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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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kuliren im Stall, darüber ist die Alte, die als gute Mutter Alles
auf die Ihrigen bezieht, aus dem Korbe, worin sie ihr Wochenbett
hielt, muthig herausgesprmigm, um die kleine Schaar nöthigenfalls
zu vertheidigen. Von ihrer heftigen Bewegung ist der Korb umge-
schnappt und die Jungen, die sie beschützen will, rollen auf den Bo¬
den. Sie sind noch ganz klein, täppisch, unbeholfen und drollig über
alle Maßen; besonders der Eine, der auf den Rücken fiel, und nun
seine vier Füßchen kläglich in die Luft streckt, ist adorable ungeschickt.
Und die Mutter in ihrer Wuth gegen die Störer! Man glaubt ihr
zorniges Bellen zu hören, zu dein das Winseln der Jungen die Be¬
gleitung abgibt. -- Adam ist wirklich der Lafontaine unter den Ma¬
lern; beobachtend, errathend, naiv, humoristisch, das Schicksal der
Thierwelt sich zu Herzen nehmend, wie der große französische Fabel¬
dichter.

Eine Gegend aus dem baierischen Oberlande von Bürkel. Wie
schön, wie schön! Der erste Frost ist hereingebrochen, der Winter
kommt herangezogen, wie ein finsterer Eroberer in ein verwüstetes
Land. Noch ist er nicht mit dem Gros seiner Armee angekommen,
aber der Reis, der sich an die Gegenstände hängt, der leichte Schnee-
anflug sind seine Plänkler, und die betrübte Erde weiß aus alter
Erfahrung, daß sie in dem Kampfe unterliegen wird. Die Bäume
wissen es auch, darum strecken sie ihre entlaubten. Aeste so jammernd
empor, und den Vögeln kann es kein Geheimniß sein, warum durch-
schwciften sie sonst so trostlos die Luft. Wie grau der Himmel ist!
da hängt Schnee in Massen. Und diese schneidend scharfe Lust! ehe
Du Dich dessen verhiesse, wird es grimmig kalt sein. Mit unendli¬
cher Treue und Wahrheit hat Bürkel diesen Augenblick des Uebergangs
ergriffen; es ist nicht mehr Herbst, es ist noch nicht Winter. Mei¬
sterwerk im Meisterwerk ist auf dem Bilde ein abgedorrter Baum,
der den anderen zuzurufen scheint: Nvmeuto mori! -- Wenn eS
mir vergönnt wäre, einen Wunsch auszusprechen, so wäre es, daß
es dem Künstler gefallen möge, einen Theil der Staffage zu verän¬
dern. So wie sie jetzt ist, beleidigt sie in Etwas den Geschmack, ohne
durch besondere Naturwahrheit und Localfarbe dafür zu entschädigen.

Laß uns diese zwei allerliebsten venetianischen Genrebilder be¬
trachten. Es ist zwar bedenklich, mich auf dieses Sujet zu bringen,
denn von Venedig sprechend, fange ich leicht zu divagiren an, ja ich


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kuliren im Stall, darüber ist die Alte, die als gute Mutter Alles
auf die Ihrigen bezieht, aus dem Korbe, worin sie ihr Wochenbett
hielt, muthig herausgesprmigm, um die kleine Schaar nöthigenfalls
zu vertheidigen. Von ihrer heftigen Bewegung ist der Korb umge-
schnappt und die Jungen, die sie beschützen will, rollen auf den Bo¬
den. Sie sind noch ganz klein, täppisch, unbeholfen und drollig über
alle Maßen; besonders der Eine, der auf den Rücken fiel, und nun
seine vier Füßchen kläglich in die Luft streckt, ist adorable ungeschickt.
Und die Mutter in ihrer Wuth gegen die Störer! Man glaubt ihr
zorniges Bellen zu hören, zu dein das Winseln der Jungen die Be¬
gleitung abgibt. — Adam ist wirklich der Lafontaine unter den Ma¬
lern; beobachtend, errathend, naiv, humoristisch, das Schicksal der
Thierwelt sich zu Herzen nehmend, wie der große französische Fabel¬
dichter.

Eine Gegend aus dem baierischen Oberlande von Bürkel. Wie
schön, wie schön! Der erste Frost ist hereingebrochen, der Winter
kommt herangezogen, wie ein finsterer Eroberer in ein verwüstetes
Land. Noch ist er nicht mit dem Gros seiner Armee angekommen,
aber der Reis, der sich an die Gegenstände hängt, der leichte Schnee-
anflug sind seine Plänkler, und die betrübte Erde weiß aus alter
Erfahrung, daß sie in dem Kampfe unterliegen wird. Die Bäume
wissen es auch, darum strecken sie ihre entlaubten. Aeste so jammernd
empor, und den Vögeln kann es kein Geheimniß sein, warum durch-
schwciften sie sonst so trostlos die Luft. Wie grau der Himmel ist!
da hängt Schnee in Massen. Und diese schneidend scharfe Lust! ehe
Du Dich dessen verhiesse, wird es grimmig kalt sein. Mit unendli¬
cher Treue und Wahrheit hat Bürkel diesen Augenblick des Uebergangs
ergriffen; es ist nicht mehr Herbst, es ist noch nicht Winter. Mei¬
sterwerk im Meisterwerk ist auf dem Bilde ein abgedorrter Baum,
der den anderen zuzurufen scheint: Nvmeuto mori! — Wenn eS
mir vergönnt wäre, einen Wunsch auszusprechen, so wäre es, daß
es dem Künstler gefallen möge, einen Theil der Staffage zu verän¬
dern. So wie sie jetzt ist, beleidigt sie in Etwas den Geschmack, ohne
durch besondere Naturwahrheit und Localfarbe dafür zu entschädigen.

Laß uns diese zwei allerliebsten venetianischen Genrebilder be¬
trachten. Es ist zwar bedenklich, mich auf dieses Sujet zu bringen,
denn von Venedig sprechend, fange ich leicht zu divagiren an, ja ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/411>, abgerufen am 26.06.2024.