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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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schuldigen, doch wenn man sich meiner so zu sagen bemächtigt und
mir Tag und Stunde finrt, kann man sich darauf verlassen, daß ich
zuhalten werde. Als an dem bezeichneten Tage mein freundlicher
Beschützer mich abzuholen kam, fand er mich bereit, und wir traten
den Weg nach dem Hütel des Grafen Kolowrat an.

Meine Absicht ist nicht, einen Katalog dieser Gemäldesammlung
zu liefern, jedes einzelnen Stückes derselben zu erwähnen; aber nicht
versagen kann ich mir's, einzelne Bilder ausführlicher zu besprechen
und den Eindruck zu schildern, den sie auf mich machten.




Bei dem Eintritt in den ersten Saal fielen mir vor Allem zwei
große wunderbar schone Landschaften in's Auge. An diesem Meere,
dieser Luft, diesem in phantastischen und doch weichen Formen em¬
porstrebenden Strand mußt Du den Süden erkennen. Das ist keine
Veduta, kein abgeklatschtes Porträt einer schönen Gegend: eine hei¬
lige Offenbarung der Natur ward hier erfaßt, festgehalten und in
ernster Treue vor das Auge des Betrachtenden gebracht. Das eine
dieser Bilder stellt die Küste von Amalfi dar in seltsamer, eigenthüm¬
licher Morgenbeleuchtung: glühend flammt es um die Hohen, die
Strahlen spiegeln sich in der Meeresfluth, das Wasser zittert, als
wandle der Geist Gottes darüber hin. Da ist die Unermeßlichkeit
des Oceans aufgerollt, nicht weil uns ein großes Stück Meer ge.-
zeigt, sondern weil die Seele entfesselt wird, die Unermeßlichkeit zu
begreifen. Künstlerische Illusion muß immer nur eine höhere Wahr¬
heit sein, sonst ist sie eitles Blendwerk sür Kinder und Thoren. --
Ueber die ebene Meeresfläche gleitet ein Schiff hin; die Gestalten,
die es bevölkern, sind südlich wie die Natur, die sie umgibt. Alles
ist hier im Einklang, Alles groß und still. Richt der Zauber der
sichtbaren Erscheinung ist es, was Dich hier beschleicht: dieser Ernst,
diese Weihe gehen weit über alles Sinnliche draus; was auf ande¬
ren Gemälden letzter Zweck" das ist hier nur Mittel, und die Schön¬
heit der Darstellung der strahlende Leib des Gedankens. -- Auf dem
zweiten Bilde erblickst Du gleichfalls eine ^italienische Landschaft,
Vico bei Sorrent. Im Hintergrunde ragt der rauchende Vesuv; wie¬
der dehnt sich die unabsehbare Meeresfläche hin, wieder bilden Ge¬
stalten aus Neapels Volk die Staffage, und doch wie anders! Tiefer


schuldigen, doch wenn man sich meiner so zu sagen bemächtigt und
mir Tag und Stunde finrt, kann man sich darauf verlassen, daß ich
zuhalten werde. Als an dem bezeichneten Tage mein freundlicher
Beschützer mich abzuholen kam, fand er mich bereit, und wir traten
den Weg nach dem Hütel des Grafen Kolowrat an.

Meine Absicht ist nicht, einen Katalog dieser Gemäldesammlung
zu liefern, jedes einzelnen Stückes derselben zu erwähnen; aber nicht
versagen kann ich mir's, einzelne Bilder ausführlicher zu besprechen
und den Eindruck zu schildern, den sie auf mich machten.




Bei dem Eintritt in den ersten Saal fielen mir vor Allem zwei
große wunderbar schone Landschaften in's Auge. An diesem Meere,
dieser Luft, diesem in phantastischen und doch weichen Formen em¬
porstrebenden Strand mußt Du den Süden erkennen. Das ist keine
Veduta, kein abgeklatschtes Porträt einer schönen Gegend: eine hei¬
lige Offenbarung der Natur ward hier erfaßt, festgehalten und in
ernster Treue vor das Auge des Betrachtenden gebracht. Das eine
dieser Bilder stellt die Küste von Amalfi dar in seltsamer, eigenthüm¬
licher Morgenbeleuchtung: glühend flammt es um die Hohen, die
Strahlen spiegeln sich in der Meeresfluth, das Wasser zittert, als
wandle der Geist Gottes darüber hin. Da ist die Unermeßlichkeit
des Oceans aufgerollt, nicht weil uns ein großes Stück Meer ge.-
zeigt, sondern weil die Seele entfesselt wird, die Unermeßlichkeit zu
begreifen. Künstlerische Illusion muß immer nur eine höhere Wahr¬
heit sein, sonst ist sie eitles Blendwerk sür Kinder und Thoren. —
Ueber die ebene Meeresfläche gleitet ein Schiff hin; die Gestalten,
die es bevölkern, sind südlich wie die Natur, die sie umgibt. Alles
ist hier im Einklang, Alles groß und still. Richt der Zauber der
sichtbaren Erscheinung ist es, was Dich hier beschleicht: dieser Ernst,
diese Weihe gehen weit über alles Sinnliche draus; was auf ande¬
ren Gemälden letzter Zweck» das ist hier nur Mittel, und die Schön¬
heit der Darstellung der strahlende Leib des Gedankens. — Auf dem
zweiten Bilde erblickst Du gleichfalls eine ^italienische Landschaft,
Vico bei Sorrent. Im Hintergrunde ragt der rauchende Vesuv; wie¬
der dehnt sich die unabsehbare Meeresfläche hin, wieder bilden Ge¬
stalten aus Neapels Volk die Staffage, und doch wie anders! Tiefer


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[0405] schuldigen, doch wenn man sich meiner so zu sagen bemächtigt und mir Tag und Stunde finrt, kann man sich darauf verlassen, daß ich zuhalten werde. Als an dem bezeichneten Tage mein freundlicher Beschützer mich abzuholen kam, fand er mich bereit, und wir traten den Weg nach dem Hütel des Grafen Kolowrat an. Meine Absicht ist nicht, einen Katalog dieser Gemäldesammlung zu liefern, jedes einzelnen Stückes derselben zu erwähnen; aber nicht versagen kann ich mir's, einzelne Bilder ausführlicher zu besprechen und den Eindruck zu schildern, den sie auf mich machten. Bei dem Eintritt in den ersten Saal fielen mir vor Allem zwei große wunderbar schone Landschaften in's Auge. An diesem Meere, dieser Luft, diesem in phantastischen und doch weichen Formen em¬ porstrebenden Strand mußt Du den Süden erkennen. Das ist keine Veduta, kein abgeklatschtes Porträt einer schönen Gegend: eine hei¬ lige Offenbarung der Natur ward hier erfaßt, festgehalten und in ernster Treue vor das Auge des Betrachtenden gebracht. Das eine dieser Bilder stellt die Küste von Amalfi dar in seltsamer, eigenthüm¬ licher Morgenbeleuchtung: glühend flammt es um die Hohen, die Strahlen spiegeln sich in der Meeresfluth, das Wasser zittert, als wandle der Geist Gottes darüber hin. Da ist die Unermeßlichkeit des Oceans aufgerollt, nicht weil uns ein großes Stück Meer ge.- zeigt, sondern weil die Seele entfesselt wird, die Unermeßlichkeit zu begreifen. Künstlerische Illusion muß immer nur eine höhere Wahr¬ heit sein, sonst ist sie eitles Blendwerk sür Kinder und Thoren. — Ueber die ebene Meeresfläche gleitet ein Schiff hin; die Gestalten, die es bevölkern, sind südlich wie die Natur, die sie umgibt. Alles ist hier im Einklang, Alles groß und still. Richt der Zauber der sichtbaren Erscheinung ist es, was Dich hier beschleicht: dieser Ernst, diese Weihe gehen weit über alles Sinnliche draus; was auf ande¬ ren Gemälden letzter Zweck» das ist hier nur Mittel, und die Schön¬ heit der Darstellung der strahlende Leib des Gedankens. — Auf dem zweiten Bilde erblickst Du gleichfalls eine ^italienische Landschaft, Vico bei Sorrent. Im Hintergrunde ragt der rauchende Vesuv; wie¬ der dehnt sich die unabsehbare Meeresfläche hin, wieder bilden Ge¬ stalten aus Neapels Volk die Staffage, und doch wie anders! Tiefer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/405>, abgerufen am 26.06.2024.