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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ein höchst ansprechendes Gemälde, das den großen Vorzug hat, in
dein Beschauer eine Stimmung zu erwecken. Ich kann mir den schö¬
nen ernsten Tempel vollkommen vergegenwärtigen und meine, es muß
sich gar innig und trostvoll darin beten lassen.

Ich kann diesen Saal nicht verlassen, ohne noch eines Porträts
der verstorbenen Gräfin Kolowrat zu gedenken. Es ist von Frauen¬
hand, und der Name der Malerin ist Götzel-Serpolina. Da ich nicht
so glücklich war, die Gräfin zu kennen, kann ich über die Aehnlichkeit
nicht entscheiden, doch bin ich von ihr überzeugt. Wenn Du mich
um meine Gründe fragtest, so würde ich Dir antworten: weil der
Porträtmaler diesen Ausdruck von Geist, Güte und adelig seinem
Wesen nicht erfinden kann. Die Gräfin sitzt u demi -Mus^s in
einem Armstuhl, das Gesicht ist dem Beschauer zugewendet; zwischen
Auge und Mund die wohlthuendste Uebereinstimmung: der Blick lä¬
chelt eben so sanft und wehmüthig mild wie die Lippen, während auf
so vielen Porträts Auge und Mund gar Nichts von einander wis¬
sen. Das Colorit ist gut, die Behandlung des Haares ganz vor¬
züglich; man glaubt seine weiche Schmiegsamkeit zu suhlen. Der
Blondenkopfpntz, der Seidenstoff am Kleide, die Sammtmantille sind
mit großer Sorgsamkeit und Geschick ausgeführt, wie denn überhaupt
die Zusammenstellung des Ganzen von Geschmack und einem gebilde¬
ten Auge zeigt.

Einer Bemerkung kann ich mich bei diesem sonst gelunge¬
nen Bilde nicht entschlagen; Du wirst sie wahrscheinlich ganz weiber-
haft finden, aber da ich gar nicht die Prätension habe, mehr zu sein
als ein Weib, so mag ich demungeachtet damit herausrücken. Ich
finde, man sollte sich nicht mit Handschuhen malen lassen. Es liegt
in der Hand so unendlich viel Charakteristisches, daß sie recht eigent¬
lich zum Porträt angehört, Ist Dir's nie aufgefallen, wie Gro߬
muth, Niedrigkeit, Geist, Dummheit, innere Bildung und Rohheit in
diesem Gliede ihren Ausdruck finden? Mich hat es oft beschäftigt,
und über diesen Zweig des Wissens könnte ich Vorlesungen -i >"
Lavater halten. Ich spreche nicht von den sogenannten schönen Hän¬
den; bei sorglicher Pflege kann sich diese so ziemlich Jeder verschaffen.
Nicht ihre Glätte, Weichheit, Farbe haben für mich Bedeutung, son¬
dern ihre Physiognomie, der ich, zugleich mit dem Wesen eines Men¬
schen, auch seine Vergangenheit ansehe. So gibt es schmale, durch-


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ein höchst ansprechendes Gemälde, das den großen Vorzug hat, in
dein Beschauer eine Stimmung zu erwecken. Ich kann mir den schö¬
nen ernsten Tempel vollkommen vergegenwärtigen und meine, es muß
sich gar innig und trostvoll darin beten lassen.

Ich kann diesen Saal nicht verlassen, ohne noch eines Porträts
der verstorbenen Gräfin Kolowrat zu gedenken. Es ist von Frauen¬
hand, und der Name der Malerin ist Götzel-Serpolina. Da ich nicht
so glücklich war, die Gräfin zu kennen, kann ich über die Aehnlichkeit
nicht entscheiden, doch bin ich von ihr überzeugt. Wenn Du mich
um meine Gründe fragtest, so würde ich Dir antworten: weil der
Porträtmaler diesen Ausdruck von Geist, Güte und adelig seinem
Wesen nicht erfinden kann. Die Gräfin sitzt u demi -Mus^s in
einem Armstuhl, das Gesicht ist dem Beschauer zugewendet; zwischen
Auge und Mund die wohlthuendste Uebereinstimmung: der Blick lä¬
chelt eben so sanft und wehmüthig mild wie die Lippen, während auf
so vielen Porträts Auge und Mund gar Nichts von einander wis¬
sen. Das Colorit ist gut, die Behandlung des Haares ganz vor¬
züglich; man glaubt seine weiche Schmiegsamkeit zu suhlen. Der
Blondenkopfpntz, der Seidenstoff am Kleide, die Sammtmantille sind
mit großer Sorgsamkeit und Geschick ausgeführt, wie denn überhaupt
die Zusammenstellung des Ganzen von Geschmack und einem gebilde¬
ten Auge zeigt.

Einer Bemerkung kann ich mich bei diesem sonst gelunge¬
nen Bilde nicht entschlagen; Du wirst sie wahrscheinlich ganz weiber-
haft finden, aber da ich gar nicht die Prätension habe, mehr zu sein
als ein Weib, so mag ich demungeachtet damit herausrücken. Ich
finde, man sollte sich nicht mit Handschuhen malen lassen. Es liegt
in der Hand so unendlich viel Charakteristisches, daß sie recht eigent¬
lich zum Porträt angehört, Ist Dir's nie aufgefallen, wie Gro߬
muth, Niedrigkeit, Geist, Dummheit, innere Bildung und Rohheit in
diesem Gliede ihren Ausdruck finden? Mich hat es oft beschäftigt,
und über diesen Zweig des Wissens könnte ich Vorlesungen -i >»
Lavater halten. Ich spreche nicht von den sogenannten schönen Hän¬
den; bei sorglicher Pflege kann sich diese so ziemlich Jeder verschaffen.
Nicht ihre Glätte, Weichheit, Farbe haben für mich Bedeutung, son¬
dern ihre Physiognomie, der ich, zugleich mit dem Wesen eines Men¬
schen, auch seine Vergangenheit ansehe. So gibt es schmale, durch-


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[0419] ein höchst ansprechendes Gemälde, das den großen Vorzug hat, in dein Beschauer eine Stimmung zu erwecken. Ich kann mir den schö¬ nen ernsten Tempel vollkommen vergegenwärtigen und meine, es muß sich gar innig und trostvoll darin beten lassen. Ich kann diesen Saal nicht verlassen, ohne noch eines Porträts der verstorbenen Gräfin Kolowrat zu gedenken. Es ist von Frauen¬ hand, und der Name der Malerin ist Götzel-Serpolina. Da ich nicht so glücklich war, die Gräfin zu kennen, kann ich über die Aehnlichkeit nicht entscheiden, doch bin ich von ihr überzeugt. Wenn Du mich um meine Gründe fragtest, so würde ich Dir antworten: weil der Porträtmaler diesen Ausdruck von Geist, Güte und adelig seinem Wesen nicht erfinden kann. Die Gräfin sitzt u demi -Mus^s in einem Armstuhl, das Gesicht ist dem Beschauer zugewendet; zwischen Auge und Mund die wohlthuendste Uebereinstimmung: der Blick lä¬ chelt eben so sanft und wehmüthig mild wie die Lippen, während auf so vielen Porträts Auge und Mund gar Nichts von einander wis¬ sen. Das Colorit ist gut, die Behandlung des Haares ganz vor¬ züglich; man glaubt seine weiche Schmiegsamkeit zu suhlen. Der Blondenkopfpntz, der Seidenstoff am Kleide, die Sammtmantille sind mit großer Sorgsamkeit und Geschick ausgeführt, wie denn überhaupt die Zusammenstellung des Ganzen von Geschmack und einem gebilde¬ ten Auge zeigt. Einer Bemerkung kann ich mich bei diesem sonst gelunge¬ nen Bilde nicht entschlagen; Du wirst sie wahrscheinlich ganz weiber- haft finden, aber da ich gar nicht die Prätension habe, mehr zu sein als ein Weib, so mag ich demungeachtet damit herausrücken. Ich finde, man sollte sich nicht mit Handschuhen malen lassen. Es liegt in der Hand so unendlich viel Charakteristisches, daß sie recht eigent¬ lich zum Porträt angehört, Ist Dir's nie aufgefallen, wie Gro߬ muth, Niedrigkeit, Geist, Dummheit, innere Bildung und Rohheit in diesem Gliede ihren Ausdruck finden? Mich hat es oft beschäftigt, und über diesen Zweig des Wissens könnte ich Vorlesungen -i >» Lavater halten. Ich spreche nicht von den sogenannten schönen Hän¬ den; bei sorglicher Pflege kann sich diese so ziemlich Jeder verschaffen. Nicht ihre Glätte, Weichheit, Farbe haben für mich Bedeutung, son¬ dern ihre Physiognomie, der ich, zugleich mit dem Wesen eines Men¬ schen, auch seine Vergangenheit ansehe. So gibt es schmale, durch- 54»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/419>, abgerufen am 26.06.2024.