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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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unwillkürlich beugen. Nun höre mich, um meine Blödsinnigkeit zu
bestaunen:

Den ganzen Sommer über, den ich fern von der Stadt zuzu-
bringen pflege, sehne ich mich nach Genüssen der Ku> se, vor Allem
nach Gemälden, vergegenwärtige mir jene, die ich am meisten liebe,
verlange nach ihnen, wie man in tiefer Winternacht nach Morgen-
licht verlangt, und wenn ich dann im Spätherbst nach der Stadt zu¬
rückkehre und nur ein Paar Straßen weit zu gehen brauchte, um
meine Sehnsuchtsträume zu verwirklichen -- thue ich es dann? Nein.
Ehe ich mich dessen versehe, sind alle meine Stunden eingeschachtelt,
ich kann keine mehr zum besonderen Gebrauch herauskriegen. Die
Galerien sind nur Vormittags geöffnet; da bilde ich mir nun aus
alter Gewohnheit ein, ich müsse schreiben. Lächerlich. Wenn ich be¬
denke, womit ich die Zeit vollgeschrieben habe, möchte ich mit reui¬
gem Bedauern seufzen: Warum bin ich nicht lieber -- ich will nicht
einmal sagen, in Galerien -- nein! Nur ganz einfach spazieren ge¬
gangen! Was schrieb ich? Lieder, die einen feurigen Kreis um mich
zogen, in den Niemand zu treten, den ich nicht zu verlassen vermag;
dunkle Sagen von der Liebe Glück und Ende; Märchen, womit ich
meine Seele trösten wollte und sie noch trostloser machte; Briefe, in
die ich voll heiligen Vertrauens jedes Geheimnis; meines Wesens
niederlegte und die dann als meuchlerische Waffe gegen mich ge¬
braucht wurden. Ja, bei Gott! es wäre klüger gewesen, spazieren
zu gehen.

Ich muß mich aber nun wirklich zusammennehmen, sonst komme
ich vom Hundertsten in's Tausendste und spreche am Ende vom Da¬
lai-Lama, statt von dem schönen Bilderschatz, den ich hier in Wien
entdeckte.

Ein sehr theuerer und sehr edler Freund erwähnte in meinem
Beisein der Gemäldesammlung Sr. Excellenz, des Ministers Grafen
voi: Kolowrat. Nun kann ich von Bildern nicht sprechen hören,
ohne, wie Friedrich's des Großen Schlachtpferd, wenn eS Trompeten^
schall vernahm, die Ohren zu spitzen. Ich fragte weiter nach und
mein Interesse für die Sache bemerkend, bot mir mein Freund seine
Vermittlung an, um mir die Erlaubniß zur Besichtigung zu verschas-
fen. Allein bringe ich mich fast nirgends hin und habe immer tau¬
send Votwände, um mein träges Versäumen vor mir selbst zu Mi-


unwillkürlich beugen. Nun höre mich, um meine Blödsinnigkeit zu
bestaunen:

Den ganzen Sommer über, den ich fern von der Stadt zuzu-
bringen pflege, sehne ich mich nach Genüssen der Ku> se, vor Allem
nach Gemälden, vergegenwärtige mir jene, die ich am meisten liebe,
verlange nach ihnen, wie man in tiefer Winternacht nach Morgen-
licht verlangt, und wenn ich dann im Spätherbst nach der Stadt zu¬
rückkehre und nur ein Paar Straßen weit zu gehen brauchte, um
meine Sehnsuchtsträume zu verwirklichen — thue ich es dann? Nein.
Ehe ich mich dessen versehe, sind alle meine Stunden eingeschachtelt,
ich kann keine mehr zum besonderen Gebrauch herauskriegen. Die
Galerien sind nur Vormittags geöffnet; da bilde ich mir nun aus
alter Gewohnheit ein, ich müsse schreiben. Lächerlich. Wenn ich be¬
denke, womit ich die Zeit vollgeschrieben habe, möchte ich mit reui¬
gem Bedauern seufzen: Warum bin ich nicht lieber — ich will nicht
einmal sagen, in Galerien — nein! Nur ganz einfach spazieren ge¬
gangen! Was schrieb ich? Lieder, die einen feurigen Kreis um mich
zogen, in den Niemand zu treten, den ich nicht zu verlassen vermag;
dunkle Sagen von der Liebe Glück und Ende; Märchen, womit ich
meine Seele trösten wollte und sie noch trostloser machte; Briefe, in
die ich voll heiligen Vertrauens jedes Geheimnis; meines Wesens
niederlegte und die dann als meuchlerische Waffe gegen mich ge¬
braucht wurden. Ja, bei Gott! es wäre klüger gewesen, spazieren
zu gehen.

Ich muß mich aber nun wirklich zusammennehmen, sonst komme
ich vom Hundertsten in's Tausendste und spreche am Ende vom Da¬
lai-Lama, statt von dem schönen Bilderschatz, den ich hier in Wien
entdeckte.

Ein sehr theuerer und sehr edler Freund erwähnte in meinem
Beisein der Gemäldesammlung Sr. Excellenz, des Ministers Grafen
voi: Kolowrat. Nun kann ich von Bildern nicht sprechen hören,
ohne, wie Friedrich's des Großen Schlachtpferd, wenn eS Trompeten^
schall vernahm, die Ohren zu spitzen. Ich fragte weiter nach und
mein Interesse für die Sache bemerkend, bot mir mein Freund seine
Vermittlung an, um mir die Erlaubniß zur Besichtigung zu verschas-
fen. Allein bringe ich mich fast nirgends hin und habe immer tau¬
send Votwände, um mein träges Versäumen vor mir selbst zu Mi-


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[0404] unwillkürlich beugen. Nun höre mich, um meine Blödsinnigkeit zu bestaunen: Den ganzen Sommer über, den ich fern von der Stadt zuzu- bringen pflege, sehne ich mich nach Genüssen der Ku> se, vor Allem nach Gemälden, vergegenwärtige mir jene, die ich am meisten liebe, verlange nach ihnen, wie man in tiefer Winternacht nach Morgen- licht verlangt, und wenn ich dann im Spätherbst nach der Stadt zu¬ rückkehre und nur ein Paar Straßen weit zu gehen brauchte, um meine Sehnsuchtsträume zu verwirklichen — thue ich es dann? Nein. Ehe ich mich dessen versehe, sind alle meine Stunden eingeschachtelt, ich kann keine mehr zum besonderen Gebrauch herauskriegen. Die Galerien sind nur Vormittags geöffnet; da bilde ich mir nun aus alter Gewohnheit ein, ich müsse schreiben. Lächerlich. Wenn ich be¬ denke, womit ich die Zeit vollgeschrieben habe, möchte ich mit reui¬ gem Bedauern seufzen: Warum bin ich nicht lieber — ich will nicht einmal sagen, in Galerien — nein! Nur ganz einfach spazieren ge¬ gangen! Was schrieb ich? Lieder, die einen feurigen Kreis um mich zogen, in den Niemand zu treten, den ich nicht zu verlassen vermag; dunkle Sagen von der Liebe Glück und Ende; Märchen, womit ich meine Seele trösten wollte und sie noch trostloser machte; Briefe, in die ich voll heiligen Vertrauens jedes Geheimnis; meines Wesens niederlegte und die dann als meuchlerische Waffe gegen mich ge¬ braucht wurden. Ja, bei Gott! es wäre klüger gewesen, spazieren zu gehen. Ich muß mich aber nun wirklich zusammennehmen, sonst komme ich vom Hundertsten in's Tausendste und spreche am Ende vom Da¬ lai-Lama, statt von dem schönen Bilderschatz, den ich hier in Wien entdeckte. Ein sehr theuerer und sehr edler Freund erwähnte in meinem Beisein der Gemäldesammlung Sr. Excellenz, des Ministers Grafen voi: Kolowrat. Nun kann ich von Bildern nicht sprechen hören, ohne, wie Friedrich's des Großen Schlachtpferd, wenn eS Trompeten^ schall vernahm, die Ohren zu spitzen. Ich fragte weiter nach und mein Interesse für die Sache bemerkend, bot mir mein Freund seine Vermittlung an, um mir die Erlaubniß zur Besichtigung zu verschas- fen. Allein bringe ich mich fast nirgends hin und habe immer tau¬ send Votwände, um mein träges Versäumen vor mir selbst zu Mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/404>, abgerufen am 26.06.2024.