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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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doch einen christlichen Staat und eine christliche Wissenschaft verlangt,
so läßt sich nicht absehen, wie irgend ein Theil der Staatswissenschaft
sich gegen die Religion gleichgiltig verhalten kann." -- "Auch eine
christliche Polizei ist des jetzt nicht verlangt worden, und, was man
in der Wirklichkeit so nenne" mochte, ist eben nicht besonders christlich.
ES möchte auch schwer sein, die verschiedenen Geschäfte der Polizei, in
größeren Städte" besonders, nach christliche" Grundsätzen zu verwalten:
um so würdiger wäre es des christlichen Staats, sich an diese Aufgabe
zu wagen.,, Endlich müßten die Naturwissenschaften christianisirt
werden und vor Allem müßte gesorgt werden, daß der Arzt, bei sei¬
nem großen Einfluß auf die Menschen, ein vollkommen christlicher sei.

-- (Brieflich aus Wien.) Vor kurzer Zeit enthielten mehrere
deutsche Blätter folgende Notiz: "Der deutsche Renegat Wezlar, der
vor zwei Jahren Muselmann wurde, den Grad eines Majors erhielt
und sich mit einem türkischen Mädchen verheirathete, entfloh vor drei
Wochen aus Konstantinopel mit Zurücklassung vou 6l),WV Piastern
Schulden und einer schwangeren Frau."

In Bezug auf diese Notiz ist uns eine Reclamation von einem
sehr nahen Verwandten der in Rede stehenden Fran mitgetheilt wor¬
den, worin es heißt: "Gesetzt, das Factum hätte sich buchstäblich er¬
geben, so werden Sie finde", daß die Art und Weise, in welcher es
mitgetheilt wurde, die gesammten Mitglieder einer jedenfalls hochge¬
stellten adeligen Familie, die in ihrer Mitte kaiserliche Generale und
Stabsoffiziere zählt, und die zumal noch mit mehreren gräflichen Fa¬
milien nahe verwandt ist (!), auf daS Empfindlichste compromittirt
hat." (Der erwähnte Renegat hieß, als er noch Christ war, Herr
Baron von Wetzlar-Plankenstcrn.) "Die ganze Mittheilung ist jedoch
Nichts als eine Mystification und Verleumdung." (höret) "Baron
Wetzlar, dermalen Alsace Bey, ist weder durchgegangen, noch hat er
seine schwangere Frau im Elend hinterlassen können, nachdem auf of-
ficiellen Wege, durch Vermittlung der Sultanin Valide, Baron Wetz¬
lar die achtzehnjährige Wittwe des Mustapha Pascha, eine geborene
EmirS-Tochter, also Fürstin, die zumal ungeheuer reich ist, vor zwei
Jahren geheirathet hat. Herr Baron Wetzlar, nunmehr Nehmet Sable
Bey, ist vor drei Jahren nach Konstantinopel mit obrigkeitlicher Be¬
willigung in der Absicht gereist, dort als Jnstructor in der großherrli-
chen Armee angestellt zu werden. Ein zufälliges Zusammentreffen mit
dem Sultan, dessen Wohlgefallen er durch sein Exterieur so glücklich
war, augenblicklich zu gewinnen und glänzende V ersprech ungen (I)
bewogen ihn, ganz in türkische Dienste zu treten. Reich beschenkt, zum
Bed erhoben, wurde er auf der Stelle Col-Aga, d. h. Adjutant-
Major. Drei Woche" später erhielt er den Nischan in Diamanten und
wurde Binbascha, d. h. erster Major. Bald darauf erfolgte seine Ab-


doch einen christlichen Staat und eine christliche Wissenschaft verlangt,
so läßt sich nicht absehen, wie irgend ein Theil der Staatswissenschaft
sich gegen die Religion gleichgiltig verhalten kann." — „Auch eine
christliche Polizei ist des jetzt nicht verlangt worden, und, was man
in der Wirklichkeit so nenne» mochte, ist eben nicht besonders christlich.
ES möchte auch schwer sein, die verschiedenen Geschäfte der Polizei, in
größeren Städte» besonders, nach christliche» Grundsätzen zu verwalten:
um so würdiger wäre es des christlichen Staats, sich an diese Aufgabe
zu wagen.,, Endlich müßten die Naturwissenschaften christianisirt
werden und vor Allem müßte gesorgt werden, daß der Arzt, bei sei¬
nem großen Einfluß auf die Menschen, ein vollkommen christlicher sei.

— (Brieflich aus Wien.) Vor kurzer Zeit enthielten mehrere
deutsche Blätter folgende Notiz: „Der deutsche Renegat Wezlar, der
vor zwei Jahren Muselmann wurde, den Grad eines Majors erhielt
und sich mit einem türkischen Mädchen verheirathete, entfloh vor drei
Wochen aus Konstantinopel mit Zurücklassung vou 6l),WV Piastern
Schulden und einer schwangeren Frau."

In Bezug auf diese Notiz ist uns eine Reclamation von einem
sehr nahen Verwandten der in Rede stehenden Fran mitgetheilt wor¬
den, worin es heißt: „Gesetzt, das Factum hätte sich buchstäblich er¬
geben, so werden Sie finde», daß die Art und Weise, in welcher es
mitgetheilt wurde, die gesammten Mitglieder einer jedenfalls hochge¬
stellten adeligen Familie, die in ihrer Mitte kaiserliche Generale und
Stabsoffiziere zählt, und die zumal noch mit mehreren gräflichen Fa¬
milien nahe verwandt ist (!), auf daS Empfindlichste compromittirt
hat." (Der erwähnte Renegat hieß, als er noch Christ war, Herr
Baron von Wetzlar-Plankenstcrn.) „Die ganze Mittheilung ist jedoch
Nichts als eine Mystification und Verleumdung." (höret) „Baron
Wetzlar, dermalen Alsace Bey, ist weder durchgegangen, noch hat er
seine schwangere Frau im Elend hinterlassen können, nachdem auf of-
ficiellen Wege, durch Vermittlung der Sultanin Valide, Baron Wetz¬
lar die achtzehnjährige Wittwe des Mustapha Pascha, eine geborene
EmirS-Tochter, also Fürstin, die zumal ungeheuer reich ist, vor zwei
Jahren geheirathet hat. Herr Baron Wetzlar, nunmehr Nehmet Sable
Bey, ist vor drei Jahren nach Konstantinopel mit obrigkeitlicher Be¬
willigung in der Absicht gereist, dort als Jnstructor in der großherrli-
chen Armee angestellt zu werden. Ein zufälliges Zusammentreffen mit
dem Sultan, dessen Wohlgefallen er durch sein Exterieur so glücklich
war, augenblicklich zu gewinnen und glänzende V ersprech ungen (I)
bewogen ihn, ganz in türkische Dienste zu treten. Reich beschenkt, zum
Bed erhoben, wurde er auf der Stelle Col-Aga, d. h. Adjutant-
Major. Drei Woche» später erhielt er den Nischan in Diamanten und
wurde Binbascha, d. h. erster Major. Bald darauf erfolgte seine Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/431>, abgerufen am 26.06.2024.