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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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was Dich jetzt belastet, in ein vergessenes Grab hinabstürzte, wenn
Du weinend an seine Brust sänkest? Was hindert Dich? -- Ich
will Dir's sagen: Dich hindert, daß Du, wenn es sich darum han¬
delte, durch das Aufheben eines Fingers Dein Leben zu retten, zu
indolent, zu verdrossen wärest/ ihn aufzuheben. Endlich überwindest
Du Dich, wirst wieder einigermaßen, wie ein Wesen mit einem mensch¬
lichen Antlitz sein soll, Dein ganzes weh- und wonnetrunkenes Herz
zittert in einigen Zeilen zu Deinem Freunde hin. -- Und wenn er
sich nun zum Kommen eben so Zeit ließe, wie Du zum Rufen?
Doch nein! sieh, sieh! da ist er. O stürze ihm nur entgegen, um-
schlinge ihn mit den beiden bebenden Armen, presse ihm die ganze
schwere Vergangenheit in ein einziges Wort zusammen, das der Bann¬
spruch sei, der Deine Seele befreie, erlöse. Und dann umschlinge ihn
noch fester, sage ihm, wie Du Dich uach ihm gesehnt, wie Du ge¬
schmachtet in dem Kerker Deines eigenen Ichs, wie aber jetzt Alles
lichtvoll ausgeglichen sei und Euere Tage vereint hinfließen sollen in
den Strom Gottes. -- Man trennt uns nicht mehr, rufst Du, wir
bleiben beisammen für immer, nicht wahr? -- Da schüttelt Dein
Freund leise das Haupt, still blickt er Dir in die hoffnungstrahlen-
den Augen, dann spricht er:

-- Nein, wir bleiben nicht beisammen, denn ich muß morgen rei¬
sen. O warum warst Du mir lange so nahe und ließest mich Deine
Nähe nicht wissen. Gehe die versunkenen Tage durch und erwäge,
was Du uns an Glück geraubt! --

Er scheidet und Du bleibst allein zurück, allein mit dem Bewußt¬
sein Deiner Thorheit, Deiner Unwürdigkeit. Dein armer Trost ist's,
auf die Zukunft zu hoffen. Und wer ersetzt Dir die Vergangenheit?
Wer belebt und verschönt die Stunden, die Du ungeschminkt ver¬
sargtest? Du machst tausend Plane, wie Du, wenn Du dein Freunde
wieder begegnest, es anders, besser machen willst. Und wer sagt Dir,
daß Du ihn wiedersehen wirft? --

Nun komme ich zu meiner Specialität-

Ich liebe die Kunst als deö Lebens Erstes und Höchstes, viel¬
leicht als sein Heiligstes, denn indem sie uns erfreut und entzückt,
macht sie uns auch größer und besser. In welcher Form sie sich
offenbaren mag, sei'S als Gedicht, als Gemälde, als marmornes
Götterbild: immer ist sie mir der Engel, vor dem sich meine Kniee


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was Dich jetzt belastet, in ein vergessenes Grab hinabstürzte, wenn
Du weinend an seine Brust sänkest? Was hindert Dich? — Ich
will Dir's sagen: Dich hindert, daß Du, wenn es sich darum han¬
delte, durch das Aufheben eines Fingers Dein Leben zu retten, zu
indolent, zu verdrossen wärest/ ihn aufzuheben. Endlich überwindest
Du Dich, wirst wieder einigermaßen, wie ein Wesen mit einem mensch¬
lichen Antlitz sein soll, Dein ganzes weh- und wonnetrunkenes Herz
zittert in einigen Zeilen zu Deinem Freunde hin. — Und wenn er
sich nun zum Kommen eben so Zeit ließe, wie Du zum Rufen?
Doch nein! sieh, sieh! da ist er. O stürze ihm nur entgegen, um-
schlinge ihn mit den beiden bebenden Armen, presse ihm die ganze
schwere Vergangenheit in ein einziges Wort zusammen, das der Bann¬
spruch sei, der Deine Seele befreie, erlöse. Und dann umschlinge ihn
noch fester, sage ihm, wie Du Dich uach ihm gesehnt, wie Du ge¬
schmachtet in dem Kerker Deines eigenen Ichs, wie aber jetzt Alles
lichtvoll ausgeglichen sei und Euere Tage vereint hinfließen sollen in
den Strom Gottes. — Man trennt uns nicht mehr, rufst Du, wir
bleiben beisammen für immer, nicht wahr? — Da schüttelt Dein
Freund leise das Haupt, still blickt er Dir in die hoffnungstrahlen-
den Augen, dann spricht er:

— Nein, wir bleiben nicht beisammen, denn ich muß morgen rei¬
sen. O warum warst Du mir lange so nahe und ließest mich Deine
Nähe nicht wissen. Gehe die versunkenen Tage durch und erwäge,
was Du uns an Glück geraubt! —

Er scheidet und Du bleibst allein zurück, allein mit dem Bewußt¬
sein Deiner Thorheit, Deiner Unwürdigkeit. Dein armer Trost ist's,
auf die Zukunft zu hoffen. Und wer ersetzt Dir die Vergangenheit?
Wer belebt und verschönt die Stunden, die Du ungeschminkt ver¬
sargtest? Du machst tausend Plane, wie Du, wenn Du dein Freunde
wieder begegnest, es anders, besser machen willst. Und wer sagt Dir,
daß Du ihn wiedersehen wirft? —

Nun komme ich zu meiner Specialität-

Ich liebe die Kunst als deö Lebens Erstes und Höchstes, viel¬
leicht als sein Heiligstes, denn indem sie uns erfreut und entzückt,
macht sie uns auch größer und besser. In welcher Form sie sich
offenbaren mag, sei'S als Gedicht, als Gemälde, als marmornes
Götterbild: immer ist sie mir der Engel, vor dem sich meine Kniee


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[0403] was Dich jetzt belastet, in ein vergessenes Grab hinabstürzte, wenn Du weinend an seine Brust sänkest? Was hindert Dich? — Ich will Dir's sagen: Dich hindert, daß Du, wenn es sich darum han¬ delte, durch das Aufheben eines Fingers Dein Leben zu retten, zu indolent, zu verdrossen wärest/ ihn aufzuheben. Endlich überwindest Du Dich, wirst wieder einigermaßen, wie ein Wesen mit einem mensch¬ lichen Antlitz sein soll, Dein ganzes weh- und wonnetrunkenes Herz zittert in einigen Zeilen zu Deinem Freunde hin. — Und wenn er sich nun zum Kommen eben so Zeit ließe, wie Du zum Rufen? Doch nein! sieh, sieh! da ist er. O stürze ihm nur entgegen, um- schlinge ihn mit den beiden bebenden Armen, presse ihm die ganze schwere Vergangenheit in ein einziges Wort zusammen, das der Bann¬ spruch sei, der Deine Seele befreie, erlöse. Und dann umschlinge ihn noch fester, sage ihm, wie Du Dich uach ihm gesehnt, wie Du ge¬ schmachtet in dem Kerker Deines eigenen Ichs, wie aber jetzt Alles lichtvoll ausgeglichen sei und Euere Tage vereint hinfließen sollen in den Strom Gottes. — Man trennt uns nicht mehr, rufst Du, wir bleiben beisammen für immer, nicht wahr? — Da schüttelt Dein Freund leise das Haupt, still blickt er Dir in die hoffnungstrahlen- den Augen, dann spricht er: — Nein, wir bleiben nicht beisammen, denn ich muß morgen rei¬ sen. O warum warst Du mir lange so nahe und ließest mich Deine Nähe nicht wissen. Gehe die versunkenen Tage durch und erwäge, was Du uns an Glück geraubt! — Er scheidet und Du bleibst allein zurück, allein mit dem Bewußt¬ sein Deiner Thorheit, Deiner Unwürdigkeit. Dein armer Trost ist's, auf die Zukunft zu hoffen. Und wer ersetzt Dir die Vergangenheit? Wer belebt und verschönt die Stunden, die Du ungeschminkt ver¬ sargtest? Du machst tausend Plane, wie Du, wenn Du dein Freunde wieder begegnest, es anders, besser machen willst. Und wer sagt Dir, daß Du ihn wiedersehen wirft? — Nun komme ich zu meiner Specialität- Ich liebe die Kunst als deö Lebens Erstes und Höchstes, viel¬ leicht als sein Heiligstes, denn indem sie uns erfreut und entzückt, macht sie uns auch größer und besser. In welcher Form sie sich offenbaren mag, sei'S als Gedicht, als Gemälde, als marmornes Götterbild: immer ist sie mir der Engel, vor dem sich meine Kniee 52 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/403>, abgerufen am 26.06.2024.