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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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schlug dem Herzog vor, sich die Sanction des Stadthauses selbst zu
holen. Er ergriff mit Eiser den Vorschlag, dessen Ausführung nicht
ganz gefahrlos war; der Zug setzte sich in Bewegung, das Volk öff¬
nete erstaunt seine Reihen, die Nationalgarde bildete die Gasse und
der Herzog gelangt von Barricade zu Barricade bis an das Stadt¬
haus. Dort sehen sich der Veteran der Freiheit und der Soldat
von Jemmape zum ersten Mal seit 4t) Jahren wieder und das Julikonig-
thum empfängt durch Lafayette's Umarmung die entscheidende Weihe.

Am 7. August überbrachte Laffitte dem König die Erklärung der
Kammern, welche ihn auf den Thron berief, und die Sitzung vom 9.
brachte endlich alle Wünsche des Banquiers zum Ziel; er konnte,
wie die Jungfrau von Orleans zu Karl VII., sagen: Ich war bei
den Mühen, ich muß auch beim Triumphe sein. Aber für ihn war
der Augenblick des Triumphs fast das Zeichen zu seinem Untergang.
Der Zeitabschnitt, den wir jetzt beginnen, war für ihn eine Periode
des Schmerzes und der Kämpfe. Laffitte, an den Wagen des Staa¬
tes geschmiedet, erschöpfte seine Kräfte, verlor sein Vermögen, die
Frucht vierzigjähriger Arbeit und seine für glorreiche Dienste und
zahllose Wohlthaten erlangte Popularität.

Wir werden sehen, wie dieses dreifache Unglück sich zutrug.

Das erste Ministerium des Julikönigthums war eine wahre
Mustersammlung aller Parteien. In einem Kabinet befanden sich
mit oder ohne Portefeuille Molo und Dupont de l'Eure, Laffitte und
Guizot, de Broglie und Bignon, Republikaner, Imperialisten, reine
Juli-Monarchisten, zweifelhafte Dynastische, ein Chaos, von den
Straßenemeuten und den Stürmen der Kammern hin und her bewegt
und selbst'die Maschine der Regierung nach den widersprechendsten Sei¬
ten hin in Bewegung setzend. Es war eine schwierige Epoche. Das
Prinzip der Autorität, von dem Ausbruch der Volksleidenschaft ver¬
nichtet, sing kaum noch an, sich neu zu erzeugen ; die Macht war auf
die öffentlichen Plätze herabgestiegen; der erste beste Eckstein diente
dem ersten Besten als Tribune, von der er dem Volke politische
Theorien verkündete. Der jüngere Theil der Nation, siegestrunken,
blieb unter den Waffen; er wollte mit der Vergangenheit ganz bre¬
chen, die Gesellschaft von Neuem aufbauen, alles Alte in Frankreich,
bei den Nachbarn und bei den Antipoden vernichten; und das wollte er
thun mit einem erschöpften Schatze, einem fast deöorganisirten Heere,


schlug dem Herzog vor, sich die Sanction des Stadthauses selbst zu
holen. Er ergriff mit Eiser den Vorschlag, dessen Ausführung nicht
ganz gefahrlos war; der Zug setzte sich in Bewegung, das Volk öff¬
nete erstaunt seine Reihen, die Nationalgarde bildete die Gasse und
der Herzog gelangt von Barricade zu Barricade bis an das Stadt¬
haus. Dort sehen sich der Veteran der Freiheit und der Soldat
von Jemmape zum ersten Mal seit 4t) Jahren wieder und das Julikonig-
thum empfängt durch Lafayette's Umarmung die entscheidende Weihe.

Am 7. August überbrachte Laffitte dem König die Erklärung der
Kammern, welche ihn auf den Thron berief, und die Sitzung vom 9.
brachte endlich alle Wünsche des Banquiers zum Ziel; er konnte,
wie die Jungfrau von Orleans zu Karl VII., sagen: Ich war bei
den Mühen, ich muß auch beim Triumphe sein. Aber für ihn war
der Augenblick des Triumphs fast das Zeichen zu seinem Untergang.
Der Zeitabschnitt, den wir jetzt beginnen, war für ihn eine Periode
des Schmerzes und der Kämpfe. Laffitte, an den Wagen des Staa¬
tes geschmiedet, erschöpfte seine Kräfte, verlor sein Vermögen, die
Frucht vierzigjähriger Arbeit und seine für glorreiche Dienste und
zahllose Wohlthaten erlangte Popularität.

Wir werden sehen, wie dieses dreifache Unglück sich zutrug.

Das erste Ministerium des Julikönigthums war eine wahre
Mustersammlung aller Parteien. In einem Kabinet befanden sich
mit oder ohne Portefeuille Molo und Dupont de l'Eure, Laffitte und
Guizot, de Broglie und Bignon, Republikaner, Imperialisten, reine
Juli-Monarchisten, zweifelhafte Dynastische, ein Chaos, von den
Straßenemeuten und den Stürmen der Kammern hin und her bewegt
und selbst'die Maschine der Regierung nach den widersprechendsten Sei¬
ten hin in Bewegung setzend. Es war eine schwierige Epoche. Das
Prinzip der Autorität, von dem Ausbruch der Volksleidenschaft ver¬
nichtet, sing kaum noch an, sich neu zu erzeugen ; die Macht war auf
die öffentlichen Plätze herabgestiegen; der erste beste Eckstein diente
dem ersten Besten als Tribune, von der er dem Volke politische
Theorien verkündete. Der jüngere Theil der Nation, siegestrunken,
blieb unter den Waffen; er wollte mit der Vergangenheit ganz bre¬
chen, die Gesellschaft von Neuem aufbauen, alles Alte in Frankreich,
bei den Nachbarn und bei den Antipoden vernichten; und das wollte er
thun mit einem erschöpften Schatze, einem fast deöorganisirten Heere,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/448>, abgerufen am 26.06.2024.