hier aufmerksam machen? Die Wahl ist so schwer! Bedenklich ist sie indessen nicht, denn worauf wir auch aufmerksam machen mögen, wir dürfen gewiß sein, nur auf Treffliches zu stoßen.
Zwei Bilder des herrlichen Canclla: Honflcurs in derNorman- die und Palestrina im Venetianischen. Wie scharf hat der Künstler hier Nord und Süd, die grüne, tiefernste Nordsee, die blaue lachende Adria zu charakterisiren gewußt: Wasser, Land und Luft, die Men¬ schen, ja ich mochte sagen die Thiere selbst haben auf den zwei Bil¬ dern ein durchaus verschiedenes Gepräge. Diese bepackten, feilschen¬ den, schwerfälligen NormandS, und dagegen diese heiteren, sorglosen, mit dem Leben spielenden Kinder des Südens! Ueber Honflcurs liegt eine schwere, dicke Atmosphäre ausgebreitet, ein Paar befrachtete Last¬ träger klimmen einsam den Quai hinan, die Leute sehen alle aus, als seien sie nur, um zu arbeiten, auf die Welt gekommen; dort bei Palestrina wölbt sich der blaue Himmel entzückt über die lachende See, den lieblichen Strand; der Schiffer, der mit seiner Barke über das Wasser hingleitet, scheint eS zu seinem Vergnügen zu thun; die Leute am Ufer kümmern sich nicht viel um Arbeit, sie stehen lieber beisammen und führen ein vergnügliches Gespräch. Rankengewinde um alle Häuser, Blumen an allen Fenstern (daneben auch Wäsche, zum Trocknen aufgehängt; das thut aber Nichts), unten auf dem Boden der Segen Gottes, in Gestalt von prachtvollem Obst und Gemüse reichlich aufgeschüttet. Ein Paar Kinder spielen ganz dicht am Meere; es fällt keinem Menschen ein, zu denken, daß sie hinein¬ fallen könnten, so freudig ist der Südländer, so ferne liegt seiner Na¬ tur unser Sorgen, Grübeln, nach Apprehensionen Jagen. Alle diese schönen Dinge sind unser Erbtheil. Im Süden ist Leben des Lebens Zweck, bei uns muß man sich umbringen, um leben zu können. Dort gibt es wildes, heißes Weh, Verzweiflung, in der das Herz verzehrt emporlodert wie auf einem Holzstoß. Sei's darum! wer wird denn ewig leben wollen? Nur mit der langsam unterwühlenden, läh¬ menden, zersetzenden nitor^, die in geographischen Lehrbüchern den nordischen Produkten beigezählt werden sollte, kann ich mich nicht vertragen.
Und doch (bei all meiner Abneigung gegen den Norden muß ich'S bekennen): welch schönen, tiefeinsamen Wald hat der Holländer van Haaren hier gemalt! Der Winter naht seinem Ende; zwar
hier aufmerksam machen? Die Wahl ist so schwer! Bedenklich ist sie indessen nicht, denn worauf wir auch aufmerksam machen mögen, wir dürfen gewiß sein, nur auf Treffliches zu stoßen.
Zwei Bilder des herrlichen Canclla: Honflcurs in derNorman- die und Palestrina im Venetianischen. Wie scharf hat der Künstler hier Nord und Süd, die grüne, tiefernste Nordsee, die blaue lachende Adria zu charakterisiren gewußt: Wasser, Land und Luft, die Men¬ schen, ja ich mochte sagen die Thiere selbst haben auf den zwei Bil¬ dern ein durchaus verschiedenes Gepräge. Diese bepackten, feilschen¬ den, schwerfälligen NormandS, und dagegen diese heiteren, sorglosen, mit dem Leben spielenden Kinder des Südens! Ueber Honflcurs liegt eine schwere, dicke Atmosphäre ausgebreitet, ein Paar befrachtete Last¬ träger klimmen einsam den Quai hinan, die Leute sehen alle aus, als seien sie nur, um zu arbeiten, auf die Welt gekommen; dort bei Palestrina wölbt sich der blaue Himmel entzückt über die lachende See, den lieblichen Strand; der Schiffer, der mit seiner Barke über das Wasser hingleitet, scheint eS zu seinem Vergnügen zu thun; die Leute am Ufer kümmern sich nicht viel um Arbeit, sie stehen lieber beisammen und führen ein vergnügliches Gespräch. Rankengewinde um alle Häuser, Blumen an allen Fenstern (daneben auch Wäsche, zum Trocknen aufgehängt; das thut aber Nichts), unten auf dem Boden der Segen Gottes, in Gestalt von prachtvollem Obst und Gemüse reichlich aufgeschüttet. Ein Paar Kinder spielen ganz dicht am Meere; es fällt keinem Menschen ein, zu denken, daß sie hinein¬ fallen könnten, so freudig ist der Südländer, so ferne liegt seiner Na¬ tur unser Sorgen, Grübeln, nach Apprehensionen Jagen. Alle diese schönen Dinge sind unser Erbtheil. Im Süden ist Leben des Lebens Zweck, bei uns muß man sich umbringen, um leben zu können. Dort gibt es wildes, heißes Weh, Verzweiflung, in der das Herz verzehrt emporlodert wie auf einem Holzstoß. Sei's darum! wer wird denn ewig leben wollen? Nur mit der langsam unterwühlenden, läh¬ menden, zersetzenden nitor^, die in geographischen Lehrbüchern den nordischen Produkten beigezählt werden sollte, kann ich mich nicht vertragen.
Und doch (bei all meiner Abneigung gegen den Norden muß ich'S bekennen): welch schönen, tiefeinsamen Wald hat der Holländer van Haaren hier gemalt! Der Winter naht seinem Ende; zwar
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hier aufmerksam machen? Die Wahl ist so schwer! Bedenklich ist sie
indessen nicht, denn worauf wir auch aufmerksam machen mögen, wir
dürfen gewiß sein, nur auf Treffliches zu stoßen.
Zwei Bilder des herrlichen Canclla: Honflcurs in derNorman-
die und Palestrina im Venetianischen. Wie scharf hat der Künstler
hier Nord und Süd, die grüne, tiefernste Nordsee, die blaue lachende
Adria zu charakterisiren gewußt: Wasser, Land und Luft, die Men¬
schen, ja ich mochte sagen die Thiere selbst haben auf den zwei Bil¬
dern ein durchaus verschiedenes Gepräge. Diese bepackten, feilschen¬
den, schwerfälligen NormandS, und dagegen diese heiteren, sorglosen,
mit dem Leben spielenden Kinder des Südens! Ueber Honflcurs liegt
eine schwere, dicke Atmosphäre ausgebreitet, ein Paar befrachtete Last¬
träger klimmen einsam den Quai hinan, die Leute sehen alle aus,
als seien sie nur, um zu arbeiten, auf die Welt gekommen; dort bei
Palestrina wölbt sich der blaue Himmel entzückt über die lachende
See, den lieblichen Strand; der Schiffer, der mit seiner Barke über
das Wasser hingleitet, scheint eS zu seinem Vergnügen zu thun; die
Leute am Ufer kümmern sich nicht viel um Arbeit, sie stehen lieber
beisammen und führen ein vergnügliches Gespräch. Rankengewinde
um alle Häuser, Blumen an allen Fenstern (daneben auch Wäsche,
zum Trocknen aufgehängt; das thut aber Nichts), unten auf dem
Boden der Segen Gottes, in Gestalt von prachtvollem Obst und
Gemüse reichlich aufgeschüttet. Ein Paar Kinder spielen ganz dicht
am Meere; es fällt keinem Menschen ein, zu denken, daß sie hinein¬
fallen könnten, so freudig ist der Südländer, so ferne liegt seiner Na¬
tur unser Sorgen, Grübeln, nach Apprehensionen Jagen. Alle diese
schönen Dinge sind unser Erbtheil. Im Süden ist Leben des Lebens
Zweck, bei uns muß man sich umbringen, um leben zu können. Dort
gibt es wildes, heißes Weh, Verzweiflung, in der das Herz verzehrt
emporlodert wie auf einem Holzstoß. Sei's darum! wer wird
denn ewig leben wollen? Nur mit der langsam unterwühlenden, läh¬
menden, zersetzenden nitor^, die in geographischen Lehrbüchern den
nordischen Produkten beigezählt werden sollte, kann ich mich nicht
vertragen.
Und doch (bei all meiner Abneigung gegen den Norden muß
ich'S bekennen): welch schönen, tiefeinsamen Wald hat der Holländer
van Haaren hier gemalt! Der Winter naht seinem Ende; zwar
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/415>, abgerufen am 07.01.2025.
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