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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Weg von Gauermann'ö düsterem, herzerstickendem Werke und
um wieder froh zu werden, laß uns den Blick auf recht Heiteres
richten. Wir können dazu nichts Besseres wählen, als des in Rom
lebenden Pollak: Mädchen mit dem Lamme. Ist das ein frohes,
horniges, lieblich leichtsinniges Bild! Gott weiß, wie sich die allerliebste
Kleine mit ihrem Lamme herumgetummelt und abgetollt haben muß,
denn jetzt liegt sie ganz athemlos, vor Lust und Uebermuth glühend,
hingestreckt. Wie die kleine Brust fliegt, wie warm der Hauch des
halbgeöffneten Mundes ist! Du liebes, wundes, weiches Kind mit
den großen schwarzen Augen, den Pfirsichwangen, den brennenden
Lippen, wie möchte man Dich herzen und küssen! Indem ich Dich
betrachte, gedenke ich der kleinen Milanollo, nicht des schaurig süßen
Seraphs Teresa, sondern des frohen Erdenkindes Maria. Wenn ich
sie hörte, überkam mich dieselbe Stimmung von unendlicher Lust und
Freudigkeit wie jetzt, dieses aus innerlichst durchsonnter! Seele hervor¬
gehende Lächeln, dieses Wiederaufleben der eigenen Jugend im Jubel
und Jauchzen des Kindes. -- Das Lamm hat sich über seine kleine
Spielgefährtin gelagert; es ist noch nicht müde, es möchte noch fort¬
spielen und sich gern wegstoßen lassen, um die tolle Jagd aus's Neue
zu beginnen. Die Scene ist ein frischer grüner Wald; wie wohl
muß der Kleinen werden unter dem dichten Schattendach, wie muß
die Säuselluft das glühende Köpfchen kühlen! Du liebe Blume Gottes!

Da ist auch noch ein anderes Bild von Pollak: zwei römische
Mädchen, die sich mit Blumen bekränzen. O sieh die Eine mit den
schwarzen Haaren und den dunkeln Sonnenaugen, die fremd und
unirdisch blicken aus dem zaubervollen Gesicht, dessen Ausdruck un¬
säglicher, mit Wehmuth oder Sentimentalität durchaus nicht verwand¬
ter Ernst ist. Nicht eigene bittere Erlebnisse haben das noch im
Kindesalter stehende Mädchen so ernst gemacht; dazu ist es viel zu
jung und die Frische ihres Reizes zu unversehrt. Ich möchte eher
sagen, der Genius Rom's sei vorübergeschwebt und habe seinen Schat¬
ten auf dieses Antlitz geworfen. Ich möchte diese Züge nie lächeln
sehen, so feierlich ist ihre Schönheit. Ihre Stellung athmet die tiefste
Ruhe, das Auge blickt träumerisch, die Arme hangen lässig nieder;
sie sitzt tief in sich versunken, als gäbe es keine Welt um sie herum.
Ihre Gefährtin ist heiterer, vielleicht reizender, aber gewiß nicht so
schön; der Schnitt des Gesichtes minder streng und antik, das Haar


Grenzboten 1864. I. 5)4

Weg von Gauermann'ö düsterem, herzerstickendem Werke und
um wieder froh zu werden, laß uns den Blick auf recht Heiteres
richten. Wir können dazu nichts Besseres wählen, als des in Rom
lebenden Pollak: Mädchen mit dem Lamme. Ist das ein frohes,
horniges, lieblich leichtsinniges Bild! Gott weiß, wie sich die allerliebste
Kleine mit ihrem Lamme herumgetummelt und abgetollt haben muß,
denn jetzt liegt sie ganz athemlos, vor Lust und Uebermuth glühend,
hingestreckt. Wie die kleine Brust fliegt, wie warm der Hauch des
halbgeöffneten Mundes ist! Du liebes, wundes, weiches Kind mit
den großen schwarzen Augen, den Pfirsichwangen, den brennenden
Lippen, wie möchte man Dich herzen und küssen! Indem ich Dich
betrachte, gedenke ich der kleinen Milanollo, nicht des schaurig süßen
Seraphs Teresa, sondern des frohen Erdenkindes Maria. Wenn ich
sie hörte, überkam mich dieselbe Stimmung von unendlicher Lust und
Freudigkeit wie jetzt, dieses aus innerlichst durchsonnter! Seele hervor¬
gehende Lächeln, dieses Wiederaufleben der eigenen Jugend im Jubel
und Jauchzen des Kindes. — Das Lamm hat sich über seine kleine
Spielgefährtin gelagert; es ist noch nicht müde, es möchte noch fort¬
spielen und sich gern wegstoßen lassen, um die tolle Jagd aus's Neue
zu beginnen. Die Scene ist ein frischer grüner Wald; wie wohl
muß der Kleinen werden unter dem dichten Schattendach, wie muß
die Säuselluft das glühende Köpfchen kühlen! Du liebe Blume Gottes!

Da ist auch noch ein anderes Bild von Pollak: zwei römische
Mädchen, die sich mit Blumen bekränzen. O sieh die Eine mit den
schwarzen Haaren und den dunkeln Sonnenaugen, die fremd und
unirdisch blicken aus dem zaubervollen Gesicht, dessen Ausdruck un¬
säglicher, mit Wehmuth oder Sentimentalität durchaus nicht verwand¬
ter Ernst ist. Nicht eigene bittere Erlebnisse haben das noch im
Kindesalter stehende Mädchen so ernst gemacht; dazu ist es viel zu
jung und die Frische ihres Reizes zu unversehrt. Ich möchte eher
sagen, der Genius Rom's sei vorübergeschwebt und habe seinen Schat¬
ten auf dieses Antlitz geworfen. Ich möchte diese Züge nie lächeln
sehen, so feierlich ist ihre Schönheit. Ihre Stellung athmet die tiefste
Ruhe, das Auge blickt träumerisch, die Arme hangen lässig nieder;
sie sitzt tief in sich versunken, als gäbe es keine Welt um sie herum.
Ihre Gefährtin ist heiterer, vielleicht reizender, aber gewiß nicht so
schön; der Schnitt des Gesichtes minder streng und antik, das Haar


Grenzboten 1864. I. 5)4
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[0417] Weg von Gauermann'ö düsterem, herzerstickendem Werke und um wieder froh zu werden, laß uns den Blick auf recht Heiteres richten. Wir können dazu nichts Besseres wählen, als des in Rom lebenden Pollak: Mädchen mit dem Lamme. Ist das ein frohes, horniges, lieblich leichtsinniges Bild! Gott weiß, wie sich die allerliebste Kleine mit ihrem Lamme herumgetummelt und abgetollt haben muß, denn jetzt liegt sie ganz athemlos, vor Lust und Uebermuth glühend, hingestreckt. Wie die kleine Brust fliegt, wie warm der Hauch des halbgeöffneten Mundes ist! Du liebes, wundes, weiches Kind mit den großen schwarzen Augen, den Pfirsichwangen, den brennenden Lippen, wie möchte man Dich herzen und küssen! Indem ich Dich betrachte, gedenke ich der kleinen Milanollo, nicht des schaurig süßen Seraphs Teresa, sondern des frohen Erdenkindes Maria. Wenn ich sie hörte, überkam mich dieselbe Stimmung von unendlicher Lust und Freudigkeit wie jetzt, dieses aus innerlichst durchsonnter! Seele hervor¬ gehende Lächeln, dieses Wiederaufleben der eigenen Jugend im Jubel und Jauchzen des Kindes. — Das Lamm hat sich über seine kleine Spielgefährtin gelagert; es ist noch nicht müde, es möchte noch fort¬ spielen und sich gern wegstoßen lassen, um die tolle Jagd aus's Neue zu beginnen. Die Scene ist ein frischer grüner Wald; wie wohl muß der Kleinen werden unter dem dichten Schattendach, wie muß die Säuselluft das glühende Köpfchen kühlen! Du liebe Blume Gottes! Da ist auch noch ein anderes Bild von Pollak: zwei römische Mädchen, die sich mit Blumen bekränzen. O sieh die Eine mit den schwarzen Haaren und den dunkeln Sonnenaugen, die fremd und unirdisch blicken aus dem zaubervollen Gesicht, dessen Ausdruck un¬ säglicher, mit Wehmuth oder Sentimentalität durchaus nicht verwand¬ ter Ernst ist. Nicht eigene bittere Erlebnisse haben das noch im Kindesalter stehende Mädchen so ernst gemacht; dazu ist es viel zu jung und die Frische ihres Reizes zu unversehrt. Ich möchte eher sagen, der Genius Rom's sei vorübergeschwebt und habe seinen Schat¬ ten auf dieses Antlitz geworfen. Ich möchte diese Züge nie lächeln sehen, so feierlich ist ihre Schönheit. Ihre Stellung athmet die tiefste Ruhe, das Auge blickt träumerisch, die Arme hangen lässig nieder; sie sitzt tief in sich versunken, als gäbe es keine Welt um sie herum. Ihre Gefährtin ist heiterer, vielleicht reizender, aber gewiß nicht so schön; der Schnitt des Gesichtes minder streng und antik, das Haar Grenzboten 1864. I. 5)4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/417>, abgerufen am 26.06.2024.