj>Il überall gelten läßt. Die Erbauer
Wiens haben nicht wie die Erbauer Berlins einen festen Plan vor
Augen gehabt, sie hatten sich nicht vorgesetzt: Hier wollen wir be¬
ginnen und dort wünschen wir zu enden; hier wollen wir uns eine
Grenze setzen, um dort desto mehr Spielraum zu haben -- nein, der Eine,
ein Privilegirter, baute seinen Palast mitten auf einem freien Platz,
ein Anderer baute sich links an, ein Dritter schief, ein Vierter ge¬
rade. An die Folgen dachte man wenig, die augenblickliche Bequem¬
lichkeit entschied. Wenn Verlegenheiten entstanden, so flickte man,


in vieler . Beziehung verwandte Schlesien mit ihren halbslavischcn Ele¬
menten in den beiden größten Städten Deutschlands eine so wichtige
Rolle durch ihre geistigen Repräsentanten spielen.

Ein Unterschied spaltet jedoch diese Aehnlichkeit. Berlin, mit der
Schärfe des Nordens, hat die fremden Nationalitäten überwunden
und gewissermaßen aufgezehrt. Die südliche Weichheit Wiens hat
diesen Sieg nie errungen. Die ersten Kolonien, die Berlin zu seiner
jetzigen Größe verhalfen, waren ausgewanderte Franzosen und Bos--
man. Und doch findet man nur wenige Spuren der Nationalität
ihrer Vorfahren bei den jetzigen Generationen. Sie sind germanisirt,
sie sind Berliner von so echter Race geworden, wie nur je welche
Spreewasser getrunken. In Wien dagegen gehen die Colonien der
Ungarn, Italiener, Griechen, ja sogar die Böhmen noch in ihrer
ganzen fremden Eigenthümlichkeit neben dem Oesterreicher her; eS
sind Einwohner Wiens, aber es sind keine Wiener. —

Wenn man daS Aeußere der beiden Städte mit einander ver¬
gleicht, so findet man, daß Berlin eine vollständige Repräsentantin
der Philosophie ist, ein Abbild jener Wissenschaft, die Alles »
construirt. Berlin ist -l i»>-lo>i gebaut. Die Straßen sind von vorne
herein so breit gedehnt und langgestreckt worden, daß Alles, was
im Lause der Zeit kommen mag, darin Platz, Bewegung, Entwicke¬
lung finden kann. Die Berliner Straßen wie die Berliner Philo¬
sophen kann Nichts in Verlegenheit bringen. Die Wagen und Sy¬
steme können voir den entgegengesetztesten Richtungen gegen einander
fahren; es ist immer Platz genug da, um neben einander zu bestehen:
Althegel, Neuhcgcl, Schelling — Droschken, Vereinsdroschken, Hof-
Wagen, Alle finden ihren breiten Weg, auf dem sie gemächlich dahin-
rollcn können. Wien im Gegensatze ist eine wahre Repräsentantin
jenerPolitik, die nur das kickt accnmj>Il überall gelten läßt. Die Erbauer
Wiens haben nicht wie die Erbauer Berlins einen festen Plan vor
Augen gehabt, sie hatten sich nicht vorgesetzt: Hier wollen wir be¬
ginnen und dort wünschen wir zu enden; hier wollen wir uns eine
Grenze setzen, um dort desto mehr Spielraum zu haben — nein, der Eine,
ein Privilegirter, baute seinen Palast mitten auf einem freien Platz,
ein Anderer baute sich links an, ein Dritter schief, ein Vierter ge¬
rade. An die Folgen dachte man wenig, die augenblickliche Bequem¬
lichkeit entschied. Wenn Verlegenheiten entstanden, so flickte man,


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[0463] in vieler . Beziehung verwandte Schlesien mit ihren halbslavischcn Ele¬ menten in den beiden größten Städten Deutschlands eine so wichtige Rolle durch ihre geistigen Repräsentanten spielen. Ein Unterschied spaltet jedoch diese Aehnlichkeit. Berlin, mit der Schärfe des Nordens, hat die fremden Nationalitäten überwunden und gewissermaßen aufgezehrt. Die südliche Weichheit Wiens hat diesen Sieg nie errungen. Die ersten Kolonien, die Berlin zu seiner jetzigen Größe verhalfen, waren ausgewanderte Franzosen und Bos-- man. Und doch findet man nur wenige Spuren der Nationalität ihrer Vorfahren bei den jetzigen Generationen. Sie sind germanisirt, sie sind Berliner von so echter Race geworden, wie nur je welche Spreewasser getrunken. In Wien dagegen gehen die Colonien der Ungarn, Italiener, Griechen, ja sogar die Böhmen noch in ihrer ganzen fremden Eigenthümlichkeit neben dem Oesterreicher her; eS sind Einwohner Wiens, aber es sind keine Wiener. — Wenn man daS Aeußere der beiden Städte mit einander ver¬ gleicht, so findet man, daß Berlin eine vollständige Repräsentantin der Philosophie ist, ein Abbild jener Wissenschaft, die Alles » construirt. Berlin ist -l i»>-lo>i gebaut. Die Straßen sind von vorne herein so breit gedehnt und langgestreckt worden, daß Alles, was im Lause der Zeit kommen mag, darin Platz, Bewegung, Entwicke¬ lung finden kann. Die Berliner Straßen wie die Berliner Philo¬ sophen kann Nichts in Verlegenheit bringen. Die Wagen und Sy¬ steme können voir den entgegengesetztesten Richtungen gegen einander fahren; es ist immer Platz genug da, um neben einander zu bestehen: Althegel, Neuhcgcl, Schelling — Droschken, Vereinsdroschken, Hof- Wagen, Alle finden ihren breiten Weg, auf dem sie gemächlich dahin- rollcn können. Wien im Gegensatze ist eine wahre Repräsentantin jenerPolitik, die nur das kickt accnmj>Il überall gelten läßt. Die Erbauer Wiens haben nicht wie die Erbauer Berlins einen festen Plan vor Augen gehabt, sie hatten sich nicht vorgesetzt: Hier wollen wir be¬ ginnen und dort wünschen wir zu enden; hier wollen wir uns eine Grenze setzen, um dort desto mehr Spielraum zu haben — nein, der Eine, ein Privilegirter, baute seinen Palast mitten auf einem freien Platz, ein Anderer baute sich links an, ein Dritter schief, ein Vierter ge¬ rade. An die Folgen dachte man wenig, die augenblickliche Bequem¬ lichkeit entschied. Wenn Verlegenheiten entstanden, so flickte man,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/463>, abgerufen am 28.09.2024.