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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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deutscher Maler ähnliche Scenen aus seiner Heimath darstellen sollte ;
was würde daraus? Nun ja, er könnte, wie wir'S an den Nieder¬
ländern sehen, große Virtuosität im Technischen und getreue Auffassung
zeigen, aber könnte der Eindruck des Bildes ein poetischer sein, wie
hier? Nein und tausendmal nein! Das machten die platten, aus¬
druckslosen Gesichter, die unkleidsame Tracht, die er darzustellen hätte,
unmöglich. In welchem Vortheil steht hier der Italiener! Er braucht
sich nicht auf's hohe -Pferd zu setzen, um poetisch zu sein: er braucht
nur wiederzugeben, was ihm in jedem Augenblick entgegentritt. Sieh
diese scharfgezeichncten kühnen Gesichter mit der dunkeln warmen Fär¬
bung ; diese Gestalten, so edel, so stolz unter ihren Lumpen; dies Volk,
so geistreich in seiner Unwissenheit, so geschliffen in seiner Heftigkeit!
-- Bei uns fallen die Genremaler gewöhnlich entweder in's Triviale
oder in's Affectirte, je nachdem sie die Natur treu wiedergeben oder
idealisiren wollen. Der Italiener entgeht dieser Klippe dadurch, daß er
nichts Schöneres ersinnen könnte, als was ihm täglich leib- und
wesenhaft vor Augen steht.

In einem Kabinet finden wir das Porträt des Grafen Kolow-
rat. Es ist von dem Mainzer Heuß gut gemalt und von unbestreit¬
barer Achnlichkeit. Dennoch stellt es mich nichr zufrieden; erstens
scheint mir die Stellung unglücklich gewählt und zweitens vermisse
ich hier das nil- ".ii-l'.'uti-neue Al-.mil slviAiu-iir, das den Grafen
charakterisirt. Die geistige Vornehmheit seiner Züge ist hier nicht
hinreichend ausgedrückt.

Im Nebenzimmer sehen wir ein Gemälde des Mailänders Mol-
teri. Ein kleiner Schornsteinfeger, wahrscheinlich ein Savoyarde, steht
auf der winterlichen Straße und drückt sich an ein Haus, als wolle
er sich daran wärmen. Die Luft ist bitter kalt, das Kind zieht den
einen Fuß von dem hartgefrorenen Boden hinauf und schmiegt sich
in sich zusammen. So kläglich steht der arme Junge drein! er hat
vielleicht auch Hunger -- ach, man möchte ihn gleich bei beiden
Händen ergreifen und in eine warme Stube hereinziehen, wo er sich
beim Feuer und mit einem Bischen Essen wieder restauriren könnte.
Ich meine ordentlich, ich seh ihn aufthauen, lustig und guter Dinge
werden und tausend Possen treiben, denn trotz seiner momentanen
Betrübtheit blitzt ihm der Schalk aus den Augen. -- An der ent¬
gegengesetzten Wand hängt ein Bild Ditterberger's: ein indianischer


deutscher Maler ähnliche Scenen aus seiner Heimath darstellen sollte ;
was würde daraus? Nun ja, er könnte, wie wir'S an den Nieder¬
ländern sehen, große Virtuosität im Technischen und getreue Auffassung
zeigen, aber könnte der Eindruck des Bildes ein poetischer sein, wie
hier? Nein und tausendmal nein! Das machten die platten, aus¬
druckslosen Gesichter, die unkleidsame Tracht, die er darzustellen hätte,
unmöglich. In welchem Vortheil steht hier der Italiener! Er braucht
sich nicht auf's hohe -Pferd zu setzen, um poetisch zu sein: er braucht
nur wiederzugeben, was ihm in jedem Augenblick entgegentritt. Sieh
diese scharfgezeichncten kühnen Gesichter mit der dunkeln warmen Fär¬
bung ; diese Gestalten, so edel, so stolz unter ihren Lumpen; dies Volk,
so geistreich in seiner Unwissenheit, so geschliffen in seiner Heftigkeit!
— Bei uns fallen die Genremaler gewöhnlich entweder in's Triviale
oder in's Affectirte, je nachdem sie die Natur treu wiedergeben oder
idealisiren wollen. Der Italiener entgeht dieser Klippe dadurch, daß er
nichts Schöneres ersinnen könnte, als was ihm täglich leib- und
wesenhaft vor Augen steht.

In einem Kabinet finden wir das Porträt des Grafen Kolow-
rat. Es ist von dem Mainzer Heuß gut gemalt und von unbestreit¬
barer Achnlichkeit. Dennoch stellt es mich nichr zufrieden; erstens
scheint mir die Stellung unglücklich gewählt und zweitens vermisse
ich hier das nil- ».ii-l'.'uti-neue Al-.mil slviAiu-iir, das den Grafen
charakterisirt. Die geistige Vornehmheit seiner Züge ist hier nicht
hinreichend ausgedrückt.

Im Nebenzimmer sehen wir ein Gemälde des Mailänders Mol-
teri. Ein kleiner Schornsteinfeger, wahrscheinlich ein Savoyarde, steht
auf der winterlichen Straße und drückt sich an ein Haus, als wolle
er sich daran wärmen. Die Luft ist bitter kalt, das Kind zieht den
einen Fuß von dem hartgefrorenen Boden hinauf und schmiegt sich
in sich zusammen. So kläglich steht der arme Junge drein! er hat
vielleicht auch Hunger — ach, man möchte ihn gleich bei beiden
Händen ergreifen und in eine warme Stube hereinziehen, wo er sich
beim Feuer und mit einem Bischen Essen wieder restauriren könnte.
Ich meine ordentlich, ich seh ihn aufthauen, lustig und guter Dinge
werden und tausend Possen treiben, denn trotz seiner momentanen
Betrübtheit blitzt ihm der Schalk aus den Augen. — An der ent¬
gegengesetzten Wand hängt ein Bild Ditterberger's: ein indianischer


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[0413] deutscher Maler ähnliche Scenen aus seiner Heimath darstellen sollte ; was würde daraus? Nun ja, er könnte, wie wir'S an den Nieder¬ ländern sehen, große Virtuosität im Technischen und getreue Auffassung zeigen, aber könnte der Eindruck des Bildes ein poetischer sein, wie hier? Nein und tausendmal nein! Das machten die platten, aus¬ druckslosen Gesichter, die unkleidsame Tracht, die er darzustellen hätte, unmöglich. In welchem Vortheil steht hier der Italiener! Er braucht sich nicht auf's hohe -Pferd zu setzen, um poetisch zu sein: er braucht nur wiederzugeben, was ihm in jedem Augenblick entgegentritt. Sieh diese scharfgezeichncten kühnen Gesichter mit der dunkeln warmen Fär¬ bung ; diese Gestalten, so edel, so stolz unter ihren Lumpen; dies Volk, so geistreich in seiner Unwissenheit, so geschliffen in seiner Heftigkeit! — Bei uns fallen die Genremaler gewöhnlich entweder in's Triviale oder in's Affectirte, je nachdem sie die Natur treu wiedergeben oder idealisiren wollen. Der Italiener entgeht dieser Klippe dadurch, daß er nichts Schöneres ersinnen könnte, als was ihm täglich leib- und wesenhaft vor Augen steht. In einem Kabinet finden wir das Porträt des Grafen Kolow- rat. Es ist von dem Mainzer Heuß gut gemalt und von unbestreit¬ barer Achnlichkeit. Dennoch stellt es mich nichr zufrieden; erstens scheint mir die Stellung unglücklich gewählt und zweitens vermisse ich hier das nil- ».ii-l'.'uti-neue Al-.mil slviAiu-iir, das den Grafen charakterisirt. Die geistige Vornehmheit seiner Züge ist hier nicht hinreichend ausgedrückt. Im Nebenzimmer sehen wir ein Gemälde des Mailänders Mol- teri. Ein kleiner Schornsteinfeger, wahrscheinlich ein Savoyarde, steht auf der winterlichen Straße und drückt sich an ein Haus, als wolle er sich daran wärmen. Die Luft ist bitter kalt, das Kind zieht den einen Fuß von dem hartgefrorenen Boden hinauf und schmiegt sich in sich zusammen. So kläglich steht der arme Junge drein! er hat vielleicht auch Hunger — ach, man möchte ihn gleich bei beiden Händen ergreifen und in eine warme Stube hereinziehen, wo er sich beim Feuer und mit einem Bischen Essen wieder restauriren könnte. Ich meine ordentlich, ich seh ihn aufthauen, lustig und guter Dinge werden und tausend Possen treiben, denn trotz seiner momentanen Betrübtheit blitzt ihm der Schalk aus den Augen. — An der ent¬ gegengesetzten Wand hängt ein Bild Ditterberger's: ein indianischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/413>, abgerufen am 26.06.2024.