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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Existenz noch von der Bereitwilligkeit eines Verlegers, dann von der
einzuholenden Concession und endlich, wenn sie concessionirt war, von
der preußischen Censur abhing! Die Larifari-Politik des großen Kräh¬
winkel ist unverbesserlich.

-- Schelling commentirte einmal in seinen Vorlesungen einen
Vibelvers; und da er zu schriftlicher Aeußerung etwaiger Zweifel oder
Unklarheit aufgefordert hatte, so legte ein Studirender, ein Jude,
einen Zettel auf die Katheder, worin er die Auslegung jener Bibcl-
stelle für unrichtig erklärte. Schelling antwortete, er habe früher
Theologie studirt; wenn daher seine Auslegung für unrichtig gehalten
werde, so solle man deshalb nicht glauben, daß er nicht hebräisch
verstehe; übrigens müsse er den Juden alle wissenschaftliche Befähig¬
ung absprechen. Ein Berichterstatter aus Berlin im "Orient" will
nun diese allgemeine Behauptung nicht weiter bestreiten, weis't aber
Schelling aus einigen Stellen seiner Schriften nach, daß seine Phi¬
losophie stark mit rabbinisch-talmudischer Weisheit versetzt sei.

-- O'Connell ist von seinen englischen Freunden im Covent-
gardentheater durch ein Festmahl von 1v80 Gedecken gefeiert worden.
Schade, daß die vom Professor Walter in Bonn entworfene Adresse
an den irischen Agitator noch nicht abgegangen ist. In Covent-
garden, bei dem großen' Zweckessen vorgelesen, hätte sie gewiß Sensa¬
tion gemacht. Es sind darin nämlich so viel gute Lehren, Ermah¬
nungen und Verwahrungen in die wohlwollende Belobung Daniel's
eingestreut, daß man glauben könnte, O'Connell sei ein junger Stu¬
dent auf einer preußischen Universität und agicire, um ein Lesemuscum
zu Stande zu bringen.

-- Den polnischen Emigranten in Posen ist eine längere Frist
zu ihrer Auswanderung gestattet worden; man glaubt sogar,' sie wür¬
den ganz bleiben dürfen. Die russischen Denunciationen über die
Umtriebe und Verschwörungen in Posen müssen also doch nicht sehr
wahrheitsliebend -- euphemistisch zu reden -- gewesen sein. Auch
der "Brandenburger" scheint sich unnöthigerweise erst nach London
und von da aus nach der "Deutschen Allgemeinen" bemüht zu ha¬
ben. Wenigstens scheinen die armen Flüchtlinge in Posen an C;ar-
toryski's und Krempowiecki's Träumen unschuldiger zu sein, als der
Brandenburger glauben wollte. Oder steht Preußen schon auf dem
Kriegsfuß gegen Rußland?

-- Der glücklichste von Napoleons Helden, Bernadotte, König
von Schweden, ist am 8. März, 8t Jahre alt, gestorben. Sein
Sohn und Nachfolger Oscar war als Kronprinz ungemein beliebt


Existenz noch von der Bereitwilligkeit eines Verlegers, dann von der
einzuholenden Concession und endlich, wenn sie concessionirt war, von
der preußischen Censur abhing! Die Larifari-Politik des großen Kräh¬
winkel ist unverbesserlich.

— Schelling commentirte einmal in seinen Vorlesungen einen
Vibelvers; und da er zu schriftlicher Aeußerung etwaiger Zweifel oder
Unklarheit aufgefordert hatte, so legte ein Studirender, ein Jude,
einen Zettel auf die Katheder, worin er die Auslegung jener Bibcl-
stelle für unrichtig erklärte. Schelling antwortete, er habe früher
Theologie studirt; wenn daher seine Auslegung für unrichtig gehalten
werde, so solle man deshalb nicht glauben, daß er nicht hebräisch
verstehe; übrigens müsse er den Juden alle wissenschaftliche Befähig¬
ung absprechen. Ein Berichterstatter aus Berlin im „Orient" will
nun diese allgemeine Behauptung nicht weiter bestreiten, weis't aber
Schelling aus einigen Stellen seiner Schriften nach, daß seine Phi¬
losophie stark mit rabbinisch-talmudischer Weisheit versetzt sei.

— O'Connell ist von seinen englischen Freunden im Covent-
gardentheater durch ein Festmahl von 1v80 Gedecken gefeiert worden.
Schade, daß die vom Professor Walter in Bonn entworfene Adresse
an den irischen Agitator noch nicht abgegangen ist. In Covent-
garden, bei dem großen' Zweckessen vorgelesen, hätte sie gewiß Sensa¬
tion gemacht. Es sind darin nämlich so viel gute Lehren, Ermah¬
nungen und Verwahrungen in die wohlwollende Belobung Daniel's
eingestreut, daß man glauben könnte, O'Connell sei ein junger Stu¬
dent auf einer preußischen Universität und agicire, um ein Lesemuscum
zu Stande zu bringen.

— Den polnischen Emigranten in Posen ist eine längere Frist
zu ihrer Auswanderung gestattet worden; man glaubt sogar,' sie wür¬
den ganz bleiben dürfen. Die russischen Denunciationen über die
Umtriebe und Verschwörungen in Posen müssen also doch nicht sehr
wahrheitsliebend — euphemistisch zu reden — gewesen sein. Auch
der „Brandenburger" scheint sich unnöthigerweise erst nach London
und von da aus nach der „Deutschen Allgemeinen" bemüht zu ha¬
ben. Wenigstens scheinen die armen Flüchtlinge in Posen an C;ar-
toryski's und Krempowiecki's Träumen unschuldiger zu sein, als der
Brandenburger glauben wollte. Oder steht Preußen schon auf dem
Kriegsfuß gegen Rußland?

— Der glücklichste von Napoleons Helden, Bernadotte, König
von Schweden, ist am 8. März, 8t Jahre alt, gestorben. Sein
Sohn und Nachfolger Oscar war als Kronprinz ungemein beliebt


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[0455] Existenz noch von der Bereitwilligkeit eines Verlegers, dann von der einzuholenden Concession und endlich, wenn sie concessionirt war, von der preußischen Censur abhing! Die Larifari-Politik des großen Kräh¬ winkel ist unverbesserlich. — Schelling commentirte einmal in seinen Vorlesungen einen Vibelvers; und da er zu schriftlicher Aeußerung etwaiger Zweifel oder Unklarheit aufgefordert hatte, so legte ein Studirender, ein Jude, einen Zettel auf die Katheder, worin er die Auslegung jener Bibcl- stelle für unrichtig erklärte. Schelling antwortete, er habe früher Theologie studirt; wenn daher seine Auslegung für unrichtig gehalten werde, so solle man deshalb nicht glauben, daß er nicht hebräisch verstehe; übrigens müsse er den Juden alle wissenschaftliche Befähig¬ ung absprechen. Ein Berichterstatter aus Berlin im „Orient" will nun diese allgemeine Behauptung nicht weiter bestreiten, weis't aber Schelling aus einigen Stellen seiner Schriften nach, daß seine Phi¬ losophie stark mit rabbinisch-talmudischer Weisheit versetzt sei. — O'Connell ist von seinen englischen Freunden im Covent- gardentheater durch ein Festmahl von 1v80 Gedecken gefeiert worden. Schade, daß die vom Professor Walter in Bonn entworfene Adresse an den irischen Agitator noch nicht abgegangen ist. In Covent- garden, bei dem großen' Zweckessen vorgelesen, hätte sie gewiß Sensa¬ tion gemacht. Es sind darin nämlich so viel gute Lehren, Ermah¬ nungen und Verwahrungen in die wohlwollende Belobung Daniel's eingestreut, daß man glauben könnte, O'Connell sei ein junger Stu¬ dent auf einer preußischen Universität und agicire, um ein Lesemuscum zu Stande zu bringen. — Den polnischen Emigranten in Posen ist eine längere Frist zu ihrer Auswanderung gestattet worden; man glaubt sogar,' sie wür¬ den ganz bleiben dürfen. Die russischen Denunciationen über die Umtriebe und Verschwörungen in Posen müssen also doch nicht sehr wahrheitsliebend — euphemistisch zu reden — gewesen sein. Auch der „Brandenburger" scheint sich unnöthigerweise erst nach London und von da aus nach der „Deutschen Allgemeinen" bemüht zu ha¬ ben. Wenigstens scheinen die armen Flüchtlinge in Posen an C;ar- toryski's und Krempowiecki's Träumen unschuldiger zu sein, als der Brandenburger glauben wollte. Oder steht Preußen schon auf dem Kriegsfuß gegen Rußland? — Der glücklichste von Napoleons Helden, Bernadotte, König von Schweden, ist am 8. März, 8t Jahre alt, gestorben. Sein Sohn und Nachfolger Oscar war als Kronprinz ungemein beliebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/455>, abgerufen am 29.06.2024.