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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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deckt noch Schnee den Boden, Mein das Thauwetter ist nahe, schwer
hängen die feuchten Wolken nieder und die bläuliche Farbe, die der
Schnee hie und da hat, verheißt sein baldiges Schmelzen. Jäger
haben sich in dem Wald gelagert und bereiten an einem lodernden
Feuer ihr frugales Mahl. Einer ihrer Hunde, wahrlich der Cato
der Schaar, nimmt von dem zu erwartenden Genusse keine Notiz,
sondern schnuppert eifrig im Schnee, der Spur eines Wildes nach¬
spürend. Wenn Du ein Paar Schritte zurücktrittst, wie wird Dir?
Meinst Du nicht in's Unabsehbare hineinzuspähen? Glaubst Du nicht
um jeden dieser Bäume herumgehen zu können? Fühlst Du nicht die
Sannntweichheit des Mooses an den Stämmen? Betrachte einmal
diesen Baumstrunk, der querüber liegt, diese Fußtapfen im bald zer¬
schmelzendem Schnee, die grauschwarzen, regcnschwangeren Wolken,
die Jäger mit den derbkrästigen Gestalten und den Gesichtern, deren
Nüance nur mit dem englischen: vvvlltli<-l--l,e?let-i" zu bezeichnen ist!
Dieser van Haaren ist ein großer Maler.

Nun folge mir zu Gauermann's: der verendende Hirsch. Ich
weiß dies Bild nur eine Thiertragödie zu nennen. Dicht an
einem grünen, von Felsen umschlossenen Alpensee, den es wahrschein¬
lich so eben durchschwamm, liegt das sterbende Thier. Der rothe
Schweiß quillt aus den klaffenden Wunden, der letzte Kampf wird
bald vorüber sein. Auf einem nahen Felsenvorsprung sitzen Alpen¬
geier, die sich lüstern zum bevorstehenden Mahle anschicken. Wie sie
die Schnäbel wetzen, wie sie mit den breiten, dunkeln Flügeln schla¬
gen, wie schon ein vierter Geier aus der Ferne herbeieile -- o die
gräßlichen, unheimlichen Thiere! Und der königliche Hirsch liegt tra¬
gisch ruhig; sein halbgebrochenes Auge hat etwas Menschliches, so
still, so ernst blickt es. Doch nein! ein Mensch würde hier viel
Wesens machen, während das Thier, näher, unmittelbarer mit der
Natur verbunden, sich von der großen Strömung fortreißen läßt, ohne
an Widerstand zu denken. Und ich? O ja, gerne wollt' ich am grü¬
nen Alpensee verbluten! Aber dann von Geiern zerfleischt werden,
das würde mich schrecken. Thörin! Thörin! Du würdest es ja nicht
fühlen. -- Die Geier, die, weil Du noch lebst, Tag für Tag ein
Stück von Deinem Herzen reißen, die Geier: Haß, Verleumdung,
Undank, die fühlst Du Dich zerfleischen und magst noch andere
fürchten? ^


deckt noch Schnee den Boden, Mein das Thauwetter ist nahe, schwer
hängen die feuchten Wolken nieder und die bläuliche Farbe, die der
Schnee hie und da hat, verheißt sein baldiges Schmelzen. Jäger
haben sich in dem Wald gelagert und bereiten an einem lodernden
Feuer ihr frugales Mahl. Einer ihrer Hunde, wahrlich der Cato
der Schaar, nimmt von dem zu erwartenden Genusse keine Notiz,
sondern schnuppert eifrig im Schnee, der Spur eines Wildes nach¬
spürend. Wenn Du ein Paar Schritte zurücktrittst, wie wird Dir?
Meinst Du nicht in's Unabsehbare hineinzuspähen? Glaubst Du nicht
um jeden dieser Bäume herumgehen zu können? Fühlst Du nicht die
Sannntweichheit des Mooses an den Stämmen? Betrachte einmal
diesen Baumstrunk, der querüber liegt, diese Fußtapfen im bald zer¬
schmelzendem Schnee, die grauschwarzen, regcnschwangeren Wolken,
die Jäger mit den derbkrästigen Gestalten und den Gesichtern, deren
Nüance nur mit dem englischen: vvvlltli<-l--l,e?let-i» zu bezeichnen ist!
Dieser van Haaren ist ein großer Maler.

Nun folge mir zu Gauermann's: der verendende Hirsch. Ich
weiß dies Bild nur eine Thiertragödie zu nennen. Dicht an
einem grünen, von Felsen umschlossenen Alpensee, den es wahrschein¬
lich so eben durchschwamm, liegt das sterbende Thier. Der rothe
Schweiß quillt aus den klaffenden Wunden, der letzte Kampf wird
bald vorüber sein. Auf einem nahen Felsenvorsprung sitzen Alpen¬
geier, die sich lüstern zum bevorstehenden Mahle anschicken. Wie sie
die Schnäbel wetzen, wie sie mit den breiten, dunkeln Flügeln schla¬
gen, wie schon ein vierter Geier aus der Ferne herbeieile — o die
gräßlichen, unheimlichen Thiere! Und der königliche Hirsch liegt tra¬
gisch ruhig; sein halbgebrochenes Auge hat etwas Menschliches, so
still, so ernst blickt es. Doch nein! ein Mensch würde hier viel
Wesens machen, während das Thier, näher, unmittelbarer mit der
Natur verbunden, sich von der großen Strömung fortreißen läßt, ohne
an Widerstand zu denken. Und ich? O ja, gerne wollt' ich am grü¬
nen Alpensee verbluten! Aber dann von Geiern zerfleischt werden,
das würde mich schrecken. Thörin! Thörin! Du würdest es ja nicht
fühlen. — Die Geier, die, weil Du noch lebst, Tag für Tag ein
Stück von Deinem Herzen reißen, die Geier: Haß, Verleumdung,
Undank, die fühlst Du Dich zerfleischen und magst noch andere
fürchten? ^


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/416>, abgerufen am 26.06.2024.