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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Nichts gemein hat, thront auf dem klaren Gesichte. Es ist nicht die
ideale, triumphirende Schönheit von Raphael's Madonnen, noch ist
es die energische Hoheit und Majestät von Murillo's Himmelsköni¬
ginnen: die reinste Jungfräulichkeit, die tiefste Liebesdemuth ist es,
vor der Du hier das Knie beugst. -- Unschuldig ist sie, nicht weil
sie sich von den Makeln des Irdischen rein zu erhalten gewußt, son¬
dern weil ihr innerstes Wesen der Sünde so fremd, daß diese gewiß
nie auch nur in ihren Traum einen trübenden Schatten warf. Wie
ein Schimmer von Jenseits fließt das blonde Haar um das Antlitz;
Goldstoff schmiegt sich um die Gestalt, ein Mantel von tiefem, leuch¬
tendem Blau wallt darüber hin. Vergeblich wäre eS, die Pracht
dieser Farbentöne beschreiben zu wollen; jeder von den Edelsteinen,
die den Saum des Kleides besetzen, erglüht wie von Licht getränkt.
Auf dem Schooße der Jungfrau rühr das göttliche Kind, den Blick
zu ihm emporgehoben, das eine Aermchen nach ihr ausgestreckt. Ge¬
genüber der Heilige, halb knieend, den Stift in der Hand, bemüht,
die himmlische Erscheinung festzuhalten. Welche Inbrunst, welche
Weihe, welche Andacht in seinen Zügen! Ich denke, dies muß van
Eyck's selbsteigenstcr Ausdruck gewesen sein, als er dies Bild malte.
Ja, so mögen diese alten Meister ausgesehen haben, die sich durch
Gebet und mystische Versenkung auf die Arbeit vorbereiteten. -- Die¬
ser heilige Lucas scheint nur durch'S Auge zu leben; auf der weiten
Welt kümmern ihn nur diese zwei Gestalten, die nicht von dieser
Welt sind. Und wie schön ist die Ausführung! Dieser kraft- und aus-
drucksvolle Kopf mit den tiefgegrabenen Zügen, dieser nervige, durch-
furchte Hals, dieses violettne Gewand mit seinem reichen, freien
Wurf. Und nun blicke durch das Fenster hinaus in das offene Land,
durch das sich ein Gewässer in reizenden Krümmungen schlängelt,
über dem ein von leichten Silberwolkcn überflorter Himmel lächelt,
wie ein sanftes Auge; durchdringe Dich mit diesem Bilde, drücke das
Gedächtniß daran tief in Dein Herz, und Dein ward ein Gewinn
für's ganze Leben.--

Nun laß uns scheiden; es gibt Eindrücke, die selbst durch Ver¬
wandtes nicht gestört werden sollen. Mit erfrischter, erfreudigter Seele
gehen wir von hinnen, froh, im wirren, trug- und bedrängnißvollcn
Leben die ewige Wahrheit und heitere Göttlichkeit der Kunst erfaßt
zu haben, der herrlichen Beglückerin Aller, die an sie glauben. Wirf


Nichts gemein hat, thront auf dem klaren Gesichte. Es ist nicht die
ideale, triumphirende Schönheit von Raphael's Madonnen, noch ist
es die energische Hoheit und Majestät von Murillo's Himmelsköni¬
ginnen: die reinste Jungfräulichkeit, die tiefste Liebesdemuth ist es,
vor der Du hier das Knie beugst. — Unschuldig ist sie, nicht weil
sie sich von den Makeln des Irdischen rein zu erhalten gewußt, son¬
dern weil ihr innerstes Wesen der Sünde so fremd, daß diese gewiß
nie auch nur in ihren Traum einen trübenden Schatten warf. Wie
ein Schimmer von Jenseits fließt das blonde Haar um das Antlitz;
Goldstoff schmiegt sich um die Gestalt, ein Mantel von tiefem, leuch¬
tendem Blau wallt darüber hin. Vergeblich wäre eS, die Pracht
dieser Farbentöne beschreiben zu wollen; jeder von den Edelsteinen,
die den Saum des Kleides besetzen, erglüht wie von Licht getränkt.
Auf dem Schooße der Jungfrau rühr das göttliche Kind, den Blick
zu ihm emporgehoben, das eine Aermchen nach ihr ausgestreckt. Ge¬
genüber der Heilige, halb knieend, den Stift in der Hand, bemüht,
die himmlische Erscheinung festzuhalten. Welche Inbrunst, welche
Weihe, welche Andacht in seinen Zügen! Ich denke, dies muß van
Eyck's selbsteigenstcr Ausdruck gewesen sein, als er dies Bild malte.
Ja, so mögen diese alten Meister ausgesehen haben, die sich durch
Gebet und mystische Versenkung auf die Arbeit vorbereiteten. — Die¬
ser heilige Lucas scheint nur durch'S Auge zu leben; auf der weiten
Welt kümmern ihn nur diese zwei Gestalten, die nicht von dieser
Welt sind. Und wie schön ist die Ausführung! Dieser kraft- und aus-
drucksvolle Kopf mit den tiefgegrabenen Zügen, dieser nervige, durch-
furchte Hals, dieses violettne Gewand mit seinem reichen, freien
Wurf. Und nun blicke durch das Fenster hinaus in das offene Land,
durch das sich ein Gewässer in reizenden Krümmungen schlängelt,
über dem ein von leichten Silberwolkcn überflorter Himmel lächelt,
wie ein sanftes Auge; durchdringe Dich mit diesem Bilde, drücke das
Gedächtniß daran tief in Dein Herz, und Dein ward ein Gewinn
für's ganze Leben.--

Nun laß uns scheiden; es gibt Eindrücke, die selbst durch Ver¬
wandtes nicht gestört werden sollen. Mit erfrischter, erfreudigter Seele
gehen wir von hinnen, froh, im wirren, trug- und bedrängnißvollcn
Leben die ewige Wahrheit und heitere Göttlichkeit der Kunst erfaßt
zu haben, der herrlichen Beglückerin Aller, die an sie glauben. Wirf


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[0422] Nichts gemein hat, thront auf dem klaren Gesichte. Es ist nicht die ideale, triumphirende Schönheit von Raphael's Madonnen, noch ist es die energische Hoheit und Majestät von Murillo's Himmelsköni¬ ginnen: die reinste Jungfräulichkeit, die tiefste Liebesdemuth ist es, vor der Du hier das Knie beugst. — Unschuldig ist sie, nicht weil sie sich von den Makeln des Irdischen rein zu erhalten gewußt, son¬ dern weil ihr innerstes Wesen der Sünde so fremd, daß diese gewiß nie auch nur in ihren Traum einen trübenden Schatten warf. Wie ein Schimmer von Jenseits fließt das blonde Haar um das Antlitz; Goldstoff schmiegt sich um die Gestalt, ein Mantel von tiefem, leuch¬ tendem Blau wallt darüber hin. Vergeblich wäre eS, die Pracht dieser Farbentöne beschreiben zu wollen; jeder von den Edelsteinen, die den Saum des Kleides besetzen, erglüht wie von Licht getränkt. Auf dem Schooße der Jungfrau rühr das göttliche Kind, den Blick zu ihm emporgehoben, das eine Aermchen nach ihr ausgestreckt. Ge¬ genüber der Heilige, halb knieend, den Stift in der Hand, bemüht, die himmlische Erscheinung festzuhalten. Welche Inbrunst, welche Weihe, welche Andacht in seinen Zügen! Ich denke, dies muß van Eyck's selbsteigenstcr Ausdruck gewesen sein, als er dies Bild malte. Ja, so mögen diese alten Meister ausgesehen haben, die sich durch Gebet und mystische Versenkung auf die Arbeit vorbereiteten. — Die¬ ser heilige Lucas scheint nur durch'S Auge zu leben; auf der weiten Welt kümmern ihn nur diese zwei Gestalten, die nicht von dieser Welt sind. Und wie schön ist die Ausführung! Dieser kraft- und aus- drucksvolle Kopf mit den tiefgegrabenen Zügen, dieser nervige, durch- furchte Hals, dieses violettne Gewand mit seinem reichen, freien Wurf. Und nun blicke durch das Fenster hinaus in das offene Land, durch das sich ein Gewässer in reizenden Krümmungen schlängelt, über dem ein von leichten Silberwolkcn überflorter Himmel lächelt, wie ein sanftes Auge; durchdringe Dich mit diesem Bilde, drücke das Gedächtniß daran tief in Dein Herz, und Dein ward ein Gewinn für's ganze Leben.-- Nun laß uns scheiden; es gibt Eindrücke, die selbst durch Ver¬ wandtes nicht gestört werden sollen. Mit erfrischter, erfreudigter Seele gehen wir von hinnen, froh, im wirren, trug- und bedrängnißvollcn Leben die ewige Wahrheit und heitere Göttlichkeit der Kunst erfaßt zu haben, der herrlichen Beglückerin Aller, die an sie glauben. Wirf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/422>, abgerufen am 22.12.2024.