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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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sah; Pola war vergessen, man gedachte nur mehr der Siege in Dal¬
inarien und bei Aelina. Pisani war der Einzige, zu dem das Volk
Vertrauen hatte.

Wohl war die venetianische Negierung nicht daran gewöhnt, sich
von der Menge Gesetze vorschreiben zu lassen; als aber das Volk
die öffentlichen Plätze bedeckte, den herzoglichen Palast umstürmte, die
Lüste mit dem Ruf: Es lebe Pisani! erfüllte, da sah sich der Senat
zum Nachgeben gezwungen, und Pisani feierte den schönsten Triumph:
zurückberufen zu werden als der Einzige, der fähig, das Vaterland
zu retten.

Der Maler hat den Augenblick erfaßt, wo das Volk seinen Lieb-
ling begeistert die Riesentreppe hinanträgt, an deren oberen Ende ihm
der Doge Andrea, Contarini, von der Signoria umgeben, entgegen¬
tritt. Dem Befreiten nach drängt sich eine dichte Menschenmasse, und
ringsherum ist die Volksmenge geschaart, die Pisani'S Geschick zu
ihrem eigenen gemacht hat. Die Composition ist von bewunderungs¬
würdiger Klarheit, was bei so zahlreichen Figuren schon an und für
sich als ein großes Verdienst gelten mag. Aber wie herrlich ist zu¬
gleich die Individualisirung jeder Gestalt, der Ausdruck jedes Kopfes,
wie wahr und warm das Colorit! Sieh den greisen Pisani mit dem
edeln, selbstbewußten Antlitz, das doch so ganz ohne Stolz, ohne Ue-
berhebung ist! Du liesest in seinen Zügen die Worte, die er nach Sa-
bellico's Zeugniß damals sprach: Nie kann die Rede von einem Un¬
recht der Republik gegen einen ihrer Bürger sein. -- Ihm gegenüber
steht der Doge, ernst und fest wie ein marmornes Standbild, die
Hoheit des Hauptes der Republik auch in diesem Augenblicke nicht
verläugnend. Er scheint zu sprechen: Du wardst der Freiheit beraubt,
weil Du Venedigs Flotte verlorst; wir geben Dir die Freiheit wie¬
der, um daß Du Venedig rettest. So zeige uns nun, welche von
beiden Entscheidungen die gerechte war. -- Betrachte nun die Sena¬
toren, besonders den zur Linken des Dogen, die Nobili, das umdrän¬
gende Volk -- dämmern Dir dabei nicht Gentile Bellini's Bilder
auf, Scenen aus des Künstlers Tagen schildernd? Das sind Vene-
tianer, nicht etwa blos in Gewandung und nachgepinseltcr Aeuße"
klebten, nein! Venctigner bis in's innerste Herz hinein. Wäre nicht
die größere Freiheit der Ausführung und eine gewisse Jdealisirung
der Frauengestalten, die bei dem alten Meister etwas steif und tlo-


sah; Pola war vergessen, man gedachte nur mehr der Siege in Dal¬
inarien und bei Aelina. Pisani war der Einzige, zu dem das Volk
Vertrauen hatte.

Wohl war die venetianische Negierung nicht daran gewöhnt, sich
von der Menge Gesetze vorschreiben zu lassen; als aber das Volk
die öffentlichen Plätze bedeckte, den herzoglichen Palast umstürmte, die
Lüste mit dem Ruf: Es lebe Pisani! erfüllte, da sah sich der Senat
zum Nachgeben gezwungen, und Pisani feierte den schönsten Triumph:
zurückberufen zu werden als der Einzige, der fähig, das Vaterland
zu retten.

Der Maler hat den Augenblick erfaßt, wo das Volk seinen Lieb-
ling begeistert die Riesentreppe hinanträgt, an deren oberen Ende ihm
der Doge Andrea, Contarini, von der Signoria umgeben, entgegen¬
tritt. Dem Befreiten nach drängt sich eine dichte Menschenmasse, und
ringsherum ist die Volksmenge geschaart, die Pisani'S Geschick zu
ihrem eigenen gemacht hat. Die Composition ist von bewunderungs¬
würdiger Klarheit, was bei so zahlreichen Figuren schon an und für
sich als ein großes Verdienst gelten mag. Aber wie herrlich ist zu¬
gleich die Individualisirung jeder Gestalt, der Ausdruck jedes Kopfes,
wie wahr und warm das Colorit! Sieh den greisen Pisani mit dem
edeln, selbstbewußten Antlitz, das doch so ganz ohne Stolz, ohne Ue-
berhebung ist! Du liesest in seinen Zügen die Worte, die er nach Sa-
bellico's Zeugniß damals sprach: Nie kann die Rede von einem Un¬
recht der Republik gegen einen ihrer Bürger sein. — Ihm gegenüber
steht der Doge, ernst und fest wie ein marmornes Standbild, die
Hoheit des Hauptes der Republik auch in diesem Augenblicke nicht
verläugnend. Er scheint zu sprechen: Du wardst der Freiheit beraubt,
weil Du Venedigs Flotte verlorst; wir geben Dir die Freiheit wie¬
der, um daß Du Venedig rettest. So zeige uns nun, welche von
beiden Entscheidungen die gerechte war. — Betrachte nun die Sena¬
toren, besonders den zur Linken des Dogen, die Nobili, das umdrän¬
gende Volk — dämmern Dir dabei nicht Gentile Bellini's Bilder
auf, Scenen aus des Künstlers Tagen schildernd? Das sind Vene-
tianer, nicht etwa blos in Gewandung und nachgepinseltcr Aeuße»
klebten, nein! Venctigner bis in's innerste Herz hinein. Wäre nicht
die größere Freiheit der Ausführung und eine gewisse Jdealisirung
der Frauengestalten, die bei dem alten Meister etwas steif und tlo-


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[0407] sah; Pola war vergessen, man gedachte nur mehr der Siege in Dal¬ inarien und bei Aelina. Pisani war der Einzige, zu dem das Volk Vertrauen hatte. Wohl war die venetianische Negierung nicht daran gewöhnt, sich von der Menge Gesetze vorschreiben zu lassen; als aber das Volk die öffentlichen Plätze bedeckte, den herzoglichen Palast umstürmte, die Lüste mit dem Ruf: Es lebe Pisani! erfüllte, da sah sich der Senat zum Nachgeben gezwungen, und Pisani feierte den schönsten Triumph: zurückberufen zu werden als der Einzige, der fähig, das Vaterland zu retten. Der Maler hat den Augenblick erfaßt, wo das Volk seinen Lieb- ling begeistert die Riesentreppe hinanträgt, an deren oberen Ende ihm der Doge Andrea, Contarini, von der Signoria umgeben, entgegen¬ tritt. Dem Befreiten nach drängt sich eine dichte Menschenmasse, und ringsherum ist die Volksmenge geschaart, die Pisani'S Geschick zu ihrem eigenen gemacht hat. Die Composition ist von bewunderungs¬ würdiger Klarheit, was bei so zahlreichen Figuren schon an und für sich als ein großes Verdienst gelten mag. Aber wie herrlich ist zu¬ gleich die Individualisirung jeder Gestalt, der Ausdruck jedes Kopfes, wie wahr und warm das Colorit! Sieh den greisen Pisani mit dem edeln, selbstbewußten Antlitz, das doch so ganz ohne Stolz, ohne Ue- berhebung ist! Du liesest in seinen Zügen die Worte, die er nach Sa- bellico's Zeugniß damals sprach: Nie kann die Rede von einem Un¬ recht der Republik gegen einen ihrer Bürger sein. — Ihm gegenüber steht der Doge, ernst und fest wie ein marmornes Standbild, die Hoheit des Hauptes der Republik auch in diesem Augenblicke nicht verläugnend. Er scheint zu sprechen: Du wardst der Freiheit beraubt, weil Du Venedigs Flotte verlorst; wir geben Dir die Freiheit wie¬ der, um daß Du Venedig rettest. So zeige uns nun, welche von beiden Entscheidungen die gerechte war. — Betrachte nun die Sena¬ toren, besonders den zur Linken des Dogen, die Nobili, das umdrän¬ gende Volk — dämmern Dir dabei nicht Gentile Bellini's Bilder auf, Scenen aus des Künstlers Tagen schildernd? Das sind Vene- tianer, nicht etwa blos in Gewandung und nachgepinseltcr Aeuße» klebten, nein! Venctigner bis in's innerste Herz hinein. Wäre nicht die größere Freiheit der Ausführung und eine gewisse Jdealisirung der Frauengestalten, die bei dem alten Meister etwas steif und tlo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/407>, abgerufen am 26.06.2024.