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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Freude des Sieges berauscht, überließen sich den widersprechendsten
Hoffnungen; es war dringend nothwendig, eine Macht zur Zügelung
der Anarchie und zur Consolidirung des Werkes der Revolution zu fin¬
den; aber der Herzog von Orleans hüllte sich noch in Schweigen
und Räthsel. Er war in Raine" und für Niemanden sichtbar; die Krone
lag auf dem Straßenpflaster; Laffitte bot sie ihm an und er zögerte
noch, sie anzunehmen. Um seiner Unentschlossenheit ein Ende zu ma-
chen, ließ Laffitte am 30. in allen Zeitungen eine Proklamation zu
Gunsten des Herzogs veröffentlichen, rief vierundvierzig Deputirte im
Palais Bourbon zusammen und beschloß mit diesen, den Prinzen
zum Generallieutenant des Königreichs zu ernennen; zwölf dieser
Deputirten begaben sich sogleich nach Neuilly, um dem Herzog das
Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Der Prinz erschien noch nicht
und erst am Abend, als er bei seiner Rückkehr von Rainey die Pro¬
klamation las, welche ihm den Weg zum Throne öffnete, entschloß
er sich, den Rubicon zu überschreiten; er umarmte seine Gemahlin
und seine Kinder, legte eine Civilkleidung an, ging zu Fuß und nur
von einem Adjutanten begleitet nach Paris, kam um eilf Uhr Abends
im Palais-Royal an und überschickte Laffitte sogleich eine Proklama¬
tion, in der er seine Ankunft und seine Annahme anzeigte.

Am anderen Morgen kamen die Deputirten abermals in dem
Palais Bourbon zusammen; eine von Guizot entworfene Adresse
wurde genehmigt, und die ganze Versammlung begibt sich nach dem
Palais-Royal; dort führt Laffitte das Wort im Namen der Kammer.
Auf dein Wege hatte er sich beim Uebersteigen einer Barrikade ver¬
wundet und trat hinkend bei dem Prinzen ein. "Sie sind verwun¬
det, Herr Laffitte", sagte der Letztere. "Monseigneur, sehen Sie nicht
auf meine Füße, sondern auf meine Hände, die Ihnen eine Krone
bringen."

Aber um diese Krone zu erlangen, mußte man noch einige An¬
strengungen machen. Während man sich im Palais-Royal damit
beschäftigte, einen König zu machen, drängte sich im Stadthause eine
Schaar von Jünglingen um einen Greis, um ihn zum Eckstein einer neuen
Republik zu machen. Aber noch zögerte der Greis Lafayette, denn
er fürchtete die Wiederkehr jener Zeiten, wo die Macht der Preis
der Kühnheit und noch häufiger des Verbrechens war.

Die Zeit drängte und man mußte einen Entschluß fassen. Laffitte


Freude des Sieges berauscht, überließen sich den widersprechendsten
Hoffnungen; es war dringend nothwendig, eine Macht zur Zügelung
der Anarchie und zur Consolidirung des Werkes der Revolution zu fin¬
den; aber der Herzog von Orleans hüllte sich noch in Schweigen
und Räthsel. Er war in Raine» und für Niemanden sichtbar; die Krone
lag auf dem Straßenpflaster; Laffitte bot sie ihm an und er zögerte
noch, sie anzunehmen. Um seiner Unentschlossenheit ein Ende zu ma-
chen, ließ Laffitte am 30. in allen Zeitungen eine Proklamation zu
Gunsten des Herzogs veröffentlichen, rief vierundvierzig Deputirte im
Palais Bourbon zusammen und beschloß mit diesen, den Prinzen
zum Generallieutenant des Königreichs zu ernennen; zwölf dieser
Deputirten begaben sich sogleich nach Neuilly, um dem Herzog das
Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Der Prinz erschien noch nicht
und erst am Abend, als er bei seiner Rückkehr von Rainey die Pro¬
klamation las, welche ihm den Weg zum Throne öffnete, entschloß
er sich, den Rubicon zu überschreiten; er umarmte seine Gemahlin
und seine Kinder, legte eine Civilkleidung an, ging zu Fuß und nur
von einem Adjutanten begleitet nach Paris, kam um eilf Uhr Abends
im Palais-Royal an und überschickte Laffitte sogleich eine Proklama¬
tion, in der er seine Ankunft und seine Annahme anzeigte.

Am anderen Morgen kamen die Deputirten abermals in dem
Palais Bourbon zusammen; eine von Guizot entworfene Adresse
wurde genehmigt, und die ganze Versammlung begibt sich nach dem
Palais-Royal; dort führt Laffitte das Wort im Namen der Kammer.
Auf dein Wege hatte er sich beim Uebersteigen einer Barrikade ver¬
wundet und trat hinkend bei dem Prinzen ein. „Sie sind verwun¬
det, Herr Laffitte", sagte der Letztere. „Monseigneur, sehen Sie nicht
auf meine Füße, sondern auf meine Hände, die Ihnen eine Krone
bringen."

Aber um diese Krone zu erlangen, mußte man noch einige An¬
strengungen machen. Während man sich im Palais-Royal damit
beschäftigte, einen König zu machen, drängte sich im Stadthause eine
Schaar von Jünglingen um einen Greis, um ihn zum Eckstein einer neuen
Republik zu machen. Aber noch zögerte der Greis Lafayette, denn
er fürchtete die Wiederkehr jener Zeiten, wo die Macht der Preis
der Kühnheit und noch häufiger des Verbrechens war.

Die Zeit drängte und man mußte einen Entschluß fassen. Laffitte


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[0447] Freude des Sieges berauscht, überließen sich den widersprechendsten Hoffnungen; es war dringend nothwendig, eine Macht zur Zügelung der Anarchie und zur Consolidirung des Werkes der Revolution zu fin¬ den; aber der Herzog von Orleans hüllte sich noch in Schweigen und Räthsel. Er war in Raine» und für Niemanden sichtbar; die Krone lag auf dem Straßenpflaster; Laffitte bot sie ihm an und er zögerte noch, sie anzunehmen. Um seiner Unentschlossenheit ein Ende zu ma- chen, ließ Laffitte am 30. in allen Zeitungen eine Proklamation zu Gunsten des Herzogs veröffentlichen, rief vierundvierzig Deputirte im Palais Bourbon zusammen und beschloß mit diesen, den Prinzen zum Generallieutenant des Königreichs zu ernennen; zwölf dieser Deputirten begaben sich sogleich nach Neuilly, um dem Herzog das Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Der Prinz erschien noch nicht und erst am Abend, als er bei seiner Rückkehr von Rainey die Pro¬ klamation las, welche ihm den Weg zum Throne öffnete, entschloß er sich, den Rubicon zu überschreiten; er umarmte seine Gemahlin und seine Kinder, legte eine Civilkleidung an, ging zu Fuß und nur von einem Adjutanten begleitet nach Paris, kam um eilf Uhr Abends im Palais-Royal an und überschickte Laffitte sogleich eine Proklama¬ tion, in der er seine Ankunft und seine Annahme anzeigte. Am anderen Morgen kamen die Deputirten abermals in dem Palais Bourbon zusammen; eine von Guizot entworfene Adresse wurde genehmigt, und die ganze Versammlung begibt sich nach dem Palais-Royal; dort führt Laffitte das Wort im Namen der Kammer. Auf dein Wege hatte er sich beim Uebersteigen einer Barrikade ver¬ wundet und trat hinkend bei dem Prinzen ein. „Sie sind verwun¬ det, Herr Laffitte", sagte der Letztere. „Monseigneur, sehen Sie nicht auf meine Füße, sondern auf meine Hände, die Ihnen eine Krone bringen." Aber um diese Krone zu erlangen, mußte man noch einige An¬ strengungen machen. Während man sich im Palais-Royal damit beschäftigte, einen König zu machen, drängte sich im Stadthause eine Schaar von Jünglingen um einen Greis, um ihn zum Eckstein einer neuen Republik zu machen. Aber noch zögerte der Greis Lafayette, denn er fürchtete die Wiederkehr jener Zeiten, wo die Macht der Preis der Kühnheit und noch häufiger des Verbrechens war. Die Zeit drängte und man mußte einen Entschluß fassen. Laffitte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/447>, abgerufen am 26.06.2024.