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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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steriles, Du würdest wahrhaftig glauben, vor einem Bellini zu stehen.
Im ersten Moment ist man versucht, zu glauben, das Bild müsse
große Studien gekostet haben; im zweiten fühlt man: Nein! Ein
begnadeter Augenblick brachte es vor den Geist des Künstlers, da
war es fertig. Er brauchte sich dann nur noch die Mühe zu nehmen,
es zu malen.

Siehst Du dort das märchenhaft schöne Frauenbild mit dem
hellen Turban und den lang herabwallenden schwarzen Locken? Es
ist Ammerling's Orientalin. Sind diese Züge auch nicht eben orienta¬
lisch (dazu fehlt ihnen meines Erachtens das Ernste, Großartige des
morgenländischen Typus), so bleibt es doch immer ein entzückendes
Antlitz. Das Bild ist im Kupferstich so allgemein verbreitet, daß es
überflüssig wäre, eine ausführliche Schilderung desselben zu geben;
nur Eins möchte ich bemerken: Hier ist ein Körper nicht blos auf
magische Art beleuchtet, nein! er saugt das Licht ein, er erglüht da¬
von, wie eine Blume. Es ist eine Transfiguration.

Die "zwei Schwestern" von Schiavone gehen mir nicht so
nahe an, obgleich ich ihnen ein gewisses Verdienst durchaus nicht
bestreiten will. Mir aber ist Schiavone zu sehr Mann der Conve-
nienz. Er hält Eleganz für Anmuth. Die beiden Frauenköpfe, die
da aus ihren Nahmen herauölächeln, sind mir zu kokett. Ich glaube
weder an die Unschuld der Einen noch an die Liebesträumerei der
Andern. Wir wollen sie verlassen und hintreten zu dem trauern¬
den Sulioten, von Lipparini mit unübertroffener Kraft und Herr¬
lichkeit gemalt. Tempelruinen im Hintergrund, gestürzte, zertrümmerte
Säulen, sinkender Tag -- -- ja, es will Abend werden! Und die
Trauer um dies Sinken, Scheiden und Vergehen, wie spiegelt es sich
in dem ernsten, gramvollen Antlitz des Sulioten. Er steht tief in
sich versunken, mit gesenktem Haupt und dunkelglühenden Augen, tra¬
gisch ruhig und erhaben. Dies mag der Ausdruck von Sparta's
Söhnen gewesen sein, als sie bei Thermopylä dem Tode sich weihten.
Das ist kein Theaterheld wie die französischen Parodien der Antike:
ein Mann ist's, ein starker, kühner Mann, dem Sklaverei tief in die
Seele schneidet, so tief, daß er gewiß nichts Großes zu thun glaubte,
wenn er sein Leben hinopferte, um sein Land von den Todten zu er¬
wecken. Rührend mild, versöhnungsreich und hoffnunggebietend war
Lipparini's Idee, die alten Trümmer mit frisch treibenden Ranken zu


steriles, Du würdest wahrhaftig glauben, vor einem Bellini zu stehen.
Im ersten Moment ist man versucht, zu glauben, das Bild müsse
große Studien gekostet haben; im zweiten fühlt man: Nein! Ein
begnadeter Augenblick brachte es vor den Geist des Künstlers, da
war es fertig. Er brauchte sich dann nur noch die Mühe zu nehmen,
es zu malen.

Siehst Du dort das märchenhaft schöne Frauenbild mit dem
hellen Turban und den lang herabwallenden schwarzen Locken? Es
ist Ammerling's Orientalin. Sind diese Züge auch nicht eben orienta¬
lisch (dazu fehlt ihnen meines Erachtens das Ernste, Großartige des
morgenländischen Typus), so bleibt es doch immer ein entzückendes
Antlitz. Das Bild ist im Kupferstich so allgemein verbreitet, daß es
überflüssig wäre, eine ausführliche Schilderung desselben zu geben;
nur Eins möchte ich bemerken: Hier ist ein Körper nicht blos auf
magische Art beleuchtet, nein! er saugt das Licht ein, er erglüht da¬
von, wie eine Blume. Es ist eine Transfiguration.

Die „zwei Schwestern" von Schiavone gehen mir nicht so
nahe an, obgleich ich ihnen ein gewisses Verdienst durchaus nicht
bestreiten will. Mir aber ist Schiavone zu sehr Mann der Conve-
nienz. Er hält Eleganz für Anmuth. Die beiden Frauenköpfe, die
da aus ihren Nahmen herauölächeln, sind mir zu kokett. Ich glaube
weder an die Unschuld der Einen noch an die Liebesträumerei der
Andern. Wir wollen sie verlassen und hintreten zu dem trauern¬
den Sulioten, von Lipparini mit unübertroffener Kraft und Herr¬
lichkeit gemalt. Tempelruinen im Hintergrund, gestürzte, zertrümmerte
Säulen, sinkender Tag — — ja, es will Abend werden! Und die
Trauer um dies Sinken, Scheiden und Vergehen, wie spiegelt es sich
in dem ernsten, gramvollen Antlitz des Sulioten. Er steht tief in
sich versunken, mit gesenktem Haupt und dunkelglühenden Augen, tra¬
gisch ruhig und erhaben. Dies mag der Ausdruck von Sparta's
Söhnen gewesen sein, als sie bei Thermopylä dem Tode sich weihten.
Das ist kein Theaterheld wie die französischen Parodien der Antike:
ein Mann ist's, ein starker, kühner Mann, dem Sklaverei tief in die
Seele schneidet, so tief, daß er gewiß nichts Großes zu thun glaubte,
wenn er sein Leben hinopferte, um sein Land von den Todten zu er¬
wecken. Rührend mild, versöhnungsreich und hoffnunggebietend war
Lipparini's Idee, die alten Trümmer mit frisch treibenden Ranken zu


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[0408] steriles, Du würdest wahrhaftig glauben, vor einem Bellini zu stehen. Im ersten Moment ist man versucht, zu glauben, das Bild müsse große Studien gekostet haben; im zweiten fühlt man: Nein! Ein begnadeter Augenblick brachte es vor den Geist des Künstlers, da war es fertig. Er brauchte sich dann nur noch die Mühe zu nehmen, es zu malen. Siehst Du dort das märchenhaft schöne Frauenbild mit dem hellen Turban und den lang herabwallenden schwarzen Locken? Es ist Ammerling's Orientalin. Sind diese Züge auch nicht eben orienta¬ lisch (dazu fehlt ihnen meines Erachtens das Ernste, Großartige des morgenländischen Typus), so bleibt es doch immer ein entzückendes Antlitz. Das Bild ist im Kupferstich so allgemein verbreitet, daß es überflüssig wäre, eine ausführliche Schilderung desselben zu geben; nur Eins möchte ich bemerken: Hier ist ein Körper nicht blos auf magische Art beleuchtet, nein! er saugt das Licht ein, er erglüht da¬ von, wie eine Blume. Es ist eine Transfiguration. Die „zwei Schwestern" von Schiavone gehen mir nicht so nahe an, obgleich ich ihnen ein gewisses Verdienst durchaus nicht bestreiten will. Mir aber ist Schiavone zu sehr Mann der Conve- nienz. Er hält Eleganz für Anmuth. Die beiden Frauenköpfe, die da aus ihren Nahmen herauölächeln, sind mir zu kokett. Ich glaube weder an die Unschuld der Einen noch an die Liebesträumerei der Andern. Wir wollen sie verlassen und hintreten zu dem trauern¬ den Sulioten, von Lipparini mit unübertroffener Kraft und Herr¬ lichkeit gemalt. Tempelruinen im Hintergrund, gestürzte, zertrümmerte Säulen, sinkender Tag — — ja, es will Abend werden! Und die Trauer um dies Sinken, Scheiden und Vergehen, wie spiegelt es sich in dem ernsten, gramvollen Antlitz des Sulioten. Er steht tief in sich versunken, mit gesenktem Haupt und dunkelglühenden Augen, tra¬ gisch ruhig und erhaben. Dies mag der Ausdruck von Sparta's Söhnen gewesen sein, als sie bei Thermopylä dem Tode sich weihten. Das ist kein Theaterheld wie die französischen Parodien der Antike: ein Mann ist's, ein starker, kühner Mann, dem Sklaverei tief in die Seele schneidet, so tief, daß er gewiß nichts Großes zu thun glaubte, wenn er sein Leben hinopferte, um sein Land von den Todten zu er¬ wecken. Rührend mild, versöhnungsreich und hoffnunggebietend war Lipparini's Idee, die alten Trümmer mit frisch treibenden Ranken zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/408>, abgerufen am 26.06.2024.