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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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geschürzt und rüstig schreitet der fromme Niese dahin, mit den kräfti¬
gen Gliedern das smaragdgrüne Wasser theilend, das sich hinter ihm
wieder schließt. Der Ausdruck seiner Züge ist Staunen, aber Stau-
nen ohne Bestürzung, denn Göttliches erschreckt nicht. Es scheint
seinem Geiste aufzudämmern: die ganze Fülle der Herrlichkeit Gottes
können nur Jene ertragen, die Eins werden mit ihm. Still, groß,
lächelnd, ein junger Held und Sieger, blickt das göttliche Kind; Du
wirst es keinen Moment für ein erdgebornes halten, die Hoheit des
Ueberirdischen durchschauert Dich bei seinem Anblick. Und doch ist
es ein Kind mit weichen, zarten, lieblichen Formen, ja! aber eben
ein Kind, das da weiß, es sei bestimmt, für das Heil der Welt in
den Tod zu gehen, und in diese Bestimmung willigt. Von der Ge¬
walt und Herrlichkeit dieser beiden Gestalten übermeistert, vermag ich
kaum noch andere Dinge an diesem Bilde zu erwähnen. Nur flüch¬
tig will ich Dich noch aufmerksam machen auf dies durchsichtig klare
Wasser, diesen kühn emporstrebenden Strand, an dem sich die Wel¬
len perlend brechen, dies magische Mondlicht, diese, wie ich keck be¬
haupte, von keinem Maler überbotene Perspektive. Dann sieh Dir
den bemoosten Felsen an, der rechts emporsteigt mit der Einsiedelei
oben und dem Klausner, der, sein Licht in der Hand, in die Nacht
hinausspäht. Nicht wahr, das ist schön, wahr und lieblich über al¬
len Ausdruck? Aber Deine Blicke kehren doch immer wieder zu dem
Heiligen und dem Kinde zurück. Und wenn Du dann später dieses
Bildes gedenkst, wird die Gläubigkeit und Herzensfrömmigkeit, die
darin athmet, erquickend und beseligend, Dein Innerstes aufs Neue
durchströmen.

Ich scheide von diesem Gemälde, wie von einem hohen Men¬
schen, einem Freunde, der mir wohlgethan. Ein Schmerz, eine bittere
Losreißung wär mir's, wenn ich denken müßte, ich trennte mich da¬
von für immer. Doch hierin auf die Gunst des Schicksals hoffend,
winke ich dem edlen Kunstwerk ein inniges: Auf Wiedersehen! zu
und wende mich zu dem zweiten Glasgemälde, das, wie der Mor¬
genstern, sein Licht durch das verdunkelte Gemach ergießt. -- Sanct
Lucas, die Madonna mit dem Kinde malend. Unter einem Balda¬
chin von golddurchwirktem Purpur sitzt die Jungfrau, diese mensch-
gewordene Lilie. Kannst Du sie schauen und noch an Böses glauben?
Eine Unschuld, eine Heiligkeit, die mit unserer armseligen Tugend


geschürzt und rüstig schreitet der fromme Niese dahin, mit den kräfti¬
gen Gliedern das smaragdgrüne Wasser theilend, das sich hinter ihm
wieder schließt. Der Ausdruck seiner Züge ist Staunen, aber Stau-
nen ohne Bestürzung, denn Göttliches erschreckt nicht. Es scheint
seinem Geiste aufzudämmern: die ganze Fülle der Herrlichkeit Gottes
können nur Jene ertragen, die Eins werden mit ihm. Still, groß,
lächelnd, ein junger Held und Sieger, blickt das göttliche Kind; Du
wirst es keinen Moment für ein erdgebornes halten, die Hoheit des
Ueberirdischen durchschauert Dich bei seinem Anblick. Und doch ist
es ein Kind mit weichen, zarten, lieblichen Formen, ja! aber eben
ein Kind, das da weiß, es sei bestimmt, für das Heil der Welt in
den Tod zu gehen, und in diese Bestimmung willigt. Von der Ge¬
walt und Herrlichkeit dieser beiden Gestalten übermeistert, vermag ich
kaum noch andere Dinge an diesem Bilde zu erwähnen. Nur flüch¬
tig will ich Dich noch aufmerksam machen auf dies durchsichtig klare
Wasser, diesen kühn emporstrebenden Strand, an dem sich die Wel¬
len perlend brechen, dies magische Mondlicht, diese, wie ich keck be¬
haupte, von keinem Maler überbotene Perspektive. Dann sieh Dir
den bemoosten Felsen an, der rechts emporsteigt mit der Einsiedelei
oben und dem Klausner, der, sein Licht in der Hand, in die Nacht
hinausspäht. Nicht wahr, das ist schön, wahr und lieblich über al¬
len Ausdruck? Aber Deine Blicke kehren doch immer wieder zu dem
Heiligen und dem Kinde zurück. Und wenn Du dann später dieses
Bildes gedenkst, wird die Gläubigkeit und Herzensfrömmigkeit, die
darin athmet, erquickend und beseligend, Dein Innerstes aufs Neue
durchströmen.

Ich scheide von diesem Gemälde, wie von einem hohen Men¬
schen, einem Freunde, der mir wohlgethan. Ein Schmerz, eine bittere
Losreißung wär mir's, wenn ich denken müßte, ich trennte mich da¬
von für immer. Doch hierin auf die Gunst des Schicksals hoffend,
winke ich dem edlen Kunstwerk ein inniges: Auf Wiedersehen! zu
und wende mich zu dem zweiten Glasgemälde, das, wie der Mor¬
genstern, sein Licht durch das verdunkelte Gemach ergießt. — Sanct
Lucas, die Madonna mit dem Kinde malend. Unter einem Balda¬
chin von golddurchwirktem Purpur sitzt die Jungfrau, diese mensch-
gewordene Lilie. Kannst Du sie schauen und noch an Böses glauben?
Eine Unschuld, eine Heiligkeit, die mit unserer armseligen Tugend


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[0421] geschürzt und rüstig schreitet der fromme Niese dahin, mit den kräfti¬ gen Gliedern das smaragdgrüne Wasser theilend, das sich hinter ihm wieder schließt. Der Ausdruck seiner Züge ist Staunen, aber Stau- nen ohne Bestürzung, denn Göttliches erschreckt nicht. Es scheint seinem Geiste aufzudämmern: die ganze Fülle der Herrlichkeit Gottes können nur Jene ertragen, die Eins werden mit ihm. Still, groß, lächelnd, ein junger Held und Sieger, blickt das göttliche Kind; Du wirst es keinen Moment für ein erdgebornes halten, die Hoheit des Ueberirdischen durchschauert Dich bei seinem Anblick. Und doch ist es ein Kind mit weichen, zarten, lieblichen Formen, ja! aber eben ein Kind, das da weiß, es sei bestimmt, für das Heil der Welt in den Tod zu gehen, und in diese Bestimmung willigt. Von der Ge¬ walt und Herrlichkeit dieser beiden Gestalten übermeistert, vermag ich kaum noch andere Dinge an diesem Bilde zu erwähnen. Nur flüch¬ tig will ich Dich noch aufmerksam machen auf dies durchsichtig klare Wasser, diesen kühn emporstrebenden Strand, an dem sich die Wel¬ len perlend brechen, dies magische Mondlicht, diese, wie ich keck be¬ haupte, von keinem Maler überbotene Perspektive. Dann sieh Dir den bemoosten Felsen an, der rechts emporsteigt mit der Einsiedelei oben und dem Klausner, der, sein Licht in der Hand, in die Nacht hinausspäht. Nicht wahr, das ist schön, wahr und lieblich über al¬ len Ausdruck? Aber Deine Blicke kehren doch immer wieder zu dem Heiligen und dem Kinde zurück. Und wenn Du dann später dieses Bildes gedenkst, wird die Gläubigkeit und Herzensfrömmigkeit, die darin athmet, erquickend und beseligend, Dein Innerstes aufs Neue durchströmen. Ich scheide von diesem Gemälde, wie von einem hohen Men¬ schen, einem Freunde, der mir wohlgethan. Ein Schmerz, eine bittere Losreißung wär mir's, wenn ich denken müßte, ich trennte mich da¬ von für immer. Doch hierin auf die Gunst des Schicksals hoffend, winke ich dem edlen Kunstwerk ein inniges: Auf Wiedersehen! zu und wende mich zu dem zweiten Glasgemälde, das, wie der Mor¬ genstern, sein Licht durch das verdunkelte Gemach ergießt. — Sanct Lucas, die Madonna mit dem Kinde malend. Unter einem Balda¬ chin von golddurchwirktem Purpur sitzt die Jungfrau, diese mensch- gewordene Lilie. Kannst Du sie schauen und noch an Böses glauben? Eine Unschuld, eine Heiligkeit, die mit unserer armseligen Tugend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/421>, abgerufen am 26.06.2024.